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In den frühen neunziger Jahren hatte die kubanische Regierung etliche Männer nach Florida geschleust, die die zahlreichen antikubanischen und konterrevolutionären Organisationen unterwandern, deren terroristische Aktivitäten gegen Kuba auskundschaften und die Informationen nach Hause weitergeben sollten. Das verstieß zwar gegen US-amerikanische Gesetze. Eine Spionagetätigkeit gegen die USA, wie sie ihnen von Anklage und Gericht vorgeworfen wurde, kann man aber nur dann daraus konstruieren, wenn man unterstellt, daß die US-Behörden jene illegalen antikubanischen Aktivitäten aktiv unterstützten und sich zu eigen machten. Dafür spricht vieles, denn die US-Behörden hatten Kenntnis von den völkerrechtswidrigen Aktivitäten und haben nichts gegen sie unternommen. Im Juni 2007 sprach die US-amerikanische Justiz Luis Posada Carilles, CIA-Agent und einer der bekanntesten und gesuchtesten Terroristen, von dem Vergehen der illegalen Einreise in die USA frei. Er hatte die Explosion eines Flugzeuges der »Cubana de Aviación« am 6. Oktober 1976 auf dem Gewissen, bei der 73 Passagiere ums Leben kamen. Er ist auch verantwortlich für mehrere Bom-benanschläge auf touristische Anlagen in Kuba. Wegen seiner Terroraktivitäten, die sich nicht auf Kuba beschränkt hatten, war er in Venezuela inhaftiert gewesen, hatte aber aus dem Gefängnis fliehen können. Seine Anschläge gegen kubanische Einrichtungen hatte Carilles unter anderem von El Salvador aus organisiert, wo er mit der CIA unter der Leitung des berüchtigten Oliver North die Rückzugsmöglichkeiten für die Contras in Nicaragua sowie die Waffentransporte im Rahmen des Iran-Contra-Skandals koordinierte. Im Jahr 2000 hatte er einen Bombenanschlag auf Fidel Castro während dessen Rede beim Iberoamerikanischen Gipfel in Panama vorbereitet. Er wurde mit seinen Komplizen gefaßt, aber vier Jahre später begnadigt. 2005 tauchte er wieder in den USA auf und wurde dort bei einer Pressekonferenz verhaftet – er hatte sich offensichtlich zu sicher gefühlt. Der Freispruch im Mai 2007 und die Entlassung von Posada Carriles aus dem Gefängnis zeigen die skandalöse Seite des US-amerikanischen Kampfes gegen den Terror. Dieser Kampf schützt die Karriere eines sich offen zum Terror bekennenden Kriminellen, der nun als freier Bürger in den USA seinen Lebensabend verbringen kann. Gleichzeitig verfolgen FBI und Justiz gnadenlos die Versuche derjenigen, die den von US-amerikanischem Territorium ausgehenden Terror verhindern wollen. Die USA wären selbst verpflichtet, ihn zu unterbinden. Nur selten zeigt sich die Verlogenheit einer Kampagne so deutlich wie bei der Vorzugsbehandlung dieses Terroristen und der Verfolgung von Menschen, die sich dem Kampf gegen den Terrorismus verschrieben haben. Wer weiß schon in Europa, daß durch die Anschläge dieser Terroristen, die zumeist aus exilkubanischen Kreisen stammen und von der CIA ausgebildet worden sind, in den Jahren bis 1999 etwa 3.500 Kubaner getötet wurden und 2.100 schwere Verletzungen erlitten? Wer weiß von den schweren Schäden, die die kubanische Wirtschaft dadurch erlitten hat? Die kubanische Regierung hatte dem FBI 1998 umfassendes Material über die Aktivitäten der Exilkubaner übermittelt, das ihre Aufklärer in Florida gesammelt hatten. Darunter waren Sprengstoffsubstanzen, die von Bomben stammten, die in einem Hotel und einem Touristenbus entdeckt worden waren, Mitschnitte von Luis Posada Carriles’ Telefonaten, die Informationen über Terroranschläge in Kuba enthielten, und anderes eindeutiges Beweismaterial. Das FBI zeigte sich zwar beeindruckt und versprach Ermittlungen gegen die Terrormafia. Es täuschte jedoch seine Gesprächspartner in Havanna und wandte seine ganze Aufmerksamkeit den Informanten zu, von denen es schließlich zehn in einer spektakulären Aktion am 12. September 1998 verhaftete. Zwei Tage später erklärte der US-Staatsanwalt auf einer Pressekonferenz im Hauptquartier des FBI: »Dieser Spionagering wurde von der kubanischen Regierung geschickt, um unser nationales Sicherheitssystem, ja, unseren demokratischen Rechtsablauf mitten ins Herz zu treffen.