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Bei dieser Polizeiaktion wurden 11 Schüler verletzt und 25 verhaftet. Das unangemessene Eingreifen der Polizei löste, da in den Fernsehnachrichten verbreitet, einen landesweiten Protest aus. Als oberster Dienstherr bezeichnete Innenminister Jorge Fernández die Übergriffe als einzelne »Exzesse« und verteidigte den Polizeichef von Valencia. Die Übergriffe in Valencia lösten eine breite Solidaritätswelle mit den Schülern aus. In Madrid und Barcelona gingen Tausende Menschen auf die Straße, um gegen das Vorgehen der Polizei zu demonstrieren. In Zeiten wachsender sozialer Spannungen im Land bereitet der Polizeieinsatz von Valencia große Sorgen. Karl-H. Walloch KriministerGegen Bundespräsident a. D. Christian Wulff ermittelt die Staatsanwaltschaft. Gegen Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat der Staatsanwalt fünf Jahre Gefängnis beantragt. Israels ehemaliger Präsident Mosche Katzav sitzt wegen Vergewaltigung im Knast. Frankreichs früherer Staatspräsident Jacques Chirac wurde kürzlich wegen krummer Sachen gerichtlich belangt. Richard Nixon war an Einbrüchen beteiligt. Georg W. Bush hat unter falschem Vorwand einen Krieg begonnen. Henry Kissinger wird in verschiedenen Ländern wegen zwielichtiger Sachen in Chile behelligt. Und so weiter. Die Kriminalitätsrate unter Staatslenkern ist ziemlich hoch. Wenn man daraus die gleiche Konsequenz zieht, die manche aus der Kriminalitätsrate bei Immigranten ziehen, müßte man die Abschaffung von Regierungen fordern. Günter Krone Mahnung aus KapstadtEs sind schon einige Wochen vergangen, seit in Kapstadt das Russell-Tribunal zu Palästina getagt hat. Bis heute haben die deutschen Massenmedien keine Notiz davon genommen. Darum muß nun Ossietzky nachhelfen. Das Tribunal, 2009 nach der israelischen Militäraktion in Gaza gegründet, untersucht die israelischen Völkerrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen an den Palästinensern. In Kapstadt ging die Jury besonders der Frage nach, ob Israel gegen die Internationale Anti-Apartheid-Konvention verstoßen hat; geeigneter Ort war das District Six Museum, das an die Vertreibung der farbigen Bevölkerung aus dem als weiß deklarierten Stadtgebiet von Kapstadt erinnert. Zur Jury gehören unter anderen die irische Nobelpreisträgerin Mairead Maguire, die US-amerikanische Schriftstellerin Alice Walker, die ehemalige Kultusministerin Aminata Traoré aus Mali, der ehemalige südafrikanische Staatsminister Ronald Kasrils und der französische KZ-Überlebende und Menschenrechtler Stéphane Hessel. Als Zeugen und Rechtsexperten wurden gehört: Jeff Halper vom israelischen Komitee gegen Häuserzerstörungen, Raji Sourani vom Palästinensischen Menschenrechtszentrum in Gaza, die Knesset-Abgeordnete Haneen Zoabi, der Beduinen-Sprecher Jazi Abu Kaf, die israelische Menschenrechtsanwältin Emily Schaeffer, der ehemalige Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrates für die besetzten Gebiete, John Dugard, und viele andere. Dugard zog direkte Vergleiche: Die Apartheidspolitik habe Südafrika fragmentiert, Israel hingegen okkupiere Palästina und unternehme alles, um die einheimische Bevölkerung zu vertreiben. Das juristische Apartheidregime sei immer transparent und öffentlich gewesen – anders als die israelische Rechtsprechung gegenüber Palästinensern, besonders im Zuständigkeitsbereich der Militärjustiz. Auch der südafrikanische Pastor Alan Boesak, ehemaliger Präsident des Weltbundes der reformierten Kirchen, hob hervor: »Das Rechtssystem war verzerrt, die Privilegien der Weißen wurden immer geschützt, aber man ging nicht soweit, ein getrenntes Rechtssystem einzuführen, wie es für Israelis und Palästinenser gilt.