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Es trägt einen typographisch klar gegliederten Umschlag, in dem sich schwarz (Verfassername und Untertitel: »Ein Plädoyer«) und rot (Titel) auf weißem Grund finden; nimmt man den Umschlag ab, wird das Auge von elegantem Schwarz erfreut, von dem sich die in den Rücken eingeprägten roten Buchstaben kontrastierend absetzen. Die vorderen und hinteren Innenseiten sind in Purpurrot gehalten; die Schrifttype ist trotz Kleinformat kein Augenpulver. Das Werk ist übersichtlich in ein Geleitwort und drei Abschnitte (»Freiheit«, »Verantwortung« und »Toleranz«) gegliedert; mehrfach finden sich Selbstzitate in großen, grauen Lettern, wie geschaffen zum meditativen Ausruhen des Auges. Alles nur Äußerlichkeiten? Nun, dieser Aufmachung kommt offenbar die Aufgabe zu, dem Publikum einen Vorgeschmack dessen zu geben, was Claudia Roth wohl meinte, als sie ihre Hoffnung ausdrückte, daß Gauck der Demokratie wieder Glanz verleihen werde. Glanzlos ist der Inhalt. Er basiert auf dem Manuskript einer Rede, die Gauck im Januar des letzten Jahres anläßlich des Neujahrempfangs der Evangelischen Akademie Tutzing gehalten hat. Daß es der katholische Kösel-Verlag herausgebracht hat, kann wohl als Schritt in die Ökumene und damit zu noch breiterer Akzeptanz des Verfassers gedeutet werden. Im Zeitalter des trotz aller Verheerungen ideologisch noch immer hegemonialen Neoliberalismus, dessen Kern ein sozialdarwinistischer Freiheitsbegriff ist, stilisiert sich Gauck als Mitglied einer Minderheit, die der Freiheitsfreunde. Deren wie seine »tiefe Überzeugung« sei, »daß die Freiheit das Allerwichtigste im Zusammenleben ist«. Dem stellt er als angebliche Haltung der Mehrheit den »virtuelle[n] Artikel 1« einer geheimen Verfassung gegenüber, der laute: »Die Besitzstandswahrung ist unantastbar.« Wer deshalb mutmaßt, Gauck könne womöglich ein Freiheitskämpfer gegen die gefährliche Konzentration von Besitz und Vermögen in den Händen der weltweit rund 1.100 Milliardäre und Multimilliardäre sein, der irrt. Zwar äußert er im Abschnitt »Toleranz« den Wunsch, »daß wir dem kapitalistischen Wirtschaftssystem so kritisch gegenübertreten wie den verschiedenen politischen Richtungen«. Tatsächlich, Gauck scheut das Tabuwort »kapitalistisch« nicht! Doch er erklärt ausdrücklich jeden Antikapitalismus für entbehrlich. Seine Kritik am kapitalistischen System erschöpft sich in der rhetorischen Frage, »ob konservative, liberale oder linke Vorstellungen einer sozialen Marktwirtschaft eher gerecht werden«. Wer Gauck gelesen hat, weiß aber, daß er unter »sozialer Marktwirtschaft« deren neoliberale Ausprägung meint – mit anderen Worten den Kapitalismus. Wichtiger als die politische Ökonomie ist für Gauck »die Teilhabe an der Macht oder die Unterwerfung unter die Macht, die uns zu Bürgern oder zu Nichtbürgern macht«. Wer »Freiheit« will, kann die Französische Revolution nicht ignorieren, schließlich war »liberté« – allerdings gleichberechtigt mit »egalité« und »fraternité« – eine ihrer drei Kernforderungen. Bei Gauck wird diese Revolution zu einem spontanen Aufstand der von hoher Steuerlast Bedrückten und der Hungernden. Sie sei »nicht deshalb ins Leben getreten, weil es eine motivierende Revolutionstheorie gegeben hätte«. Erst später erwähnt er die europäische Aufklärung – als Lehrmeisterin der DDR-Wende-Bürger. Den Begriff »Bürger« lehnt Gauck für die DDR-Bevölkerung allerdings genauso ab wie den Begriff »Bewohner«. Denn weder hätten die Menschen in der DDR Bürgerrechte gehabt, noch hätten sie ihr Haus DDR auf- und zuschließen können. Er greift deshalb zum Begriff »Insassen« – als sei die DDR eine geschlossene Anstalt oder ein Gefängnis gewesen. In diesem Vergleich lodert Gaucks blanker Haß auf das