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Die christliche Kirche, seit Beginn ihres Bestehens darin geübt, Legenden zu erfinden und Urkunden zu fälschen, erzählte den Gläubigen, Helena, die Mutter des Kaisers Konstantin, habe den »Heiligen Rock« von einer Pilgerreise nach Jerusalem mitgebracht. 1515 erklärte Papst Leo X. die historische Echtheit des »alten, lausigen Wamses«, wie Ulrich von Hutten damals spottete, und Martin Luther sprach von der »großen Bescheißerey« auf dem »Teufelsmarkt zu Trier« mit einem »verführerischen, lügenhaft und schändlich Narrenspiel«. Jetzt hofft die katholische Kirche, daß bei diesem Narrenspiel über sehr viel größere Schändlichkeiten ihrer Priester in Schulen, Sakristeien und Heimen zumindest eine Zeitlang und vor allem auch in Trier nicht mehr geredet wird. Neunzehn Wallfahrten zum »Heiligen Rock« hat es seit der ersten 1512 gegeben. Höhepunkt aller bisherigen war mit über zwei Millionen Pilgern die Wallfahrt im Jahre 1933, das wegen der 1900. Wiederkehr der angeblichen Auferstehung Jesu auch das »Heilige Jahr 1933« genannt wurde. Für die katholische Kirche wurde es in der Tat ein heiliges Jubeljahr, weil sie darin, kurz nach Abschluß des bis heute gültigen »Reichskonkordats«, des »Hitler-Pius-Paktes« vom 20. Juli 1933, ihre Verbundenheit mit dem Nazi-Regime ganz praktisch demonstrieren konnte. Franz von Papen, Hitlers Vizekanzler, war nach Beendigung der Konkordatsverhandlungen gleich von Rom nach Trier geflogen, wo noch viele andere »Vertreter der staatsformenden Grundgesinnung« ein »glänzendes Bild« abgaben: Der Gauleiter von Koblenz-Trier, Gustav Simon, Reichsinnenminister Wilhelm Frick und Reichpropagandaminister Joseph Goebbels, von Haus aus Katholik, salutierten gemeinsam mit dem Trierer Bischof Franz Rudolph Bornewasser und anderen Klerikern vor dem »Heiligen Rock« mit dem Hitlergruß. Bornewasser, ein früher Bewunderer der Nazi-Bewegung, schickte ein Grußtelegramm an Hitler, in dem es heißt: »... Anläßlich dieser Feier versichern wir dem Führer, der die christliche, nationale und soziale Grundlage des neuen Staates wiederherzustellen bemüht ist, unsere unverbrüchliche Mitarbeit am Neubau des Deutschen Reiches ...« Aus den 1934 erschienenen »Erinnerungsblättern« (in: »Die Wallfahrt zum Hl. Rock im Dom zu Trier 1933«, hg. von Nikolaus Irsch im Auftrag von Bischof Bornewasser) erfahren wir, wie sehr die NSDAP »sich zum Gelingen des Festes eingesetzt« hatte: Eine SA-Kapelle empfing »mit geistlichen Liedern auf dem Domfreihof die auswärtigen Pilger« und spielte bei der Schlußprozession. Erfreulich für den Bischofschronisten war auch, daß die SA »Ordnungsfunktionen« übernahm und dafür sorgte, daß jeder Dombesucher sein »Pilgerbüchlein« bei sich hatte, das er für eine Mark kaufen mußte. Nach 1945 erklärte Bornewasser gegenüber der französischen Militärregierung, er sei natürlich »nie ein Nazi gewesen« (zitiert nach Ernst Klee: »Das Personallexikon zum Dritten Reich«, 2003). Etwas später erhielt er die Ehrenbürgerschaft der Stadt Trier »für unerschrockene Verteidigung von Recht und Sitte gegen Gewaltherrschaft« (Quelle: Wikipedia). In diesem Jahr ist der Besuch beim »lausigen Wams« kostenlos. Trotzdem strömen die Menschenmassen nicht mehr so wie im »Heiligen Jahr 1933«. Bei meinem Besuch zähle ich etwa 100 Menschen im Hauptgang des Domes. Zwei junge Priester stimmen ein Pilgerlied an, einige Nonnen bekreuzigen sich unaufhörlich, bis sie an einem Zedernholzschrein vor dem Altar stehen. Unter einem einbruchsicheren Glasdeckel liegt die Reliquie. Ein Priester liest aus dem Johannesevangelium »Euer Herz erschrecke nicht«. Jemand flüstert etwas vom »echten Rock unseres Herrn«. Ein Mann neben mir beugt sich über den Glasdeckel und küßt ihn wie wohl schon Hunderte vor ihm. Vom Ausgang geht es gleich in den Wallfahrts-Shop mit unzähligen Devotionalien: Kerzen, Pilgerabzeichen, Pilgerbüchern, Heiligenbildern und Schriften. In einem »Reiseführer zum Heiligen Rock« heißt es: »Der Heilige Rock in seiner materiellen Substanz kann nicht als identisch mit dem Leibrock Jesu angesehen werden.