« Das Tribunal gelangte zu der Ansicht, daß Israel das palästinensische Volk einem institutionalisierten Regime unterwerfe, das der völkerrechtlich geächteten Apartheid gleichkomme. Gruppenverfolgung zeige sich an der Belagerung und Blockade des Gaza-Streifens als kollektiver Bestrafung der Zivilbevölkerung; am Zielen auf Zivilisten bei großangelegten Militäroperationen; an der nicht durch militärische Notwendigkeiten gerechtfertigten Zerstörung von Häusern: an der Mauer und ihren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung auf der Westbank und in Ost-Jerusalem sowie auch an der Zwangsevakuierung und Zerstörung von Beduinendörfern in der Negev-Wüste. Nach Artikel IV der Anti-Apartheid-Konvention von 1973 seien Drittstaaten verpflichtet, legislatorische Voraussetzungen zu schaffen, um das Apartheidsverbrechen zu unterdrücken beziehungsweise zu verhindern. Entsprechend sei die Verletzung des internationalen Rechts durch Israel zu ahnden. Während der Tagung wurde bekannt, daß in der Knesset ein Antrag eingebracht wurde, Haneen Zoabi wegen ihrer Teilnahme am Tribunal die israelische Staatsbürgerschaft zu entziehen. Günter Rath Kultur für GazaAls am 26. April 2007 in Genf im Beisein des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas und der Schweizer Bundesrätin Micheline Calmy-Rey die Ausstellung »Gaza. Schnittstelle zahlreicher Zivilisationen« eröffnet wurde, rief dies nicht nur positive Reaktionen hervor. Hardliner der israelischen Rechten schäumten, warfen der Schweiz vor, Terroristen zu unterstützen. Zwei Tage zuvor hatte die Hamas eine mehrere Monate währende Waffenruhe mit Israel aufgekündigt. Dennoch war es ein Tag des Friedens. 22.000 Besucherinnen und Besucher besichtigten in den Folgemonaten die Ausstellung, bewunderten 530 Kunstwerke, die Jahrhunderte oder Jahrtausende im Boden von Gaza geruht hatten, bevor sie freigelegt, von einem kunstinteressierten Bauunternehmer geborgen und schließlich Keimzelle des palästinensischen Nationalmuseums wurden. Der Heinrich Schliemann Palästinas heißt Jawdat Khoudary; die Geschichte dieser Ausstellung und des Museums ist seine Geschichte. Die Autorin Beatrice Guelpa hat seine Biographie recherchiert, berichtet kurz und knapp, wie der mittellose Hochschulabsolvent binnen weniger Jahre zu einem der einflußreichsten Unternehmer Palästinas aufstieg. Der von internationalen Krediten finanzierte Bauboom der 1990er Jahre machte die Blitzkarriere möglich. Aus Khoudarys anfänglichem Hobby, bei Schachtarbeiten freigelegte antike Kunstwerke zu sammeln, wurde später ein ernsthaftes Anliegen, dem er einen großen Teil seines Lebens widmete: dem palästinensischen Volk ein Bewußtsein der eigenen Geschichte zu vermitteln. Akribisch listet Guelpa in ihrem Buch zahlreiche Hindernisse auf, die es zu überlisten galt, bis eine Stiftung für das Nationalmuseum von Gaza gegründet und das Museum im August 2008 tatsächlich fertiggestellt wurde: Gleichgültigkeit, Bürokratenwillkür, fehlende Mittel, der Bürgerkrieg zwischen Fatah und Hamas, nicht zuletzt die Blockade Israels. Mehr als 10.000 palästinensische Kinder besuchten in den Wochen nach der Öffnung das Museum, standen sprachlos vor den Zeugnissen vergangener Größe. Das Buch endet mit der israelische Invasion vom Dezember 2008 und der Beschreibung ihrer verheerenden Folgen. Die Autorin zitiert den Stiftungsdirektor Ziad Abu Amr, der auf die Frage eines Journalisten, ob Palästina keine anderen Probleme habe, antwortete: »Wir sind keine Tiere. Wir haben nicht nur das Bedürfnis nach Essen und Trinken. Wir brauchen auch Kultur in Gaza.