« Zynischer kann man sich auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kaum berufen. Niemand hätte etwas einwenden können gegen eine Anklage wegen unerlaubter Undercover-Aktivitäten. Aber auch bei weitestgehender Auslegung erlaubt das Strafgesetzbuch schwerlich eine Anklage und spätere Verurteilung wegen »Verschwörung zu Spionage und Mord«. Die Angeklagten hatten ja mit ihrer »Spionage« schwerste Verstöße gegen das Völkerrecht, die private Gruppen vom US-Territorium aus regelmäßig begingen, verhindern wollen. Sie hatten nie das staatliche Sicherheitssystem der USA selbst im Blick und hatten keinerlei Informationen darüber weitergeleitet. Das Gericht tagte in Miami, Hochburg der Exilkubaner und ein wegen seiner notorisch antikubanischen Atmosphäre vollkommen ungeeigneter Ort für ein faires Gerichtsverfahren. So sah es im August 2005 auch eine Berufungskammer des Gerichts in Atlanta, welche die Urteile als unfair und rechtswidrig aufhob und einen neuen Prozeß an einem neuen Ort verlangte. Im März davor hatte schon eine »Arbeitsgruppe gegen willkürliche Haft« der UN-Menschenrechtskommission in Genf harte Kritik an den Haftbedingungen und dem Verfahren geübt. Amnesty International bezeichnete das Verfahren später ebenfalls als unfair. Nach der Verhaftung waren die Gefangenen 17 Monate in Isolationshaft gehalten worden, der Kontakt zu ihren Anwälten und der Zugang zu Beweismitteln war dadurch stark eingeschränkt – ein schwerer Verstoß gegen die Habeas Corpus-Rechte der Angeklagten. Zudem hatte das Gericht alle von den Verhafteten gesammelten Dokumente und Materialien sowie andere Beweismittel nach dem Classified Information Procedures Act (CIPA) als geheim eingestuft und damit dem Zugang durch die Anwälte entzogen. Es herrschte ein Klima der Voreingenommenheit und Vorverurteilung gegen die Angeklagten, das keinen fairen Prozeß im Sinne des Artikels 14 des Internationalen Paktes über die bürgerlichen und politischen Rechte zuließ. Inzwischen ist auch erwiesen, was schon immer vermutet wurde: Die meisten Journalisten, die über den Prozeß berichteten, standen auf der payroll der Regierung. Das Urteil lautete auf dreimal lebenslang, einmal 19 und einmal 15 Jahre Gefängnis. Einer der Verurteilten, René Gonzáles, wurde zwar im Oktober 2011 entlassen, er darf aber noch drei Jahre lang die USA nicht verlassen, um zu seiner Familie zurückzukehren. Die Berufungskammer in Atlanta listete in ihrer Entscheidung, wonach Miami ein ungeeigneter Prozessort gewesen war, all die Gruppen auf, die seit Jahrzehnten terroristische Operationen gegen Kuba unternommen hatten: Alpha 66, Brigade 2506, Brothers to the Rescue, Independent und Democratic Cuba, Comandos L, Cuban American National Foundation und andere. Sie folgerte daraus, »die Annahme, daß diese Gruppen die Richter derart einschüchtern können, daß das Urteil ungünstig beeinträchtigt wird«, sei »naheliegend«. Die Freude über diese Entscheidung dauerte ein Jahr, dann hob das Gericht in Atlanta die Entscheidung dieser Kammer auf. Nun sind alle juristischen Möglichkeiten erschöpft, die grundsätzliche Legitimation des Prozesses kann nicht mehr wirksam vor Gericht angegriffen werden. Ich erwähne hier nur einen der zahlreichen Aspekte, die diesen Prozeß belasten: Gerardo Hernández ist wegen »Verschwörung zum Mord« zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt worden. Dem lag folgender Tatbestand zugrunde: Die kubanische Regierung hatte nach zahlreichen Warnungen an die Behörden der USA schließlich ernst gemacht