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Mit der geplanten Verbunddatei und den neuen Abwehrzentren werden Polizei, Geheimdienste und teilweise das Militär auf problematische Weise verzahnt – unter Mißachtung des Verfassungsgebots einer strikten Trennung dieser Sicherheitsbehörden. Was bezweckt Innenminister Friedrich mit diesen drei Projekten und wo liegen die Probleme? Das Nationale Cyber-Abwehrzentrum (NCAZ) ist eine Kooperationseinrichtung deutscher Sicherheitsbehörden auf Bundesebene zur Abwehr elektronischer (Hacker-)Angriffe auf informationstechnische Infrastrukturen des Staates und der Wirtschaft. Das Ziel erscheint vernünftig: Prävention, Information und Frühwarnung vor sogenannten Cyber-Angriffen. Das Abwehrzentrum wurde im Februar 2011 gegründet und am 16. Juni 2011 vom Bundesinnenminister eröffnet. Es ist beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) angesiedelt und hat seinen Sitz im Bonner Stadtteil Mehlem. In dieser Cyber-Wacht am Rhein kooperieren unter anderen das BSI, das Bundeskriminalamt (BKA), der Bundesnachrichtendienst (BND), das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sowie die Bundespolizei, das Zollkriminalamt und nicht zuletzt die Bundeswehr. Im Kampf gegen das Böse und Subversive müssen alle staatlichen Kräfte gebündelt werden – das ist die gängige Begründung der Bundesregierung für solch problematische Ämterverquickung. Operative Abwehr von Cyber-Attacken also auf »Teufel komm raus« und ohne Rücksicht auf verfassungs- und datenschutzrechtliche Machtbegrenzungen. Das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus (GAR) ist eine Reaktion auf die bekannt gewordene Neonazi-Mordserie und auf das skandalöse Versagen der Sicherheitsbehörden. Im GAR arbeiten – dem Vorbild des Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrums zur Bekämpfung des »islamistischen Terrorismus« in Berlin-Treptow folgend – die Bundes- und Landeskriminalämter, die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, BND und Militärischer Abschirmdienst (MAD) sowie die Bundesanwaltschaft und Europol zusammen – insgesamt 40 Behörden mit bis zu 140 Behördenvertretern, davon jeweils mindestens 50 Kräfte von BKA und Verfassungsschutz. Das GAR soll die Kooperation und Koordination der Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus und -terrorismus verbessern sowie den Informationsaustausch zwischen den polizeilichen und nachrichtendienstlichen Sicherheitsstellen aus Bund und Ländern bündeln. Die so gewonnenen und zusammengeführten Informationen sollen »schnell und ausgerichtet auf die Umsetzung von operativen Maßnahmen« aufbereitet werden (so das Bundesministerium des Innern am 6. Februar). Das bedeutet, daß auf dieser Grundlage gegen Verdächtige mit geheimdienstlichen oder polizeilich-repressiven Maßnahmen vorgegangen werden darf. Damit soll ein »permanenter Fahndungs- und Verfolgungsdruck auf die rechtsextreme Szene« ausgeübt werden, so BKA-Chef Jörg Ziercke. Eine Gemeinsame zentrale Verbunddatei gewaltbezogener Rechtsextremismus von Polizei und Verfassungsschutz soll demnächst eingerichtet werden – parallel zu der schon seit 2007 bestehenden gemeinsamen Antiterror-Verbunddatei »islamistischer Terrorismus«, gegen die eine Verfassungsbeschwerde läuft und für die bereits 2006 die Innenministerkonferenz einen präventiv verliehenen BigBrotherAward erhielt. Die neue Verbunddatei soll von allen bundesdeutschen Polizeien und Geheimdiensten des Bundes – mit Ausnahme des BND – und der Länder bestückt und genutzt werden. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat die geplante Verbunddatei gegen den Vorwurf verteidigt, es handele sich um eine Gesinnungsdatei – schließlich würden dort lediglich Rechtsextremisten eingetragen, die einen klaren Gewaltbezug aufweisen. In der Datei werden allerdings nicht etwa nur Daten rechtskräftig verurteilter Gewalttäter gespeichert, sondern auch mutmaßlicher Rechtsextremisten, die lediglich aufgrund geheimdienstlicher Vorfelderkenntnisse als gewalttätig oder gewaltbereit eingestuft werden. Im Kern handelt es sich um eine Präventivdatei mit Daten von Verdächtigen. Erfaßt werden sollen dabei auch Kontaktpersonen, die (nicht nur flüchtige) Kontakte zu gewaltbereiten Neonazis halten. Insgesamt sollen etwa 10.000 Datenprofile zusammengeführt und in die Verbunddatei eingestellt werden. Mit all diesen neuen Instrumenten erfährt die exekutive Staatsgewalt eine weitere Entgrenzung. Polizeiliche und geheimdienstliche Kompetenzen werden zentralisiert und zusammengeführt. Beim Cyber-Abwehrzentrum kommt sogar noch die unmittelbare Kooperation von Sicherheitsbehörden und Militär hinzu und damit die Verwischung der Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit. Was aber ist so problematisch an der Ämterverquickung und an gemeinsamen Datenpools von Polizei und Geheimdiensten? Eine