« Gerd Bedszent Beatrice Guelpa: »Aphrodite in Gaza. Ein aus dem Sand aufgetauchtes Museum«, Zambon Verlag, 124 S., 8,90 € GendarmenmarktSeit E.T.A. Hoffmanns Erzählung »Des Vetters Eckfenster« geistert dieser Platz durch die deutsche Literatur. Der ach so tolerante Friedrich II. ließ hier ein Buch seines Busenfreundes Voltaire verbrennen. In Fontanes »Schach von Wuthenow« ist der Gendarmenmarkt präsent und jüngst in Marcel Reich-Ranickis Memoiren. Eine Essay-Sammlung bringt uns den Gendarmenmarkt aus einem neuen Blickwinkel nahe: »Schauplatz Gendarmenmarkt 1800–1848«. Der Bogen, den Dietmar Schings spannt, umfaßt fünf gewichtige Jahrzehnte, den Zeitraum zwischen Berliner Aufklärung und 46er Revolution. Wir sehen – in getrennten Kapiteln – den Platz mit den Augen Kleists und Schinkels, E.T.A. Hoffmanns, Sören Kierkegaards und Adolph Menzels. Sie alle hatten ihre direkten persönlichen Bezüge (Kierkegaard beispielsweise bezog bei seinen Berlin-Aufenthalten Quartier im »Hotel de Saxe«, Jägerstraße 57), und in verschiedenster Weise reflektierten sie in ihren Werken, Briefen und Gesprächen den Platz mit seiner Historie, seinen berühmten Gebäuden und Sichtachsen. Bekanntlich blieb Menzels »Aufbahrung der Märzgefallenen« vor dem Deutschen Dom unvollendet. Wer den Gründen dafür nachspüren möchte, der lese in diesem Buch Schings Essay »Die Kunst ist ein durchgehendes Roß«! Freunde geistvoller Essayistik kommen in dem Buch, das auch vorzüglich illustriert ist, voll auf ihre Kosten. Jedes Kapitel ist zudem mit Literaturangaben versehen, so daß der interessierte Leser in weiteres Neuland vorstoßen kann. In ganz anderen Zusammenhängen präsentiert sich der Gendarmenmarkt in einem Roman (eher einer Erzählung) Katharina Ponniers. Der Platz und sein berühmtester Bau, das heutige Konzerthaus, sind hier zwar peripher, für den Ausgang der Lebens- und Liebesgeschichten, die die Autorin erzählt, nicht ganz belanglos. Erzählt wird vom verkorksten Leben zweier Freundinnen, die ihre privaten und beruflichen Krisen unterschiedlich bewältigen, dabei gewinnen und verlieren. Als Alma, eine der beiden Frauen, durch Flucht in die neue deutsche Hauptstadt einen Ausweg aus ihrer Misere sucht, findet sie in einem gescheiterten Künstler, der im Konzerthaus arbeitet, einen einfühlsamen Freund und vorübergehend Halt. Das Buch ist mehr als ein Frauenroman. Ponnier führt Briefe und Gedichte in die Handlung ein, auch Träume und Märchen spielen eine Rolle. Daß es nicht an Seitenhieben gegen den etablierten Literaturbetrieb fehlt, macht den kleinen Roman ausgesprochen sympathisch. Dieter Götze Dietmar Schings: »Schauplatz Gendarmenmarkt 1800-1848«, Vorwerk 8, 144 Seiten, 19,80 € Katharina Ponnier: »Alma. >Die Siebte Quelle«, Spielberg Verlag, 215 Seiten, 10,90 € Kommune macht dichtIn das heikle Alter über Dreißig will sie nicht geraten, die 1983 gegründete Zeitschrift Kommune, also stellt sie mit Ende dieses Jahres ihr Erscheinen ein. Es verschwindet damit das letzte intellektuell anspruchsvolle Periodikum aus dem Milieu der maoistischen Folgeerscheinungen der studentischen, mit der Chiffre »1968« versehenen Revolte in Westdeutschland. Die Gründer der Kommune kamen aus dem Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW), der zeitweise Tausende von vornehmlich studentischen Mitgliedern