und zwei der drei in ihren Luftraum eindringenden Kleinflugzeuge der Gruppe »Brothers to the Rescue« abgeschossen. Vier der Abenteurer starben, während der Organisator dieser Provokation, der Schweinebucht-Veteran Basulto, vorher abdrehte und sicher wieder in Miami landete. Das Gericht machte Gerardo Hernández für den Abschuß durch die Kubaner verantwortlich. Er war offensichtlich über die Flüge unterrichtet gewesen. Der Tatbestand der Verschwörung verlangt jedoch, daß der Angeklagte von dem geplanten Abschuß zumindest gewußt hat. Das konnte die Regierung nach eigenem Eingeständnis nicht beweisen. Auch die Kammer hatte in der ersten Anhörung 2004 auf das Fehlen von Beweisen hingewiesen. Auf die Überlegung, daß jede Regierung eines souveränen Staates, also auch Kuba, befugt ist, sein Territorium gegen Provokationen und Grenzverletzungen zu schützen, verschwendete das Gericht kein Argument. Der Antiterrorkampf steht im Zentrum der Außenpolitik der USA. Mit ihm legitimieren sie ihre Kriege in Afghanistan und Irak sowie ihre weltweiten militärischen Interventionen, ob in Sudan oder Somalia, vollkommen ohne Rücksicht auf Völkerrecht und UNO-Charta. In diesem Kampf hat auch die Justiz ihre Aufgaben. Es kommt allerdings darauf an, wie man den Terror definiert. Die fünf Kubaner, die sich unbewaffnet und ohne jeden Kontakt zu internationalen Terrornetzwerken in die exilkubanischen Gruppen eingeschlichen hatten, um deren Aktivitäten gegen Kuba zu entlarven und zu unterbinden, werden von den US-amerikanischen Gerichten zu Terroristen erklärt. Gemeinhin gelten jedoch gerade die Aktivitäten, die die Fünf verhindern wollten, als Terror: Attentate, Sprengstoffanschläge, Eindringen in fremden Luftraum. Offenkundig unterstützen US-Administration und CIA diesen Terror. Sie sind nicht daran interessiert, von ihrer Südküste ausgehende offene Kriminalität und völkerrechtswidrige Intervention zu unterbinden, solange sie sich gegen Kuba richten. Nun reiht sich auch die Justiz in diesen Kampf ein und straft damit ihren Anspruch auf politische Neutralität Lügen. Die Fünf sind in verschiedenen, weit voneinander getrennten Hochsicherheitsgefängnissen inhaftiert. Das erschwert die Kommunikation nicht nur mit ihren Verteidigern, sondern auch mit ihren Angehörigen, sofern ihnen überhaupt Besuche erlaubt werden. Während der 17 Monate Isolationshaft war jeglicher Kontakt zu den Angehörigen unterbunden, von denen die meisten bis zur Verhaftung nichts von der Mission der Fünf in den USA gewußt hatten. Den Ehefrauen von Gerardo Hernández und René Gonzáles wurde bis heute die Einreise in die USA verwehrt, so daß sie seit über 13 Jahren – gegen jedes internationales Recht – keinen Kontakt zu ihren Ehemännern haben. Im Rahmen einer internationalen Woche der Solidarität habe ich in Washington Gespräche gesucht. Die US-amerikanischen Medien nahmen von den zahlreichen Aktivitäten dieser Woche keine Notiz. Keiner der Senatoren oder Abgeordneten des Kongresses fand sich persönlich zu einem Gespräch bereit, sie sandten ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die meisten hatten von diesen Gefangenen noch nie gehört. Eher war ihnen der Fall Alan Gross bekannt. Dieser Mitarbeiter eines US-amerikanischen Entwicklungshilfswerks, der sich in Kuba als CIA-Spion entpuppte, wurde zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Vielleicht läßt sich über ihn eine Lösung erreichen, ein Austausch – aber sicher nicht vor der Präsidentschaftswahl im November. Die kubanische Regierung setzt nach wie vor auf die internationale Solidaritätsbewegung, die gestärkt und erweitert werden muß, um die fünf Männer aus dieser unwürdigen Gefangenschaft befreien. Weitere Informationen zum Thema gibt es unter www.norman-paech.de.
Erschienen in Ossietzky 10/2012 |
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