solche Zusammenführung bedeutet – trotz anderslautender Beteuerungen, trotz eingebauter Hürden – die Aufhebung der verfassungsgemäßen Trennung von Polizei und Geheimdiensten. Dieses Trennungsgebot war eine historisch bedeutsame Konsequenz aus den bitteren Erfahrungen mit Reichssicherheitshauptamt und Gestapo der Nazizeit, die sowohl geheimdienstlich als auch exekutiv-vollziehend tätig waren. Mit der strikten Trennung sollten ursprünglich in Westdeutschland eine unkontrollierbare und damit undemokratische Machtkonzentration der Sicherheitsapparate sowie eine neue politische Geheimpolizei verhindert werden. Die neuen Abwehrzentren und die Verbunddatei lassen nun die Gefahr entstehen, daß Geheimdienste tendenziell zum verlängerten nachrichtendienstlichen Arm der Polizei werden und diese zum verlängerten Exekutiv-Arm der Geheimdienste. Gerade im Fall der Neonazi-Mordserie und der offensichtlichen Nichtermittlung ihres rassistischen Hintergrunds durch die Sicherheitsbehörden kann man – nach allem, was man weiß – nicht etwa von Unfähigkeit, Pannen oder Konfusion des polizeilichen Staats- und geheimdienstlichen Verfassungsschutzes sprechen, vielmehr von ideologischen Scheuklappen, von Ignoranz und systematischer Verharmlosung des neonazistischen Spektrums – begünstigt durch eine jahrzehntelang einseitig ausgerichtete Politik der »Inneren Sicherheit« auf den sogenannten Linksextremismus und den Islamismus. Und jetzt nutzen Sicherheitspolitiker wie Innenminister Friedrich, der bislang nicht als Hardliner aufgefallen ist, das Versagen der Behörden auch noch dazu, weitere sicherheitsstaatliche Nachrüstungsmaßnahmen für die Versagerbehörden durchzusetzen und im Kampf gegen Neonazis demokratie-unverträgliche Strukturen auszubauen, die aufgrund der Erfahrungen mit der Nazizeit hierzulande gerade verhindert werden sollten. Absurd. Bundesinnenminister Friedrich suggeriert mit seinen negativpreiswürdigen Projekten, daß die skandalöse Nichtermittlung der Mordserie und ihres rassistischen Hintergrundes an fehlenden Befugnissen gelegen habe, die man den Sicherheitsorganen jetzt endlich zugestehen müsse. Doch Befugnisse, Ermittlungs- und Kooperationsmöglichkeiten gab es bislang schon mehr als genug – nach jahrelanger Aufrüstung im Zuge staatlicher »Antiterrorbekämpfung« und zum Beispiel im Rahmen der »Informationsgruppe zur Beobachtung und Bekämpfung rechtsextremistischer/-terroristischer, insbesondere fremdenfeindlicher Gewaltakte« (IGR). Ja, solche ressortübergreifenden Kooperationsprojekte gibt es bereits seit Beginn der 1990er Jahre – und wir fragen uns, was diese eigentlich die ganze Zeit mit welchen Resultaten getrieben haben. Der tödlichen Bedrohung durch Neonazis kann auch mit weiterer technischer Aufrüstung und institutioneller Verquickung kaum wirksam begegnet werden, schon gar nicht, solange die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder ihre ideologischen Scheuklappen nicht ablegen, das neonazistische Spektrum verharmlosen und den rassistischen Hintergrund schwerer Straftaten nicht zur Kenntnis nehmen wollen; solange der Verfassungsschutz bundesweit mit seinem dubiosen und kriminellen V-Leute-System heillos in Neonazi-Szenen verstrickt ist, sie mitfinanziert und Erkenntnisse über mögliche Verbrechen für sich behält; und solange sie die Tatsache ignorieren, daß Rassismus und Fremdenfeindlichkeit weit in die Mitte der Gesellschaft reichen, auch weit hinein in staatliche Institutionen wie Polizei und Verfassungsschutz. Mit den Gemeinsamen Abwehrzentren der Polizei, Geheimdienste und des Militärs wächst weiter zusammen, was nicht zusammen gehört, und eine wichtige demokratische Lehre aus der deutschen Geschichte verkommt. Rechtsstaatliche Begrenzungen werden letztlich einer grenzenlosen Prävention geopfert – mit der Folge einer fatalen Machtkonzentration der Sicherheitsbehörden, die sich immer schwerer demokratisch kontrollieren lassen. Herzlichen Glückwunsch zu diesem wohlverdienten BigBrotherAward, Herr Bundesinnenminister, und lassen Sie sich abschließend sagen: Ihre gefährliche Symbolpolitik ist keineswegs alternativlos. Es war der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg, der in seiner Trauerrede für die Opfer des Massakers in Oslo und Utoya 2011 die weitsichtige Antwort auf die entsetzlichen Taten fand: »Wir sind erschüttert von dem, was uns getroffen hat. Aber wir geben nie unsere Werte auf. Unsere Antwort ist mehr Demokratie, mehr Offenheit und mehr Humanität.« Ossietzky-Mitherausgeber Rolf Gössner, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, ist Mitglied der Jury zur Vergabe der BigBrotherAwards. Am 13. April 2012 hielt er in Bielefeld die Laudatio auf Bundesinnenminister Friedrich, auf der dieser Text beruht. Mehr unter: www.bigbrotherawards.de.
Erschienen in Ossietzky 8/2012 |
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