hatte. Aus deren Beiträgen blieb nach Auflösung der Organisation ein Vermögen übrig, von dem auch diese Zeitschrift noch lange Zeit zehren konnte. Verbraucht ist schon seit Jahren der zunächst sich revolutionär fühlende politische Elan von Autoren und Freunden der Kommune, lesenswerte Beiträge freilich waren immer mal wieder in der Zeitschrift zu finden. Ganz überwiegend aber haben die Ex-KBWler den Weg in die Gemütlichkeit der grünen Partei gefunden, auch in den Glauben an die »westliche Wertegemeinschaft«. Irgendwo muß es ja ein Mekka geben – wenn nicht mehr in Peking, dann in Washington. In Syrien »versagt der Westen«, steht im jüngsten Heft der Kommune, eine Intervention wie in Libyen sei wohl nicht möglich, immerhin hätten dort »Frankreich und Großbritannien, im Hintergrund unterstützt von den USA, unsere Ehre gerettet«. Solcherart Ehrenbezeugungen werden uns zumindest unter dem Titel Kommune ab Ende diesen Jahres erspart bleiben, und so hat auch das Dahinscheiden einer Zeitschrift seine erfreuliche Seite. M. W. GesinnungsprüfungDer im folgenden zitierte hochaktuelle Antrag, »Mittel für die physiognomische Erfassung von Gesinnungen zu bewilligen«, stammt nicht vom Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, auch nicht von seinem bayerischen Amtskollegen Joachim Herrmann oder vom CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, auch weder vom niedersächsischen noch vom thüringischen Verfassungsschutzamt, sondern aus Heinrich Bölls satirischer Feder und wurde schon 1975 veröffentlicht. Antragsbegründung: »Es ist längst bekannt, daß Fingerabdrücke, Zitate, die üblichen Mittel der Ermittlung durch Beweise für oder über den Gesichtsausdruck in bestimmten Situationen ergänzt werden müssen ... Es sollte für den Gesinnungserfassungseinsatz hinreichend Foto- und Filmmaterial bereitgestellt werden können, erfahrene Porträtfotografen und Psychologen sollten sorgfältig geschult werden, um als physiognomische Gutachter zur Verfügung gehalten werden zu können. Eine intern veranstaltete Versuchsreihe ... ist bereits mit dem Stichwort ›Freiheitlich demokratische Grundordnung‹ vorgenommen worden, und zwar mit Personen aller Alters-, Berufs- und Sozialgruppen, deren Reaktion auf dieses Wort man mit verborgener Kamera erfaßte. Die wissenschaftlich abgesicherte Auswertung dieses Experiments liegt noch nicht vor, es ist aber mit einem verblüffenden Ergebnis zu rechnen. Falls unüberwindliche Finanzierungsschwierigkeiten auftreten sollten, wird vorgeschlagen, gemeinsam mit dem Forschungsministerium und dem Justizministerium ein Forschungsinstitut unter dem Titel ›Gesinnungsphysiognomik‹ ins Leben zu rufen.« Erstaunlich, wie stark dieser Text – im Kalten Krieg geschrieben – uns auch Jahrzehnte später zur Wachsamkeit ermahnt. Unter dem Titel »Widerstand ist ein Freiheitsrecht« sind jetzt, herausgegeben von seinem Sohn René Böll, Schriften und Reden Heinrich Bölls zu Literatur, Politik und Zeitgeschichte, kommentiert von Jochen Schubert, im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen (512 Seiten, 29,99 €). Manfred Uesseler Wunsiedel, Dresden, NenndorfIn Dresden griff sich die Polizei den Bundesvorsitzenden der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes/Bund der Antifaschisten, Ossietzky-Autor Heinrich Fink. Begründung: Er sei auf einem Foto aus dem Jahre 2011 zu erkennen, da habe er auch schon protestiert. Das Foto zeigte aber jemand anderen. Voriges Jahr hatte Fink am Tage der von den Neo-Nazis okkupierten Erinnerung an den großen Bombenangriff