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Wenn es erwachsen werden will, muß es sich von den bisherigen Abhängigkeiten lösen, über sich hinauswachsen und zu einem Superstaat – den Vereinigten Staaten von Europa – entwickeln. Hellas, Karthago, das Imperium Romanum, das Heilige Römische Reich, das Britische Weltreich und – nach zwölf Jahren – das »Tausendjährige Reich« sind untergegangen. Danach implodierte das Sowjetimperium. Da stellt sich die Frage, ob das, was der Kalte Krieg als Gegenmacht mit Namen Europäische Union hervorbrachte, gleichfalls untergehen oder bis zur Höchstform auflaufen sollte. Den halbfertigen Bau Europäische Union wieder abzureißen, wäre ebenso ein weltgeschichtlicher Bruch, wie ihn weiter als Festung der Konzerne gegen die Armen der Welt auszubauen. Was als Europa über Jahrtausende herangereift ist, kann doch nur in den Vereinigten Staaten von Europa (VSE) seine Vollendung finden. Englisch: USE. Ja, USE wäre ein sinniges Kürzel. Den neuen Gründungsmythos liefern die USA. Sie legten 1776 mit ihrer Unabhängigkeitserklärung das Fundament für die Gründung der VSE. Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika verkündete die Ablösung der Neuenglandstaaten, der britischen Kolonien vom Mutterland. Die Unabhängigkeitserklärung der Europäischen Union müßte die Unabhängigkeit Europas von den USA, vor allem jedoch von den Konzernen erklären. Die Konzerne verfügen heute über die Macht, ganze Staaten und Gesellschaften zu erpressen und in den Konkurs zu treiben. Die europäische Unabhängigkeitserklärung könnte diese Lage beenden, indem wir an sie anknüpfen und verkünden: »Wir, die Vereinigten Zivil-Gesellschaften Europas, halten es für selbstverständlich, daß alle Menschen gleich geschaffen und mit unabdingbaren Rechten ausgestattet sind, vor allem dem Recht auf Leben und Freiheit. Das Streben nach Glück und sozialer Sicherheit in einer gesunden Umwelt soll alle Menschen verbinden, es darf nicht die demokratischen und sozialen Rechte anderer einschränken, deren ökologische Lebensgrundlagen und deren Gesundheit gefährden. Die Vereinigten Staaten von Europa dulden nicht die Herrschaft der Konzerne über die Politik. Darum unterstellen wir die Konzerne strikter demokratischer Kontrolle. ›Kriminalpräventive Mitbestimmungsrechte‹ müssen gewährleisten, daß sich die Verantwortlichen der Wirtschaftsunternehmen genauso an geltendes Recht halten oder bestraft werden wie jeder Bürger, jede Bürgerin. Wie in den USA behalten die Einzelstaaten ein hohes Maß an Eigenständigkeit. In die Zuständigkeit der Union fallen die Verteidigungs- und Außenpolitik sowie die Wirtschafts- und Strukturpolitik.« Und weiter: »Die Verfassung der VSE muß die Zustimmung von mehr als der Hälfte der Wahlberechtigen der Einzelstaaten finden. Sie muß offenlassen, ob die Wähler eine kapitalistische oder eine sozialistische Gesellschaftsordnung wollen; das ist den Mitgliedstaaten freigestellt. Die Einzelstaaten behalten ihre kulturelle und politische Souveränität. Soweit private Unternehmer nicht dafür sorgen, Grundbedürfnisse und Arbeitsplätze zu sichern, haben die Kommunen das Recht und die Pflicht, eine ebenfalls demokratischer Kontrolle unterworfene Kommunalwirtschaft (oder Genossenschaftswirtschaft) zu schaffen, die diese auf konkurrenzfähigem Niveau sichern beziehungsweise bereitstellen.« Eine solche Unabhängigkeitserklärung, die durch eine demokratisch legitimierte Verfassung in Recht verwandelt wird, müßte auch die Einhaltung der Völkerrechtsverpflichtungen garantieren. Der Ehre und den historischen Verdiensten der USA um die Durchsetzung der kapitalistischen Demokratie und den Schutz der Menschenrechte vor staatlichen Übergriffen wäre vollauf genüge getan. Die historische »Mission« der USA, weltweit kapitalistische Demokratien durchzusetzen, hat sich erledigt. Die VSE wäre dagegen, wenn demokratisch-sozialistische Kräfte sie gemeinsam erkämpften, auch für diese selbst eine Perspektive. Den Rückfall Europas in Nationalstaaten, die um die Verteilung der Ressourcen der Welt gegeneinander Kriege führen, werden die Wähler, auch wenn viele derzeit wieder einmal nach rechts tendieren, nicht zulassen. Außerdem erhält angesichts der Weltschuldenkrise und der enormen Verbrechen des Untergrundkapitalismus die Hoffnung, der europäische Einigungsprozeß, der mit der Einführung des Euro als Gemeinschaftswährung nicht abgeschlossen sein kann, werde eines Tages in die Vereinigten Staaten von Europa einmünden,– gegen die Propagandisten des Kapitals – täglich neue Nahrung. Die Kapitalstrategen der Konzerne möchten den derzeitigen Zustand am liebsten einfrieren. Denn auf der einen Seite haben die europäischen Nationalstaaten inzwischen so viel an Souveränität nach Brüssel und an die NATO abgegeben, daß sie unfähig sind, dem Mißbrauch der Konzernmacht wirksam Einhalt zu gebieten. Auf der anderen Seite aber sind die Brüsseler Kommissare weder willens noch in der Lage, im Namen der europäischen Wähler eine demokratisch kontrollierte und legitimierte Politik gegen die Konzerne durchzusetzen. Die Richtlinien der Politik bestimmen daher die Konzerne. Sie machen die bürgerliche Demokratie zur Farce. Die kriminelle Ökonomie wird zur bestimmenden Größe dessen, was an sozialstaatlichen und sozialökologischen Rechten übrig bleibt. Sozialistische Revolutionen sind in absehbarer Zeit kaum zu erwarten. Auch keine bürgerlichen Revolution, die ein sozialstaatlich-demokratisches Europa erzwingt. Das bietet den demokratisch-sozialistischen Kräften Europas die Chance, mit dem Projekt VSE den Primat der Politik über die demokratiefreien transnationalen Kapitalgesellschaften, über Medien und Rating-Agenturen zurückzugewinnen und den demokratischen Imperialismus, die »räuberische Ausbeutung« von Mensch und Natur, wofür die USA und die NATO einen Krieg nach dem anderen führen, hinter sich zu lassen. Dann könnte der Aufbau eines kapitalunabhängigen Europa beginnen, die Gleichberechtigung und Souveränität aller Zivilgesellschaften und Staaten der Welt anerkannt und damit der Weltfrieden wirksam gefördert werden.
Erschienen in Ossietzky 11/2012 |
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