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Bei dem CDU-Mann hingegen blieb offen, ob er seiner NRW-Familie nach der Wahl treu bleiben wird ... Zwei kontroverse Themen bestimmten das »Duell«: erstens die Kleinkindbetreuung, zweitens die »Schuldenbremse«. Bei beiden warfen Kraft wie Röttgen Nebelkerzen. Daß frühkindliche »Qualifizierung«, ob nun als Wahl- oder als Pflichtveranstaltung, unter den herrschenden wirtschaftlich-sozialen Verhältnissen dem gesamten Nachwuchs die Garantie für eine spätere berufliche Karriere verschaffe, ist eine Legende, die Realität sozialer Klassen verdeckend. Und der bei SPD und CDU herrschende Glaube an die »Schuldenbremse« (der Streit geht dann darum, wer besser auf diese treten könne) täuscht über die wirklichen Probleme hinweg: wie das »Volksvermögen« verteilt ist und weiter umverteilt wird, wer an den Schulden verdient und wer sie begleichen muß. Gesellschaftliche Brüche und Abgründe, die auch in der Bundesrepublik sich längst aufgetan haben und sich vertiefen, zeigen sich in der sozialen Landschaft Nordrhein-Westfalens besonders drastisch. In vielen altindustriellen Städten verfestigen und verbreitern sich Armutszonen, auch in anderen Gemeinden ist eine soziale Infrastruktur nicht mehr zu sichern. Diese bedrängende Situation war im Kraft-Röttgen-Auftritt kein Thema. Landespolitik und Bundespolitik sind nicht trennbar, einst war Nordrhein-Westfalen das Bundesland, von dem Druck ausging in Richtung einer sozial gerechten Gesellschaftspolitik auf der Ebene des Bundes. Davon ist bei Kraft wie bei Röttgen nichts mehr zu spüren, ein leichtes Geplänkel über Mindestlohn bietet keinen Ersatz für eine Debatte über gesellschaftliche Strukturfragen. Ein »Duell«? Keineswegs. Kraft und Röttgen boten ein Duett dar, in unterschiedlichen Tonlagen, aber übereinstimmend in einer trügerischen Melodie, die dem Publikum das Gefühl geben will, in ihren Grundzügen sei unsere Gesellschaft schon ganz in Ordnung, sie müsse nur von der richtigen Partei regiert werden. In diesem Fall: von der Kraft- oder von der Röttgen-Partei. Oder eben, worüber beim »Duell-Duett« nicht gesprochen wurde, von beiden. M. W. Nonsens, meerumschlungen»Triumph für die FDP« – berichteten die Zeitungen zum Wahlergebnis in Schleswig-Holstein. Und bis auf die Linkspartei stellten sich alle Parteien als Wahlgewinner dar. Grund dazu hatten nur die Piraten. CDU, FDP, Grüne und SPD verloren im Vergleich zur vorigen Landtagswahl Stimmen, Zugewinne hatte die stärkste Partei, die der NichtwählerInnen. Die FDP triumphierte, weil sie nun wieder gegenüber der Bundeskanzlerin die Muskeln spielen lassen, sogar mit Sympathien für eine Ampelkoalition drohen kann. Politische Inhalte, alternative Politikentwürfe wurden bei dieser Show nicht geboten, die ziemlich abgedroschene Spielidee war: Wer regiert am Ende mit wem. Die Piraten hatten den Vorteil, daß bei ihnen noch ungeklärt ist, ab wann auch sie mitregieren wollen, das bringt etwas Spannung in den Ablauf. Triumphieren über ihren eigenen Erfolg konnten die maßgeblichen Medien, weil die Linkspartei sich zumindest in diesem Bundesland nicht mehr am Landtagsspiel beteiligen kann; sie gilt ihnen als nicht teilnahmewürdig. »Nach Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg« sei nun auch im nördlichsten Bundesland diese Partei »aus dem Landtag geflogen«, freute sich Spiegel online – für diese Art der Berichterstattung macht es nichts aus, daß die Linkspartei in den beiden erwähnten südlichen Bundesländern parlamentarisch gar nicht »drin« war. Insgesamt: Eine Darbietung in der Sparte »Wir spielen Demokratie« ohne Informations- und mit nur geringem Unterhaltungswert (Kubicki als Haudegen), dazu geeignet, das Interesse an Politik abzugewöhnen. M. W. Im Himmel versöhnt?Wir haben ihn hinter uns, den 100. Geburtstag des VolksBildners Axel Cäsar Springer. Ein »Feindbild« aus den schlimmen APO-Zeiten galt es jetzt auf- und abzuarbeiten – vielleicht war es nur ein bedauerlicher, beidseitiger Mangel an Empathie, der den Großverleger damals dazu brachte, Wut gegen die rebellierenden Studenten zu schüren und diese dazu, »Enteignet Springer!