der Royal Air Force auf Dresden krank im Bett in Berlin gelegen. Wer auch immer der Mann auf dem Bild sein mag, klar ist nun: Die Polizei beobachtet und verfolgt Antifaschisten, namentlich solche, die sich versammeln, um die Neo-Nazis an einem Aufmarsch zu hindern. Dresden ist kein Einzelfall: Daß die Polizei, der als Verfassungsschutz firmierende Geheimdienst und die Justiz Nazi-Aufmärsche zur Propagierung eines verlogenen Geschichtsbilds gestatten und vor antifaschistischen Protesten schützen, weiß man schon aus Wunsiedel (Bayern), wo Jahr für Jahr Hitlers Stellvertreter Heß an seinem Grabe geehrt wurde, und es wiederholt sich in Bad Nenndorf (Niedersachsen). Dort fand erstmals 2006 eine »Mahnwache« vor dem Wincklerbad statt, einem alten Kurhaus mit vielen Nebengebäuden, wo nach dem Zweiten Weltkrieg die britische Besatzungsmacht Hunderte Deutsche, darunter hohe SS-Führer, interniert hatte; aus dieser »Mahnwache« entwickelten sich alljährliche »Trauermärsche« zum Gedenken an das »Unheil«, das die Briten und deren Verbündete »über unsere Heimat brachten«. Dagegen verbündeten sich junge und alte Antifaschisten, Linke, Gewerkschafter und andere Demokraten. Manche Kommunalpolitiker aber fürchteten offenbar Gegendemonstranten mehr als die Neo-Nazis. Denen solle man, so empfahl auch die örtliche Presse, einfach nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken. Die Illusion, sich des Problems durch Nichtbeachtung entledigen zu können, platzte, als die Neo-Nazis ihre Aufmärsche bis zum Jahr 2030 anmeldeten. Seitdem beteiligen sich auch die politischen Repräsentanten der Stadt und einige örtliche Vereine an den Gegendemonstrationen – falls diese erlaubt werden. Im Jahre 2010 verbot der Landkreis Schaumburg sowohl den »Trauermarsch« als auch die Protestaktion des demokratischen Bündnisses. Das Verwaltungsgericht hob das erstgenannte Verbot auf, das zweite blieb bestehen, weil angeblich viele linksextremistische Gewalttäter zu erwarten waren – was die Verfassungsschutzbehörden immer gern prophezeien. Denn dieser Geheimdienst weiß eben, allen geschichtlichen Erfahrungen zum Trotz, daß Gewalt nicht von rechts, sondern von links droht. Erst im letzten Moment erhielt das Bündnis doch noch eine Genehmigung, aber mit solchen Auflagen, daß sie sich eher wie eine Bestätigung des Verbots ausnahm. Die beiden niedersächsischen Gewerkschafter Utz Anhalt und Steffen Holz berichten darüber in ihrem Buch »Das verbotene Dorf«, in dem sie – das ist ihre Hauptleistung – gründlich erforschen, was zwischen 1945 und 1947 im Wincklerbad tatsächlich geschah. Damals internierten die Briten ebenso wie die anderen Besatzungsmächte getrennt von den großen Kriegsgefangenenlagern speziell Gefangene, die sie für besonders gefährlich hielten. Sie fürchteten Nazi-Terror aus dem Untergrund (»Werwölfe«) und unterzogen Verdächtige scharfen Verhören. Einige der Internierten in Bad Nenndorf wurden schwer mißhandelt. Diese Tatsache blieb jedoch in der Royal Army nicht verborgen; amtliche Untersuchungen führten zu Gerichtsverfahren, der Lagerkommandant, der Lagerarzt und der oberste Geheimdienstoffizier des Lagers wurden abgelöst. Schon insofern verbietet sich jeder Versuch einer Gleichsetzung mit Nazi-Verbrechen. Ein Geschichtsrevisionismus, der Nazi-Täter in beklagenswerte Opfer verwandeln möchte, findet in den Nenndorfer Tatsachen keine Stütze. Übrigens erfuhr gerade mancher hochrangige Nazi im Wincklerbad auffallend glimpfliche Behandlung. Einige Offiziere konnten bald ihre Karriere in der Bundeswehr