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Ihr gelingt es, bei den Erklärungen ihrer atemberaubenden Wendemanöver, sei es über die Frage, ob wir einen Krieg in Afghanistan führen oder ob wir einen Mindestlohn brauchen, den Massen glaubhaft zu machen, daß sie irgendwie zwar nie, aber letztendlich doch schon immer sowohl dieser als auch der anderen Meinung gewesen sei. So setzte sie »glaubhaft« die Verlängerung der Laufzeiten abgewirtschafteter Atomkraftwerke durch und wurde nach dem Super-GAU in Japan über Nacht zur ersten und obersten Atomkraftgegnerin der Bundesrepublik Deutschland. Plötzlich gab es neue Daten, die die alten Risikoberechnungen als falsch auswiesen. Da war es für die promovierte Physikerin doch eine Selbstverständlichkeit, schnell umzudenken und die Entscheidung von gestern zu revidieren. Die Opposition mußte sich geschlagen geben. Auch den Super-GAU ihres Dr. Kriegsministers Guttenberg überlebte sie unbeschadet. Während der Großen Koalition galt die Regelung, den Krieg in Afghanistan nicht als Krieg zu bezeichnen. In gemeinsamer Regierungsverantwortung mit der FDP erwiesen sich diese Entscheidung und der dafür einstehende Minister Franz Josef Jung als nicht mehr haltbar. Dem schneidigen Public-Relation-Experten Guttenberg fiel nun die Aufgabe zu, den Deutschen beizubringen, daß sie am Hindukusch doch Krieg führen, zumindest an einem Geschehen beteiligt sind, das als Krieg bezeichnet werden kann. Merkel hat bei ihrem Besuch in Kundus gegenüber den Soldaten ihre unübertroffene Wendedialektik mit dem Satz unter Beweis gestellt: »Wir haben hier nicht nur kriegsähnliche Zustände, sondern Sie sind in Kämpfe verwickelt, wie man sie im Krieg hat.« Das ist einer der Schlüsselsätze, der die Merkel’sche politdialektische Logik, die eine nobelpreisverdächtige Kombination von Machiavellismus und naturwissenschaftlichem Relativismus ermöglicht, sehr gut kenntlich macht. Der Allgemeinverständlichkeit halber nenne ich sie Wendehals-Teleologie. Angela Merkel-Wendehals unterscheidet sich jedoch deutlich von vielen anderen Wendehälsen. Auch von Gauck. Denn die meisten haben sich nur einmal beim Zusammenbruch der DDR gewendet. Aus warmherzigen SED-Blockflöten der Ost-CDU wurden schlagartig eiskalte antikommunistische CDU-Mitglieder, die den etwas müde gewordenen Kalten Kriegern des westlichen Lagers bis heute zeigen, welche lauen Weicheier sie geworden sind. Deshalb ist auch die Gauck-Birthler-Jahn-Behörde längst nicht mehr nur eine Behörde zur Aufarbeitung der SED-Verbrechen, sie ist auch eine Munitionsfabrik der Kommunistenjäger, die den Fehler der Nachkriegszeit, die alten Nazis in den Dienst der westlichen Demokratien zu stellen, in der Nachwendezeit nicht etwa in der Weise wiederholt sehen möchten, daß womöglich Kommunisten eingestellt würden. Diese Logik ist es, die den unaufhaltsamen Aufstieg des privilegierten Widerstandskämpfers im antikommunismusfreien Osten, Pfarrer Gauck, bis zum Super-Gauck des antikommunistischen freien Westens ermöglichte. Die Freiheit des freien Westens war nie so frei, die Nazis, dieses letztinstanzliche Bollwerk zum Schutz der kapitalistischen Freiheit, mit der gleichen Konsequenz zu bekämpfen wie den Kommunismus. Um das zu schaffen, müssen erst einmal alle Nazis als verkappte Linke entlarvt werden, oder besser noch, alle Linken als verkappte Nazis. Wer jedoch sieht, daß Historiker wie Götz Aly und