« zu fordern? Tilman Jens hat in einem Buch zum Jubiläum ein Happy End angeboten: Axel Cäsar Springer und Rudi Dutschke finden im Jenseits zueinander. So wäre die Bild-Maxime »Seid nett zueinander« endlich verwirklicht. Nahezu vergessen ist inzwischen, daß es sich bei der Auseinandersetzung zwischen dem Pressezaren und der außerparlamentarischen Opposition nicht um ein Psychodrama handelte. Es ging der Kampagne gegen den Springer-Konzern darum, gegen die propagandistische Machtstellung eines marktbeherrschenden Medienunternehmens anzugehen, das einem neuen, nun NATO-integrierten und »kampfbereiten« Deutschnationalismus zum Durchbruch verhelfen wollte. Ungeniert bedienten sich dabei die Springer-Zeitungen des scheinbar pro-israelischen Arguments, so als wäre die Bewunderung militärischer Schlagkraft des Staates Israel eine Art Wiedergutmachung für die hitlerdeutsche Vernichtungspolitik gegen das Judentum. Eine ideologiekritische Analyse dieses Vorganges ist nachzulesen bei Günther Anders in dem 1968 erschienenen, von Bernd Jansen und mir herausgegebenen Sammelband »Imperium Springer – Macht und Manipulation«, an dem unter anderen auch Jörg Huffschmid, Reimar Lenz, Ulrich Sander und Eckart Spoo mitgearbeitet haben. Übrigens, weil in der gegenwärtigen Publizistik gern kolportiert wird, die Anti-Springer-Kampagne sei ein Exportgut der DDR für die westdeutsche Opposition gewesen: Der Unterweisung durch das Ministerium für Staatssicherheit bedurften wir damals nicht, um auf den Gedanken zu kommen, daß die Springer-Agitation den mühsamen Versuch gefährdete, in Deutschland Demokratie einzugewöhnen und in Europa Kriegsstimmung zu verhindern. Arno Klönne Ehren-RatingEin Bundespräsident wurde aus dem Amt gedrängt, weil er persönliche Gefälligkeiten von Freunden angenommen hatte. Ihm und anderen Bundespräsidenten wurde hingegen nicht amtsverlustig verübelt, daß sie ihre Sommerfeste von Sponsoren bezahlt ließen. Diese und vergleichbare Ungereimtheiten bei Politikern haben immer mal wieder zu der Forderung geführt, Ehrenräte einzurichten. Kürzlich stand im stern: »Joachim Gauck sollte einen Ehrenrat beim Bundespräsidenten berufen, der verläßliche moralische Standards formuliert.« Nun nehmen ja auch Kellner und Friseure Trinkgelder, ohne daß ihnen das angekreidet wird und ohne daß für sie Ehrenräte gefordert werden. Die Erklärung für die mangelnde Gleichbehandlung ist, daß die Moral berufsabhängig ist wie die Kleidung, die beim Bäcker eine andere ist als beim Schornsteinfeger, beim Briefträger eine andere als beim Konzertpianisten, und daß die dem Politiker anhaftende Moral viel facettenreicher ist als die des Hairstylisten. Letzterer muß beim Haareschneiden nicht sein Gewissen zu Rate ziehen, wie es dem Politiker vom Grundgesetz aufgetragen ist. Wie der Fleischer im Interesse seiner Kunden tun darf, was Angehörigen anderer Berufe verboten ist, nämlich massenweise Tiere töten, so darf der Politiker, was anderen Leuten übelgenommen wird, durchaus: lügen und falsche Versprechungen machen, wenn das im Staatsinteresse erforderlich ist. »Er muß«, so ist in Machiavellis Buch »Der Fürst« (»Il Principe«) nachzulesen, »häufig gegen die Treue, die Liebe, die Menschlichkeit, die Religion verstoßen, um den Staat zu erhalten.