fortsetzen. Besonders übel dagegen erging es zwei Männern, die verdächtigt wurden, Kommunisten zu sein und für die Sowjetmacht spionieren zu wollen. Im beginnenden Kalten Krieg genügte den Briten dieser bloße Verdacht, beide zu Tode zu peinigen. Anhalt und Holz haben mit ihrem Buch notwendige Gedenkarbeit geleistet. Wer es gelesen hat, wird zu allem anderen bereit sein als zu »Trauermärschen« von Neo-Nazis. Eckart Spoo Utz Anhalt/Steffen Holz: »Das verbotene Dorf – Das Verhörzentrum Wincklerbad der britischen Besatzungsmacht in Bad Nenndorf 1945 bis 1947«, Offizin Verlag, 191 Seiten, 9,80 € Gegner oder Verfechter?Im Vorwort zum Verfassungsschutzbericht 1983 schrieb der damalige Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann: »Es ist kein Zufall, daß sich Verfassungsgegner immer wieder als die nachdrücklichsten Verfechter der Verfassung ausgeben, die sie mit Hilfe begrifflicher Manipulationen in ihrem Sinne umdeuten.« Es hat Kontinuität, daß die Fronten nicht klar abgesteckt sind. Katrin Kusche MördergeschichtenDie Taschenbuchreihe der Edition Schwarzdruck versammelt sich unter die Buchstaben »BWL«, das bedeutet bei einem Buch »Bibliothek weltgeschichtlicher Lebenserfahrung«, bei einem anderen »Beschreibungen wunderlicher Leidenschaften«. Nun also Band 17 – »Beweise widriger Lebensumstände«, und es sind – wie Beate Morgenstern meint – »Mördergeschichten«, keine (Kurz)-Krimis. Immer endet es mit einer Leiche, aber nicht die Aufklärung des Mordes ist das Spannende, sondern die Gründe für denselben. Abgründig, ungewöhnlich/gewöhnlich, auch kurios – wenn man das kompositorische Prinzip erkannt hat – sind die achtzehn Geschichten in Beate Morgensterns Büchlein, die kürzesten zwei Seiten lang, die längste dreizehn. Gemordet wird aus Lust oder Liebe, aus Eifersucht, im Auftrag, aus Versehen oder Verdruß. Oft sind entweder Mörder oder Opfer einsam, nicht mehr ganz jung. Übrigens wird meist lange nicht klar, wer diesmal der Täter und wer der Tote sein wird, in den Lebenslagen oder Charakteren unterscheiden sie sich nicht wesentlich. Über die jeweilige soziale und geographische Situation erfährt man einiges: Viele der Figuren sind – nach dem gesellschaftlichen Umbruch – aus ihrer gewohnten Bahn geworfen. Berlin und Umfeld sind der »Tatort«. Beate Morgenstern (geboren 1946) – in verschiedenen Genren und Themen zu Hause – hat ihren ersten Krimi-Band vorgelegt, und wieder überrascht sie: Die nüchterne Wirklichkeitsbeschreibung, für die sie bekannt ist, verknüpft sie diesmal mit überraschenden Mord-Konstellationen. Da gibt es kein Mitleid, aber auch keine Wut über die Verhältnisse. Äußerst knapp, aber präzise werden realistische, oft banale, auch intime Lebenssituationen beschrieben. Da – plötzlich – passiert es. Ein bißchen (vielleicht grau)-schwarzer Humor läßt grüßen. Kurzweilig und zugleich hintergründig. Christel Berger Beate Morgenstern: »Eine Frau schon in den Jahren und andere Mördergeschichten«, Edition Schwarzdruck, 184 Seiten, 20 € An die LokalpresseKaum hatte der Bundespräsident im traditionellen Rücktrittsraum des Schlosses Bellevue seine Amtsniederlegung erklärt, setzten die Spekulationen um die Nachfolge ein, obwohl jeder weiß, daß der deutsche Präsident genauso überflüssig ist wie in anderen Staaten der König, nur nicht so teuer. Die seit Monaten Talkshows und Titelseiten füllende Frage »Hat er nun oder hat er nicht?« ist nach dem Rücktritt Christian Wulffs der bohrenden Ungewißheit »Wird er nun oder wird er nicht?