Menschenrechtlerinnen wie Erika Steinbach systematisch an dieser kopernikanischen Wende des Antikommunismus arbeiten, darf noch auf den Endsieg über die ewigen Sozialromantiker hoffen. Angela Merkel gehörte jedoch von Anfang an zu jenen Wendehälsen, die begriffen, daß diese Formen des Klassenkampfs, die der Kalte Krieg hervorgebracht hatte, in der Nachwendezeit allenfalls noch bei innerdeutschen Wahlkämpfen längere Zeit meßbare Wirkung haben würden. Es war ihr bewußt, daß Globalstrategen des deutschen und internationalen Kapitals die Zukunftschancen ihrer Freiheit immer klarer in der aggressiven finanzkapitalistischen, notfalls auch militärischen Eroberung der Weltmärkte sehen. Sie brauchen zwar nach wie vor national orientierte Parteipolitiker, die aber neue, flexiblere Formen des Klassenkampfs und der Ausplünderung von Mensch und Natur zu organisieren und demokratisch zu legitimieren vermögen. Deutlich wird das an der Entwicklung der Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Volksrepublik China. Hier zeigt sich das an der inzwischen als Dauerfavorit unter den Exportweltmeistern zur Führungsmacht der Europäischen Union aufgestiegenen Möchtegern-Weltmacht Deutschland. Sie ist unter Merkel flexibel genug, auch mit Kommunisten auf Augenhöhe zu verhandeln, während sie sich innerdeutsch den Gauck als Demokratielehrer durchaus noch vorstellen kann. Er wird die Linkspartei und kapitalismuskritische Oppositionsbewegungen in Schach halten, bei seinen Staatsbesuchen in China und Vietnam aber Abstriche machen, um unseren kommunistenfreundlichen Geschäftsleuten nicht die Laune zu verderben. Längst fühlen sich viele deutsche und andere europäische Kapitalanleger in diesem kommunistisch gelenkten Kapitalismus wohler als in den freiheitlichen Demokratien. Im neuen Reich der Mitte gibt es kaum noch ein erfolgreiches Unternehmen, das nicht – dank der Joint-Venture-Regeln – mit westlichem Kapital ausgestattet ist. Chinesische Niedrigstlöhne ermöglichen Exportoffensiven in Hochlohnländer, die dem Fall der durchschnittlichen Profitrate erfolgreich entgegenwirken. Daß China zunehmend auch von der Ausbeutung der Rohstoffe schwach entwickelter Länder profitiert, ist auch ein Verdienst westlicher Anleger. Es gibt einen beträchtlichen, aber nach wie vor verschwiegenen deutschen, europäischen und us-amerikanischen Eigenanteil an der und von professionellen Gehirnwäschern als Bedrohung dargestellten chinesischen Konkurrenz. Um in diesem Kontext erfolgreich zu sein, ist die gelernte Pfarrerstochter, Naturwissenschaftlerin und Wendepolitikern geradezu prädestiniert. Ein Joachim Gauck als Bundespräsident, zumal nach den Mißgriffen, die sich bei der von Merkel dominierten Auswahl der beiden Gauck-Vorgänger gezeigt hatten, muß ihr – angesichts der biographischen und ideologischen Gemeinsamkeiten – als innenpolitischer Super-GAU erscheinen. Nicht nur, daß sie ihn schon bei seiner ersten Kandidatur nur mit Ach und Krach verhindern konnte und er nun als Sieger auftrumpfen kann. Auch daß er mit seinem schillernden Freiheitspathos der säkularen Drift im Wege stehen könnte, die die Nationalkonservativen mit zunehmender Abspaltungstendenz als Sozialdemokratisierung der CDU beklagen. Vor diesem Hintergrund darf man gespannt sein, ab wann FDP, Grüne und SPD es bereuen werden, Merkel ausgetrickst zu haben.
Erschienen in Ossietzky 5/2012 |
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