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Februar 2011 begann der »arabische Frühling« als friedliche Revolution, die sich gegen die Regime richtete, die die freie Meinungsäußerung verboten und Oppositionsgruppen unterdrückten. Die Menschen protestierten für mehr demokratische Teilhabemöglichkeiten, bessere Arbeitsbedingungen, wandten sich gegen Korruption in Staat, Wirtschaft und Verwaltung, gegen Armut und Erwerbslosigkeit. Von den westlichen Regierungen waren diese Machtsysteme lange Zeit unterstützt worden. Nun fielen sie wie Kartenhäuser zusammen. »Aufstand der Würde« nannten die oppositionellen ÄgypterInnen die Revolte. Husni Mubarak, bis dahin ägyptischer Staatspräsident wurde am 20. Februar 2011 samt seiner Regierung aus dem Amt vertrieben. In Tunesien wurde Präsident Zine el-Abidine Ben Ali gestürzt und in die Flucht getrieben. Getragen wurden die Proteste von einer breit gefächerten Bewegung, vor allem von jungen Menschen, viele Erwerbslose waren unter ihnen und viele Frauen; Arbeiterinnen und alleinerziehende Frauen kämpften aus Wut gegen belastende Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne und lange Arbeitszeiten. Andere kamen, um ihre Kinder zu beschützen, weil sie sahen, daß das Mubarak-Regime bereit war, alles zu tun – auch zu töten –, um an der Macht zu bleiben. Frauen marschierten ganz vorn, organisierten Happenings, und ihre Lieder wurden zu Hymnen der Revolution. Die Gewalt gegen Demonstrantinnen auf dem Tahrir-Platz schockierte die Welt. Frauen wurden geschlagen, verletzt und ins Gefängnis geworfen, Bloggerinnen und Streikende verfolgt, gefoltert und durch die Sicherheitskräfte zum Schweigen gebracht. Es waren Übergriffe und öffentliche Demütigungen seitens der regierenden Militärs, wie die an 17 Mädchen durchgeführten »Jungfrauentests«, durch die revoltierende Frauen auf ihre Körperlichkeit reduziert werden sollten. Nachdem eines der Opfer im Dezember 2011 vor Gericht ging und gewann, war der Bann der Scham bei den Frauen gebrochen. Tausende marschierten protestierend durch Kairo und skandierten an die Adresse des Militärrates: »Schluß, wir Frauen sind die Rote Linie!« Sie zwangen den Militärrat zur offiziellen Entschuldigung und forderten Selbstbestimmung und reproduktive Rechte. Ein Jahr nach dem Aufstand haben Männer wieder das Sagen in der arabischen Welt. Gerade einmal zwei Prozent der ägyptischen Volksvertreter sind nach den Wahlen Frauen. Eine unter Mubarak eingeführte Quotenregelung, wonach zwölf Prozent aller Parlamentarier weiblich sein mußten, schaffte das regierende Militär am 27. Mai 2011 ab. In der Verfassungskommission ist keine Frau. Im neuen Übergangskabinett gibt es nur eine Ministerin, während es vor der Revolution vier waren. Frauen wurden von der Macht ferngehalten. Mächtigste Gruppe im Parlament wurde die »Partei für Freiheit und Gerechtigkeit« der Muslimbrüder. Sie propagiert – ebenso wie auch die zweitmächtigste, die »Nur-Partei« der Salafisten – ein patriarchales Familien- und Geschlechterrollenbild, hinter dem fundamentalistische Christen ebenso stehen. Gemeinsam nutzten sie das Machtvakuum, um Einfluß zu gewinnen. Zum ersten Jahrestag rief die Menge auf dem Tahrirplatz: »Christen und Muslime ziehen an einem Strang!« und pfiff damit die Scheichs, die mit den Priestern Arm in Arm gekommen waren, aus. Frauen waren auch wieder auf dem Platz. Sie kamen allerdings weniger, um zu feiern, sondern vielmehr, um den Sturz der Militärherrschaft zu fordern. Sie fürchten, daß ihre Rechte weiter zurückgedreht werden. In der Kasbah von Tunis und auf dem Tahrirplatz gehen die Proteste weiter. Frauen sind weiter in der ersten Reihe. Sie wissen, daß die Befreiung des Landes nicht automatisch zur Befreiung der Frauen führen wird, wenn sie sich nicht zur Wehr setzen. Auch an vielen anderen Orten der Welt gehen die Proteste um politische Mitsprache und um eine andere gesellschaftliche und wirtschaftliche Machtverteilung weiter. Protestbewegungen besetzten Hunderte von Plätzen. In Deutschland protestieren Attac- und Occupy-AktivistInnen und aufgebrachte BürgerInnen, weil sie sich mit ihren Anliegen nicht ernstgenommen fühlen. Ohne Zweifel ist die Krise in Europa nicht nur eine Finanzkrise, sondern auch eine Krise der repräsentativen Demokratie. Eine weltweite soziale Bewegung von Unzufriedenen steht noch aus. Es ist die Frage, ob sie sich angesichts der unterschiedlichen Belange in den verschiedenen Ländern und Bevölkerungsgruppen überhaupt bilden kann. Die Frauenbewegung in Deutschland scheint noch immer mit ihrer »Atempause« beschäftigt. Darauf hinzuweisen, daß jede Demokratie unvollendet ist, solange die Ebenbürtigkeit zwischen den Geschlechtern nicht erreicht ist, sollte die Aufgabe jeder sozialen Bewegung sein.
Erschienen in Ossietzky 5/2012 |
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