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Dieses launische, lustsüchtige, wetterwendische, fieberhaft kokette Weib, diese antike Pariserin, diese Göttin des Lebens, gaukelt und herrscht über Aegypten, dem schweigsam starren Totenland … Ihr kennt es wohl, jenes Aegypten, jenes geheimnisvolle Mizraim, jenes enge Nilthal, das wie ein Sarg aussieht… Wie stumme Gedanken stehen dort die schlanken Obelisken und die plumpen Pyramiden … Ueberall Tod, Stein und Geheimniß … Und über dieses Land herrschte als Königin die schöne Cleopatra. Wie witzig ist Gott!« (Heinrich Heine: »Shakespeares Mädchen und Frauen«, 1840) Wer war Kleopatra? Gemeint ist die siebte dieses Namens: Kleopatra Philopator (»Die Vaterliebende«). Sie stammte aus dem Geschlecht der Ptolemäer. Der römische Feldherr und Staatsmann Julius Cäsar hatte die damals vermutlich neunzehnjährige Kleopatra im Jahre 48 v. u. Z. als Königin Ägyptens bestätigt. Nach Cäsars Ermordung im Jahre 44 v. u. Z. ging Kleopatra sieben Jahre später eine rituelle Verbindung mit Marcus Antonius ein. Von diesem Feldherrn erhielt sie römische Gebiete. Sie scheiterte bei dem Versuch, das alte Ptolemäerreich zu erneuern. Um Deportation und Sklaverei zu entgehen, gingen beide in den Freitod: die Königin durch Schlangenbiß, Antonius durch das Schwert. Das Paar ist zum Mythos und zum Gegenstand zahlreicher Bühnenstücke geworden. Sie alle wurden inspiriert von Shakespeares Tragödie »Antonius und Cleopatra«, um 1607 entstanden und uraufgeführt. Schon einige Jahre später versuchten sich die nachelisabethanischen Dramatiker Francis Beaumont und John Fletcher am gleichen Stoff. Was mag Shakespeare und die Spieler des eli-sabethanischen Theaters an diesem Stoff interessiert haben? Sicher ist: Das Drama ist ein Elisabeth-Stück. Die englische Königin, eine wirklich Große der Geschichte, Durchsetzerin bürgerlich-wirtschaftlichen wie humanistischen Fortschritts, hat den dramatischen Dichter, der sich Shakespeare nannte und allem Zweifel zum Trotz unter diesem Namen weltberühmt wurde, sehr geschätzt und ihn gefördert. Gewiß war sie unter den Zuschauern seiner frühen Stücke. Ein heutiger Zeitgenosse hat das so beurteilt: »Die Krone trug eine Frau. Eine Frau war es, die die höchste Staatsweisheit verkörperte, die den Aufschwung des Landes befördert hatte, die die Einheit und Kraft der Nation verkörperte und deren Politik den Sieg über Spanien gebracht hatte. Wenn man die Frage stellt, weshalb es im Werk Shakespeares so viel und kluge und den Männern überlegene Frauen gibt, dann einfach deshalb, weil Shakespeare die höchste Vernunft von einer Frau verkörpert, sein Leben lang vor Augen sah.« (André Müller: »Shakespeare ohne Geheimnis«) Man muß hinzufügen, daß diese Aussagen auf Müllers Freund Peter Hacks zurückgehen. Auch wenn diese Sätze konkret im Zusammenhang einer Deutung des »Kaufmanns von Venedig« stehen: Sie sind richtig. Also ein Elisabeth-Stück! Die Königin selbst durfte damals nicht auf die Bühne gebracht werden. Nach ihrem Tod im Jahre 1603 verschlechterten sich für den Dramatiker und seine Truppe die Arbeits- und Lebensbedingungen. Unter Jakob I. (1603–1625) aus dem eher reaktionären Hause Stuart brach die große Renaissance-Blüte der Künste, vor allem der dramatischen, allmählich ab – eine fatale Entwicklung, die bis zur bürgerlich-puritanischen Revolution weiterging; auch Cromwell war kein Kunstfreund. So blieb dem Dramatiker und Theaterleiter nichts anderes übrig, als seine Vorbilder in fernen Epochen zu suchen. Da boten sich Kleopatra und Antonius geradezu an. Ein