« Wie nun der Metzger die Schweine nicht grausam totprügeln darf, sondern sie als Mann mit Berufsabschluß fachgerecht und sorgsam zu Wurst zu verarbeiten hat, muß der Politiker sich bei staatserhaltenden Verstößen gegen Liebe und Menschlichkeit als Könner bewähren. Denn, nur ein Beispiel, nichts ist ungehöriger als eine Lüge, die keiner glaubt. Auch darf er nicht etwa das Staatsinteresse mit dem Parteiinteresse oder dem Eigeninteresse verwechseln. Das alles muß den Abgeordneten ihr Gewissen sagen, dem allein sie laut Grundgesetz unterworfen sind. Bei der immensen Arbeitsbelastung, der sie tagtäglich ausgeliefert sind, und dem dadurch bedingten Dauerstreß des Gewissens sind Ermüdungserscheinungen der Sittlichkeit unvermeidlich. Das ist wie bei den Straßen: Je stärker der Autoverkehr, umso häufiger und tiefer die Schlaglöcher. Ehrenräte können da als moralische Reparaturkolonnen wertvolle Hilfe bei allen Erbärmlichkeiten leisten, die in einem Politikerleben auftreten. Günter Krone Manipuliert»Die Besatzungsmacht der Nationalsozialisten in den Niederlanden«? Nein, es war die Besatzungsmacht der Deutschen. Wir sagen ja auch nicht: Nordwestdeutschland war nach dem letzten Krieg von den Konservativen oder von Labour besetzt, sondern von den Briten. So werden wir sprachlich von Tagesschau, NDR Info und anderen Medien manipuliert. Karl-Heinz Thier Krieg gegen das PrekariatDie regierende Bundeskoalition hat sich beim sogenannten Betreuungsgeld eine zusätzliche Maßnahme ausgedacht: Den »Hartz IV«-EmpfängerInnen sollen die 100 (später 150) Euro für die häusliche Pflege- und Erziehungsarbeit an Kleinkindern, die nicht im Kinderhort versorgt werden, vorenthalten bleiben. Genauer gesagt: Sie sollen das Geld erst erhalten, dann aber wieder abgeben, per Abzug bei den Leistungen nach »Hartz IV«. Die Begründung: Man wolle gerade arbeitslosen Eltern nicht den Anreiz geben, sich dem bildungsfördernden Angebot der Kinderhorte zu verweigern. Bei diesem Argument handelt es sich um Vortäuschung wohltätiger Absichten – weithin nämlich stehen die angepriesenen Betreuungsplätze in Kinderhorten gar nicht zur Verfügung, und die verfügbaren zu nutzen ist gerade Eltern in materiell bedrängter Situation oft logistisch gar nicht möglich. Wenn CDU/ CSU/FDP den »Hartz IV«-Familien das Betreuungsgeld verweigern wollen, so verfolgen sie damit ein ganz anderes Ziel, und sie setzen damit ein Konzept des »Deutschlandretters« Thilo Sarrazin (Mitglied der SPD) um: Den Armutsschichten (speziell denen mit »Migrationshintergrund«) soll das Kinderkriegen abgewöhnt werden. Um soziale Selektion geht es, den Nachwuchs hierzulande sollen die begüterten Schichten hervorbringen, die ja vermeintlich Begabung garantieren. Die »Herdprämie« nur für »wertvolles Menschenmaterial« – unter einer Bundesregierung, die von einer »christlichen« Partei geführt wird. Kampf gegen die Armen, nicht gegen die Armutsursachen. Empörung über diesen Plan äußerten nicht nur die Sozialverbände, sondern auch SPD und Grüne. Das ist seltsam, denn diese Parteien lehnen doch das Betreuungsgeld generell ab, weil es Frauen dazu verführe, nicht am Erwerbsleben teilzunehmen. »Humankapital« bleibe so ungenutzt. Hier wird verschleiert, daß der Zugang zu einem halbwegs existenzsichernden Arbeitsplatz vielen Frauen gar nicht offen steht. Vehement wenden sich gegen den Plan eines Betreuungsgeldes die Arbeitgeberverbände. Aus feministischen Gründen? Um auch Frauen mit Kleinkindern zur beruflichen Karriere anzuspornen? Ach was – es soll der Druck erhöht werden, miserabel bezahlte Teilzeitjobs zu übernehmen. So erweist sich die Debatte um die »Herdprämie« als ein Spiel mit falschen Karten, auf