DDR-System wieder auf, so wie er ihn geäußert haben mag, als die Mauer gerade gefallen war. Auch von der Freiheitsliebe der französischen Revolutionäre hält er nicht viel, wie er mit Blick auf die Wende-Zeit in der DDR deutlich macht. Von den »zwei Gesichtern der Freiheit«, die er in der DDR »innerhalb eines Jahres« erlebt habe, sei eines »jenes anarchische gewesen, das Freiheit immer hat, wenn sie jung ist, das junge Leute begeistern kann und ältere zögern läßt«. Dieses Gesicht der Freiheit assoziiert er mit der Lebensperiode der Pubertät. Wer ihn so noch nicht verstanden hat, dem hilft er einige Seiten später auf die Sprünge, indem er auf Friedrich Schillers Abkehr von der Revolution verweist und aus dem »Lied von der Glocke« zitiert: »Da werden Weiber zu Hyänen / und treiben mit Entsetzen Scherz.« Er hätte auch Kant als Beispiel für die Revolutionsrezeption in Deutschland heranziehen können: Doch der blieb den Prinzipien der Französischen Revolution trotz »terreur« treu. Auffällig ist, daß Gauck bei seinen Ausführungen über »Freiheit« in der DDR sich selbst nur als Beobachter, nicht als Akteur beschreibt. Er spricht von einer Verwandlung seines Lebens im Jahr 1989 »in einer wunderbaren Weise«. »Plötzlich« sei er »wieder in einer positiven Beziehung« zu »meiner Nation« gewesen, »weil die Menschen im Osten, die so lange ohnmächtig gelebt hatten, die Freiheit plötzlich liebten.« So umschreibt er die eigene Inaktivität, ohne daß diese sofort deutlich wird. Zutreffend hat denn auch Peter-Michael Diestel in der jungen Welt erläutert, Gauck sei »kein Bürgerbewegter, schon gar nicht ein ›Freiheitslehrer‹« wie etwa Friedrich Schorlemmer. Daß Gauck in die Reihe der Bürgerbewegten der DDR nicht paßte, wird klar, liest man seine Einlassungen über die westdeutsche Friedensbewegung der 1980er Jahre (»Spielwiesen des Zeitgeistes«) oder zur Hochrüstung: »Wer aufrüstete oder das Gleichgewicht des Schreckens verteidigte, galt als kalter Krieger.« Als sein Vorbild nennt er Václav Havel, der westlichen Abrüstungspolitikern »Appeasement-Politik« vorgeworfen habe. Kein Wunder, daß Gauck Margot Käßmann angegriffen hat, als diese sagte: »Nichts ist gut in Afghanistan.« Das längste Kapitel des schmalen Büchleins trägt den Titel »Verantwortung«. Es ist am stärksten geprägt durch den assoziativen Charakter mißlungener Predigten. Hier geht es um das Allgemein-Menschliche. Da werden auch Nicht-Gläubige in sein Wohlwollen einbezogen. Das gilt selbst für Umweltaktivisten, die er ansonsten mit Begriffen wie »Hysterie« und »Angstsucht« in Verbindung bringt. Was Gauck nicht leiden kann, ist Miesmacherei oder was er dafür hält: So geht er seine Fans auf den Oppositionsbänken hart an, wenn er über Defätismus klagt und in diesem Zusammenhang »einigen Grünen und sozialdemokratischen Christen« ihre »unendlich groß[e]« Großmut vorhält, die sie dazu veranlasse, »daß sie fortwährend alle Schuld der Welt« einräumten. Auch empfiehlt er, mehr über »Zukunftsgestaltung« nachzudenken als darüber »welche Fehler und Verbrechen wir oder unsere Vorfahren in der Vergangenheit begangen haben«. Das hört sich nach »Schlußstrich unter die NS-Vergangenheit« an. Gaucks Mischung von pastoralem Pathos und selbstbewußtem Eintreten für das bestehende (wenn natürlich auch verbesserungswürdige) System wird wohl auf breites Wohlwollen einer ganz großen Koalition stoßen. SPD und Grüne dürfen sich sicher sein, von ihm nicht an bessere politische Ideen früherer Zeiten erinnert zu werden. Mit Gauck wird einer Präsident, in dem sich die sogenannten Eliten der Berliner Republik gern wiederfinden werden. Joachim Gauck: »Freiheit. Ein Plädoyer«, Kösel-Verlag, 62 Seiten, 10 €
Erschienen in Ossietzky 6/2012 |
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