Stück konfliktiver Widersprüche zwischen Leidenschaft und Macht! Kleopatra als große Figur in Stellvertretung für Elisabeth. Ein kritisches Warnstück sollte und konnte es sein: gegen reaktionäre Politik und ebensolche Kunsthaltung der jakobitischen Zeit! Warum dieses so kluge und schöne, leider selten gespielte Stück nun heute? Am Schloßtheater in Celle, in einer ehemaligen Panzerhalle, da der Theatersaal im Schloß umgebaut wird. Ich habe Shakespeares Tragödie mehrmals gesehen: 1961 im Sturdza-Bulandra-Theater in Bukarest, um 1970 bei Jefremow im Sovremennik-Theater in Moskau, in einer Inszenierung Frank-Patrick Steckels auf der Basis seiner eigenen, philologisch genauen Übersetzung von 1987 in Bochum, in gleicher Textfassung 1994 unter der Regie Peter Zadeks mit Gert Voss und Eva Mattes im Berliner Ensemble. Da ging es zumeist um Fragen der Frauenbefreiung in Männergesellschaften, selbst dann, wenn Theater hauptsächlich nach großen Rollen für ihre bedeutenden Schauspielerinnen suchten; auch das ist ein legitimes Motiv. Und welches hat nun im niedersächsischen Celle der einstige DDR-Regisseur Horst Ruprecht, der ebenfalls den Steckel-Text zugrunde legt? Das angegebene Motiv – das Rom von damals sei das US-Amerika von heute – überzeugt nicht völlig: Legionäre als GIs im Tarnanzug – diese Gleichung ist zu simpel-mechanisch. Gewiß ist das Stück politisch, freilich im höchsten Sinne der Politeia, also des Gesellschaftlichen. Mich überzeugt eher der im Stück ausgetragene ewige Konflikt Macht contra Liebe/Leidenschaft. Und als Kunstfreund habe ich Freude an diesem wunderbaren, so reichen wie ausladend kunstvollen Stück – wenn die Inszenierung diesen Reichtum sichtbar macht. Doch Ruprecht zeigt in seinem Bestreben nach Eindeutigkeit und Wesentlichkeit nur das Skelett, nicht das Fleisch, nicht das Blut, nicht die Nerven, die in all den herrlichen Bildern und Metaphern stecken. Er hat den Text auf eine Spieldauer von kaum mehr zwei Stunden gestrichen. Die 14 Akteure des sehr engagierten Ensembles spielen äußerst dynamisch, schnell und zum Teil in mehreren Rollen. Auf der dreiteiligen, nicht runden Szene mit Traversen (Bühne und Kostüme: Dirk Immich) wird manches Gesprochene unverständlich. Handlungen und Sentenzen haben etwas von Ruprechts markantem Stil. Doch die scharfen Schnitte können an diesem Skelett nur kratzen. Hier ist eben kein Fleisch, in das sie eindringen könnten; es blutet und reinigt damit auch nicht. Sibille Helfenberger fehlen fast alle Mittel, Kleopatra elisabethische Maße zu geben. Lediglich in der Sterbeszene mit der Schlange zeigt sie Größe. Kai Roloffs Marcus Antonius ist zu laut und charakterlich einschichtig. Eher überzeugt der intrigante Octavian (Jan-Christof Kick), der freilich den zur Geschehenszeit sehr jungen, später übergroßen Augustus der Herrscherjahre kaum erkennen läßt. Was Shakespeare Schauspielern abverlangt, läßt kurz Hartmut Fischer als Enobarbus ahnen – am stärksten in der Todesszene. Ja, Celle gibt politisches Theater. Den Nerv zum Notwendigen in unserer Zeit trifft es indes nur bedingt: Diese heutige Gesellschaft in all ihrer Erbärmlichkeit benötigt nicht so sehr Belehrung zu altbekannten politischen Einsichten über den Ankampf gegen sie (das geht kaum noch über Shakespeare, zumindest nicht mit diesem schönen Stück einer tragischen Opposition), sondern sie braucht Entwürfe, Gegen-Entwürfe eines neuen Menschen- und Gesellschaftsbildes, eines Humanums. Das wäre bei Shakespeare zu finden.
Erschienen in Ossietzky 7/2012 |
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