allen Seiten. A. K. Weltkulturerbe?Die Gemeinde Worpswede im Landkreis Osterholz-Scharmbeck bemüht sich, als Stätte des Weltkulturerbes eingestuft zu werden. Vor einigen Jahren hätte ich gemeint: mit Recht. Und hätte dabei vor allem an Paula Modersohn-Becker und Heinrich Vogeler gedacht. Sie ging nach Paris, er nach Moskau, lange vor 1933. Otto Modersohn blieb, Hitler verlieh ihm den Titel Professor. Martha Vogeler blieb und trachtete, in ihrer Handweberei eine »neue artgemäße Volkstracht« zu schaffen; für die Olympischen Spiele 1936 durfte sie Ehrengaben herstellen. Mit ihnen blieben Schriftsteller wie Manfred Hausmann und neben vielen anderen bildenden Künstlern auch Fritz Mackensen, der wie die meisten der NSDAP beitrat; 1946 erklärte er, »ausschließlich im Interesse des Weltrufs Worpswedes als wertvolle Kunststätte gehandelt« zu haben. 1952 verlieh ihm Bundespräsident Heuss das Bundesverdienstkreuz. Christian Evers, Propaganda-Funktionär der NSDAP und von 1919 bis 1945 Bürgermeister des nahegelegenen Künstlerdorfs Ritterhude, wurde 1948 Landrat des Kreises Osterholz. Der rassistische Schriftsteller Waldemar Augustiny hatte es zuvor schon zum Leiter des Entnazifizierungsausschusses des Kreises gebracht. Er stellte »Persilscheine« für die Hitler-Bedichterin Agnes Miegel (Politik habe »außerhalb des Gesichtsfeldes ihres Genies« gelegen, bescheinigte er ihr) und für hohe Funktionäre der NS-Reichsschrifttumskammer aus. Und erhielt dann das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. Ferdinand Krogmann, der sich vor Jahren schon gelegentlich in Ossietzky mit Worpswedes brauner Vergangenheit beschäftigt und damit in der Gemeinde manchen Unwillen erregt hat, präsentiert nun in seinem Buch »Worpswede im Dritten Reich« reiche Belege für Kontinuitäten, die viel weiter als ins Jahr 1933 zurückreichen und 1945 nicht endeten, und er zerrupft allerlei Lügen und Legenden, Worpswede sei eine »Insel« im Nazi-Staat gewesen. Krogmann hat fleißig geforscht und gesammelt. Es sind gerade die Einzelheiten – aus Künstlerbiografien, aber zum Beispiel auch aus dem Vereinswesen, dem Handwerk, der Lehrerschaft – die mich beeindrucken. Trotz dieser Detailfülle läßt das Buch freilich auch manche Lücken – verzeihlich angesichts des Ausmaßes seiner Thematik. Erschreckend aber ist für mich, daß sich in einem solchen aufklärerischen Buch ein Satz findet, in dem der Autor das Ergebnis der Landtagswahl 1930 so zusammenfaßt: »Mit insgesamt 218 Sitzen verfügten die Nationalsozialisten und Kommunisten im Preußischen Landtag fortan über die absolute Mehrheit.« Was sagt uns der Autor damit – außer daß ihm daran gelegen ist, uns zu suggerieren, daß die Nazis und deren entschiedenste Gegner und erste Opfer irgendwie eins seien? Und dann bleibt noch die Frage, ob Worpswede als Weltkulturerbe gelten soll. Gehört Rassismus dazu? Und Führerkult? Und Kriegshetze? Läßt sich das, was nicht dazugehören soll, einfach beseitigen? Wie? Jedenfalls nicht durch Verschweigen, Verharmlosen, Beschönigen. Eckart Spoo Ferdinand Krogmann: »Worpswede im Dritten Reich«, Donat Verlag, 304 Seiten, 19,80 €Armenisches RequiemAtemlose Stille herrschte, als die Schauspielerin Elke Petri den erschütternden Bericht von Aghavni Vartianian, einer Überlebenden des Genozids an den Armeniern, eindringlich vortrug. Am 24. April fand in der Französischen Friedrichstadtkirche Berlin ein Gedenken an die Opfer dieses am Rande des Ersten Weltkrieges verübten Massenmordes statt. 