« gewichen. Dabei liegt der Weg zur Lösung doch auf der Hand: Es gibt schon seit Jahren Teams, die professionell darüber befinden, wer – unabhängig von jeder Parteienbindung – genügend Ausstrahlung und Stimme hat, um Deutschland international zu vertreten. Dieter Bohlen, Heidi Klum, Stefan Raab und Mario Barth haben im Casting oberhalb und unterhalb der Gürtellinie genügend Erfahrung und geben den unterschiedlichsten Kandidaten die Chance, ihr Können vorzuführen. Und damit erreichen sie eine sagenhafte Einschaltquote! Es wäre doch gelacht, wenn wir nicht innerhalb von 30 Tagen einen neuen Schloßherrn hätten! Die Vorschläge der Bundesversammlung sollten einbezogen werden, und die Sendezeiten wären auch gesichert. Wetten, daß? – Ladislaus Lorbeer (67), Politikberater i.R., 99880 Wahlwinkel * Da hat der Herr Hallervorden jetzt aber ein Problem mit seinem neuen Stück im Schloßtheater! Die zuständigen Beamten im Senat meinen, das dunkle Einfärben eines Schauspielers wäre Rassendiskriminierung! Also, bei allem Respekt vor dem Senat, das sehe ich nicht so! Dann dürfte auch kein schwarzer Othello mehr auf die Bühne, die Karl-May-Festspiele müßten wegen Indianermangels abgesetzt werden, denn die wenigen noch nicht ausgerotteten Original-Rothäute haben bestimmt etwas anderes zu tun, als durch deutsche Landschaften zu galoppieren, die eingefärbten Sternsinger-Kinder gehörten verboten, der ganze Fasching sicherheitshalber gleich mit, und Günter Wallraff müßte sich für seine Rollenspiele entschuldigen. Da soll man doch die Kirche im Dorf lassen, auch wenn sie inzwischen zu einem Wohnhaus oder einer Sparkassen-Filiale umfunktioniert worden ist! – Manfred Maske (43), Maskenbildner, 08340 Schwarzenberg * Jottchen, Jottchen! Ich bin ja häilfroh darieber weil ich hab` jästern jeheert der Herr Jauck mechte nun doch unser naier Präsident säin! Der is ja jäjen die Jränzen wo die kommunistischen Allijierten schon lange vor die Berliner Mauer in unsre pommersche Landschaft rinjesätzt ham wo wir dann wäch mußten aus unserer Häimat! Und daß er mit eene Jemahlin verhäiratet is und mit eene andere bloß verliebt sowas hatten wir ooch in unserm Dörfchen! Aber deshalb is er ja schon käin Paster nich mehr weil er wäiß äijentlich jeheert sich das nich! Andersrum isser ja ooch ieberall fier die Fräiheit? Und er s ja ooch äin janz sauberer Mann und janz traurich wenn er wäjen dem Amt mal nich zum Waschen kommt! Das hat er der Kanzlerin janz ehrlich jesaacht! Näin, der Jochen is man schon joldrichtich! – Mariechen Kaludrigkeit (78), Rentnerin, 32361 Preußisch-Oldendorf Press-Kohl»Ein britisches Ärzteteam«, meldet unser Morgen-Blatt, »stellte fest, daß die Ohren während des Alterns um 0,22 Millimeter pro Jahr wachsen. Der übrige Körper bleibt gleich oder schrumpft. Im Alter von 2000 Jahren hätte man somit Ohren, die weit über den Kopf hinausragen.« Mit solchen Ohren kann der Musikreferent des Morgen-Blatts, der vielleicht auch schon 2000 Jahre alt ist, die feinsten Nuancen erlauschen: »Anton von Weberns ›Passaoaglia‹ markiert die Grenze zwischen Spätromantik und der späteren Hinkehr zur reduzierten Zwölftontechnik.« Eine frühere Hinkehr zu Johann Strauß vernahm der Rezensent in der Komischen Oper. Dort »begleitete der Intendant das Konzert mit mancher Wortwürze. Für die begeistert aufgenommen Klangwürze sorgten die Musiker mit weißen Chrysanthemen am Frackrevers ...« Die Blüten dienten der Frackwürze. Felix Mantel Lob des Präservadenten Er ist einfach. Matthias Biskupek
Erschienen in Ossietzky 5/2012 |
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