« Im Paulinus, der bischöflichen »Tageszeitung zur Wallfahrt«, liest man das Gegenteil. Das Gerede von der »Tunika Jesu Christi« ist also Irreführung, eben eine große »Bescheißerey«, immer aber gerechtfertigt, wenn nur das Geld in der Kasse klingt und der Pilger seine Kaufkraft in die Stadt bringt. Als ein Höhepunkt der diesjährigen Wallfahrten gilt die Pilgerfahrt von 700 Soldaten. Der Trierer Bischof lobt in einem Artikel der Katholischen Militärseelsorge die Auslandseinsätze. Für die, die in Kundus »für den Frieden und die Freiheit der Völker ihr Leben verloren haben«, entzündet er eine Solidaritätskerze. Für die durch mörderische Einsätze der Bundeswehr getöteten Afghanen gibt es keine Kerze. Weiter hebt die kirchliche Presse die »Ökumenische Begegnung« hervor, den gemeinsamen Pilgerzug von 2.000 Christen aller Konfessionen. Schon früh hatte auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dafür geworben, um dadurch für die Einheit der Konfessionen zu demonstrieren; der »ungeteilte Rock Jesu« sei dafür das Symbol. Als wäre das zerrissene Tuch der Konfessionen, spätestens seit 1933, nicht schon in vielfältiger Weise zusammengeflickt worden! Einheitlich wurde das Hitler-Regime verherrlicht; einheitlich sein Vernichtungskrieg begrüßt. Einheitlich wurde der Antibolschewismus den Gläubigen gepredigt. Einheitlich wurde in der frühen Bundesrepublik für die Wiederbewaffnung gekämpft, einheitlich wurden die Jugendlichen in kirchlichen Heimen menschenunwürdig behandelt. Einheitlich unterstützten die Kirchenleitungen den »Asylkompromiß«, die Aushöhlung des Grundrechtes auf Asyl, und befürworteten 1999 den völkerrechtswidrigen Krieg der Bundeswehr gegen Jugoslawien. Wichtiger als dieses ökumenische Treffen war für die katholischen Kirche, am Folgetag die Einheit mit der Piusbrüderschaft zu demonstrieren. Diese erzkonservative Bruderschaft lebt zur Zeit noch getrennt von der Mutterkirche, hat aber Chancen, von Papst Benedikt XVI. darin wieder aufgenommen zu werden. Bekannt wurde sie durch ihren Bischof Richard Williamson, der mehrfach den Holocaust leugnete, und durch den Distriktoberen für Deutschland, Franz Schmidberger, der für die Todesstrafe und gegen Homosexuelle kämpft und behauptet, Aids sei eine »Strafe Gottes«. Der Bistumssprecher begrüßte laut Trierer Volksfreund 2.500 Piusbrüder voller Freude mit dem Motto der Wallfahrt: »Führe zusammen, was getrennt ist!« Aufmerksamkeit über Trier hinaus fanden im Wallfahrtsmonat aber auch Aktionen anderer Art: die kirchen- und rockkritischen Veranstaltungen im alternativen Kultur- und Kommunikationszentrum; die Errichtung eines von dem Trierer Künstler Helmut Schwickerath gestalteten Flügelaltars, in dessen Mittelteil als Reliquie »Die heilige Unterhose von Karl Marx« gezeigt wird; der Auftritt zweier Aktionskünstler, die – als Hitler und Papst verkleidet – an deren Komplizenschaft 1933 erinnerten, und schließlich die Demonstration von Mißbrauchsopfern vor dem Dom, die dem Bischof Ackermann vorwarfen, er schütze in seinem Bistum pädophile Triebtäter. Dazu muß noch die vorzügliche Ausstellung im Geburtshaus des größten Sohnes Triers, Karl Marx, erwähnt werden. Die nächste Schau des »lausigen Wamses« soll, geht es nach den Wünschen der Trierer Touristikmanager, in »15 bis 20 Jahren« stattfinden, ich vermute, im Jahre 2033, dem angenommenen 2000. Todesjahr Jesu. Gut möglich, daß man bis dahin auf dem Tempelberg in Jerusalem seine Peitsche findet, mit der er die Händler und Heuchler seinerzeit vom Tempelvorplatz vertrieb. Vielleicht gibt es bis dahin aber auch genügend Menschen in Trier, die dort selbst den Tempelplatz besetzen, weil sie sich die große Bescheißerey nicht länger gefallen lassen.
Erschienen in Ossietzky 11/2012 |
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