1,5 Millionen unschuldige Menschen sind zu beklagen. Die Regierung des Osmanischen Reiches organisierte den Genozid – entschlossen, das armenische Volk auszulöschen. Vierzig Länder haben das Verbrechen inzwischen als solches anerkannt. Nach wie vor leugnet aber die türkische Regierung den Genozid und erschwert damit die Beziehungen nicht nur zu Armenien, sondern auch zu anderen Ländern. Micha Brumlik von der Goethe-Universität Frankfurt am Main benannte in seiner Rede die deutsche Mitschuld an den Greueltaten; sein Vortrag beeindruckte durch tiefe Quellenkenntnis und polemische Schärfe. »Armenien. Ein Requiem« und »Erschießung« sind Werke des armenischen Künstlers Archi Galentz, die derzeit in der Galerie der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde in der Berliner Weitlingstraße 89 zu sehen sind. Die Ausstellung läuft noch bis zum 8. Juni. An der Eröffnung nahmen die Diaspora-Ministerin der Republik Armenien und andere diplomatische Vertreter teil. In seiner Rede hob der Laudator die Kraft der armenischen nationalen Traditionen hervor. Die Gemälde widerspiegeln das Verhältnis des Künstlers zur Natur, zur Schönheit seiner Heimat und vermitteln seine Lebensfreude. Kleinformatige Porträts in verschiedenen Techniken, viele Skizzenblätter und stark farbige Landschaften und Stilleben prägen die sehenswerte Bilderschau. Archi Galentz entstammt einer berühmten Künstlerfamilie. Er wohnt und arbeitet in Berlin. Ins Gästebuch schrieb die Ministerin: »... Das ist ein wunderbares Beispiel für die deutsch-armenische Freundschaft. Archi Galentz zeigt mit seiner Kunst auch seine Trauer, den Schmerz seiner Seele über den Völkermord an den Armeniern. Damit macht er die Öffentlichkeit der deutschen Gesellschaft auf diese menschliche Tragödie aufmerksam, die die Welt kennen und verstehen muß, damit sie in Frieden leben kann.« Maria Michel Walter Kaufmanns LektüreEin Verleger, der sich von einem seiner Autoren enttäuscht sieht – die Rechte zu dessen Gesamtwerk wurden ihm genommen – macht sich auf den Weg über den Atlantik ins ferne Arkansas, um dort dem Bruder dieses Autors Erinnerungen zu entlocken: über die Kindheit im jüdischen Elternhaus, ihr Schicksal unter Hitler und dessen rumänischen Vasallen, und wie die beiden das Leben im Ghetto und den Holocaust überlebten und nach Kriegsende Amerika erreichten – Land des Aufstiegs für den einen, Land der Enttäuschung für den anderen. Die Rede ist von Edgar und Manfred Hilsenrath. Und es muß eine besondere Bewandtnis gehabt haben, daß Volker Dittrich sich die Mühe machte, der Lesergemeinde Edgar Hilsenraths Auskünfte zu vermitteln, die dessen Romane, so autobiographisch sie auch geprägt sind, nicht hergeben. »So und nicht anders war mein Bruder wirklich«, könnte Manfred Hilsenrath ihm irgendwann gesagt haben, »und mögen sich auch die Lebensläufe von Edgars Romanhelden mit denen ihres Autors kreuzen, gänzlich wie er ist keiner – das alte Lied von Dichtung und Wahrheit ...« Manfred Hilsenrath steigerte sich bei freier Rede, die Volker Dittrich mit Akribie festhielt, ins Erzählerische – es war, als steckten auch in ihm, der es von rags to riches gebracht hatte, vom mittellosen Einwanderer ohne Schulabschluß zum leitenden Mitarbeiter in der amerikanischen Raumfahrtforschung, schriftstellerische Fähigkeiten. Was er über den eigenen wie den Werdegang seines Bruders zu Gehör brachte, summiert sich mit dem, was Volker Dittrich aus Edgar Hilsenraths Romanen zitiert, zu einem faszinierenden Doppelportrait. Auch läßt »Zwei Seiten der Erinnerung« die tiefe Anteilnahme Volker Dittrichs am Schicksal jüdischer Menschen in finsterer Zeit erkennen. Das Buch wird Edgar Hilsenrath neue Leser bescheren. W. K. Volker Dittrich: »Zwei Seiten der Erinnerung. Die Brüder Edgar und Manfred Hilsenrath«, Dittrich Verlag, 254 Seiten, 17,80 € »Freiheit« der Töchter und Söhne»Berufsrevolutionäre sollten sich keine Kinder