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Er betrieb Galerien in Berlin, Köln, Düsseldorf, Frankfurt, Köln und Wien, gab circa 170 Kataloge seiner Ausstellungen heraus und edierte, vom »Verlegerrappel« ergriffen, Kunstzeitschriften, Mappenwerke und illustrierte Bücher. Er baute mit noch unbekannten Künstlern ein modernes Kommissionsvertragsnetz auf, das diesen eine kontinuierliche Entfaltung erleichterte. Insofern war er ständiger Inspirator ihres Schaffens, an dem er persönlich lebhaften Anteil nahm. Als einer der ersten widmete er Ausstellungen ausschließlich dem Schaffen von Künstlerinnen, dem relativ jungen Kunstgenre der Photographie und der nativen Kunst. Er unterhielt eine Unzahl von Beziehungen zu Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur, Wirtschaft und Politik, zu Museen und Kunstsammlungen und war selbst eine populäre Figur des Kulturlebens in der Zeit vor und während des Ersten Weltkrieges und der Weimarer Republik; seine »Bilderbude« war ein Glanzpunkt des gesellschaftlichen Lebens im Berlin der 1920er Jahre. Durch seine Tätigkeit gewannen moderne Kunstströmungen (Fauvismus, Kubismus, Expressionismus) ihren Fokus, ihre Kontur, ihren thematischen und formellen Zusammenhalt und wurden zu Gegenständen öffentlicher Diskussion. In seinem Verständnis für Talente und deren Potenz, die Themen und das Formgefühl ihrer Zeit widerzuspiegeln, bewies er untrügliches Gespür und einen vorurteilsfreien und kosmopolitischen, in die Zukunft gerichteten Kunstsinn. Den Nazis war er auf dem Gebiet der Bildenden Künste Haßfigur Nummer eins, der »Kunstjude« und »Großmanager entarteter Kunst« schlechthin, speziell angepeilt von Adolf Hitler, zu dessen kleinbürgerlichem Kunstgeschmack der ingeniöse Zug des Flechtheimschen Schaffens schrill kontrastierte. Alfred Flechtheim wurde bereits ab 1930 geschäftlich gezielt behindert und ruiniert; seine Vernissagen durch Naziaktionen gestört, bis er sich im Mai 1933 zur Emigration entschloß. Er reiste über die Schweiz nach Paris, wo er viele Jahre im Kreise von Künstlern gewirkt hatte, und schließlich nach London. Es war eine Flucht; er litt unter gesundheitlichen Beschwerden und konnte trotz der Unterstützung einiger treuer Freunde seine Tätigkeit in London nicht erneut aufnehmen. Lebend von »der Wand in den Mund« verstarb er schließlich verarmt und verzweifelt in London. Seine Frau Betti entging in Berlin der unmittelbar drohenden Deportation 1941 durch Suizid. Flechtheims Kunstsammlung wurde in alle Welt zerstreut. Unter dem Titel »Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst« hat nun Ottfried Dascher Alfred Flechtheim mit einer akribisch recherchierten Arbeit ein Denkmal und einen Kontrapunkt gegen das Vergessen, Verschweigen, die Spurenverwischung und die Intransparenz des modernen Kunstbetriebs gesetzt. Ganz nebenbei tritt er damit auch der respektlosen Verwicklung des Namens Flechtheim in einen abgeschmackten Fälscherprozeß um eine Fiktion – die Sammlung Jägers – entgegen. Er entwirft ein lebendiges und anrührendes Porträt. Zugleich zeichnet Dascher eine zeitgeschichtliche Studie. Er umreißt Grundzüge der Entwicklung von Industrie, Handel, Politik und Kunst in ihren Wechselwirkungen im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Dabei würdigt er den großen Beitrag des jüdisch-deutschen Bürgertums zur wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung der Zeit. Die reiche, technisch hervorragende Bebilderung und die sorgfältige Auswahl an sehr guten Gruppen- und Porträtfotos illustrieren sowohl das Leben und die Beziehungen Alfred Flechtheims wie auch das Schaffen »seiner« Künstler und bilden einen Kurzabriß der Malerei, Graphik und Fotographie seiner Zeit. Auf einer beigefügten CD präsentiert Dascher eine Übersicht über die Flechtheim-Kataloge und – Rarität aus der Geschichte des Kunstjournalismus – eine Ausgabe der Zeitschrift Querschnitt. Das Werk ist eine bibliophile Kostbarkeit. Seine ästhetische Sorgfalt deutet auf eine Art der Zusammenarbeit mit dem Nimbus-Verlag, die in heutigen Zeiten ihresgleichen sucht. Dascher leistet einen Beitrag zur Provenienzforschung und hilft dem Leser, Teile des kollektiven Gedächtnisses wiederzugewinnen: Indem er Alfred Flechtheims und seines Lebenswerkes gedenkt, wird der Familie Flechtheim ihre Leistung gerechterweise zugesprochen. Es ist an der Zeit, in Museen und Galerien den Vermerk »Ehemals Sammlung Alfred Flechtheim« an den entsprechenden Exponaten anzubringen und so den Werken an geschichtlicher Tiefe Entscheidendes hinzuzufügen. Ottfried Dascher: »Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst. Alfred Flechtheim – Sammler, Kunsthändler, Verleger«, Nimbus-Verlag, 511 Seiten, 39,80 €
Erschienen in Ossietzky 4/2012 |
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