anschaffen«, und »Kinder haben den Eltern widerspruchslos zu folgen« – so hieß es früher, aber früher war sowieso alles falsch. Wer in der DDR rebellierte und »fort« wollte oder mußte, das waren meist Leute mit Berufen, und ihr Freiheitsbestreben entwickelte sich allmählich. Da hatten sie schon Familie. Als nach der Biermann-Ausweisung das große Ausreisen eine Massenerscheinung vor allem unter Künstlern wurde, mußten die Kinder mit – ob sie wollten oder nicht. Nun haben die Schwestern Anna und Susanne Schädlich Kinder anderer Ausgereister nach ihren Erlebnissen und dem damaligen Befinden gefragt, und so entstand eine ungewöhnliche Textsammlung. Moritz Schleime, Nadja Klier, Elyah Havemann, Benjamin Schlesinger, Moritz Kirsch, Moritz Krawczyk, Anna Langhoff und andere – alles Söhne oder Töchter bekannter Künstler aus der DDR – erinnern sich und berichten von der jähen Veränderung in ihrem Leben: Weg von Freunden, Großeltern, der gewohnten Schule und plötzlich in einer bunten Warenwelt und inmitten von Schulkameraden, die ganz anders »tickten«. Vater und Mutter hatten zudem in der neuen Welt eigene Sorgen. Das war für die Kinder nicht leicht, und einige reagierten entsprechend verletzt. Nun, als Erwachsene, reflektieren die meisten sehr genau und sensibel, was mit ihnen passierte. Das wirft einen Blick auf ein kleines Stück deutscher Geschichte, ist aber genauso anregend für die Leser, über ihre Verantwortung als Vater oder Mutter nachzudenken. Freiheit als Utopie für alle und Freiheit für das eigene Kind – das kann konkret sehr vieles und sehr Verschiedenes bedeuten. Christel Berger Anna Schädlich, Susanne Schädlich (Hg.): »Ein Spaziergang war es nicht. Kindheiten zwischen Ost und West«, Heyne Verlag, 317 Seiten, 19,90 € Von Breslau nach NaharijaDas Lebensbild der Karla Wolff erschien schon einmal vor zwei Jahrzehnten, ohne daß es eine breitere Leserschaft fand. Nun wurde es wieder gedruckt und in die bis zum 119. Band gediehene Reihe der vom Centum Judaicum herausgegebenen Jüdischen Miniaturen aufgenommen. Das ist verdient. Die Autorin, die im vergangenen Jahr Berlin besuchte, wurde 1928 in der Familie Grabowski in Breslau geboren. Sie war Kind einer »Mischehe«, einer Verbindung eines Juden und einer Christin, was zunächst nichts bedeutete. Wenige Jahre später hatte sich das geändert. Derlei Ehebünde wurden diffamiert, die sie eingegangen waren, unter Druck gesetzt, sie aufzulösen, die aus ihnen hervorgegangenen Kinder als »Mischlinge« und »Halbjuden« herabgesetzt und benachteiligt. Die Ehe der Grabowskis hielt dem allen stand, und die zehnjährige Tochter entschied sich im Jahr des Pogroms für das religiöse Bekenntnis ihres Vaters, mit dem sie eine besonders enge Beziehung verband. Das bedeutete in den folgenden Jahren Zug um Zug ihren Ausschluß aus der für »arisch« erklärten Volksgemeinschaft. Als sie 1942 die Schule verließ, blieb ihr als Arbeitsstätte nur der Rest der sozialen und karitativen Einrichtungen der jüdischen Gemeinde, deren Angehörige in Judenhäusern zusammengepfercht und in Arbeitslagern geschunden wurden. Mit deren Deportation zu den Mördern war im Oktober 1941 begonnen worden. Die Heranwachsende arbeitete in einem Altersheim, in der Krankenpflege und half auf dem jüdischen Friedhof, Tote zur letzten Ruhe zu betten. Dann geriet sie in das Chaos der »Festung Breslau«, in der sich mit der mehrfachen Todesdrohung durch die Judenjäger wie durch Kriegshandlungen zugleich die Notwendigkeit und die Chance des Untertauchens ergaben. Die Familie überlebte. Zu den ergreifenden Darstellungen dieses Berichts gehört die Schilderung der Sammlung des Häufleins von Juden, die den Mördern entgangen waren und, als die Waffen schwiegen, einander im Zentrum der zertrümmerten Stadt nahe der alten Synagoge suchten. Des Bleibens war auch für sie in der nun dem neuen Polen zugesprochenen Stadt nicht. Erfurt, dann Fulda wurden die Stationen ihres Weges nach Westen, der dort nicht endete. Während Vater und Mutter sich nach den USA wandten, wenige Jahre später aber von dort nach Deutschland (West) zurückkehrten, stand für die Tochter fest, daß sie nur im und mit »dem jüdischen Volk« leben wolle und könne. Nach einer Vorbereitungszeit in einer Ausbildungsstätte in Hessen kam Karla Wolff 1947 in Palästina an. Sie gehörte zur Pioniergeneration des Staates Israel. Sie erzählt von den ersten Jahrzehnten ihres Lebens dort, der Gründung der Familie, dem Heranwachsen ihrer Kinder und ihrer Arbeit als Krankenpflegerin, ein Feld, auf dem sie einst begonnen hatte. Am Ende fragt sie, wie ihr Leben verlaufen wäre, würde sie in »normale Zeiten« hineingeboren sein. Doch unterläßt sie Vermutungen. Die letzten beiden Sätze ihres Berichts lauten: »Man soll nicht nachdenken. Es hat wohl alles seine Bestimmung.« Da werden ihr die meisten Leser doch hoffentlich nicht folgen. Kurt Pätzold Karla Wolff: »Ich blieb zurück. Erinnerungen an Breslau und Israel«, Hentrich & Hentrich, 200 Seiten, 14,80 € Papier aus ChinaHelene Weigel wird als Intendantin des Berliner Ensembles und große Schauspielerin – vor allem in den Brecht-Stücken »Die Gewehre der Frau Carrar« und »Mutter Courage und ihre Kinder« – unvergessen bleiben. Die Leitung des Theaters erforderte Organisationsgeschick. Wie sie dies unter anderem bewerkstelligte, zeigt ein Brief, den sie im Jahr 1960 an den damaligen DDR-Minister für Außenhandel, Heinrich Rau, schrieb. Unter der Anrede »Lieber Heiner Rau« bat sie ihn geradezu liebevoll, sich dafür einzusetzen, daß das Berliner Ensemble für die Bühnengestaltung gutes Papier erhalte, wie es vor allem in China hergestellt werde. Der Brief endete mit den Worten »Dein alter Flirt Heli«. Es ist nicht überliefert, ob Rau der Bitte entsprochen hat, angesichts eines so charmant geschriebenen Briefes kann man sich eine andere Reaktion kaum vorstellen. Ein schöner Beleg für menschlichen Umgang aus dem Jahr 1960, vier Jahre nach Brechts Tod. Ralph Dobrawa An die LokalpresseDie Berliner Woche machte auf die Ausstellung »Handzahm – Kunst auf der Hand« im Linden-Center Hohenschönhausen aufmerksam: Im Rahmen des Events werde ein Spezialist für Körperbemalung durch die Bemalung von Händen »auf die Mißstände in der Welt aufmerksam machen«. Ich finde, das ist ein löbliches Anliegen. Wie die Zeitung mitteilt, hat auch Ex-Boxer Henry Maske eine seiner Hände zur Verfügung gestellt. Das ist Henry, wie wir ihn kennen und lieben! Seine Hand soll am 12. Mai öffentlich durch ein Tierbild veredelt werden. Wie das Blatt verrät, soll das Werk anschließend versteigert werden. Wie soll das aber gehen? Hat die ehemalige DDR-Losung »Meine Hand für mein Produkt« dabei Pate gestanden? Wird die zum Kunstwerk gestylte Hand vom ehemaligen Nutzer getrennt? Wurde Maske über die körperlichen und versicherungsrechtlichen Konsequenzen gründlich und rechtzeitig informiert? Nun ist mir natürlich klar, daß Henry nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn nicht unbedingt auf beide ehemalige Boxerhände angewiesen ist, aber es gibt doch eine Reihe von Verrichtungen, die durch den Einsatz des ungestutzten Fingersystems wesentlich besser vonstatten gehen. Vielleicht kann uns der Künstler über diesbezügliche bisherige Erfahrungen ins Bild setzen? – Nele Tausendschön (28), Designerin, 49838 Handrup Wolfgang Helfritsch
Erschienen in Ossietzky 10/2012 |
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