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Garzón stützte sich auf Berichte der chilenischen »Wahrheitskommission«, die in den Jahren 1990 und 1991 die Verbrechen während der Pinochet-Diktatur untersucht hatte. Es war der erste Fall weltweit, in dem unter Berufung auf das Weltrechtsprinzip des Völkerstrafrechts gegen einen ausländischen Machthaber ermittelt wurde. Da sich der Exmilitär und Diktator gerade in London aufhielt, stellte Spanien einen Auslieferungsantrag an Großbritannien. Pinochet wurde verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Innenminister Jack Straw von der Labour-Party hob 2000 den Hausarrest wegen »schlechten Gesundheitszustands« auf. So konnte der Täter ohne Prozeß nach Chile zurückkehren. 2009 eröffnete Garzón eine Untersuchung wegen Korruptionsverdachts gegen hochrangige Mitglieder der damaligen spanischen Oppositionspartei Partido Popular (PP), die seit den Wahlen vom 20. November 2011 – das ist auch Francos Todestag – die Regierung stellt. Unter den Beschuldigten sind auch Angehörige der Regionalregierungen der Provinzen Madrid und Valencia. Im Januar 2012 sprach das Schöffengericht zwei Angeklagte, den ehemaligen Ministerpräsidenten der Provinz Valéncia, Francisco Camps, sowie Ricardo Costa mit 5:4 Stimmen vom Vorwurf der Bestechlichkeit und Vorteilsannahme frei. Verurteilt wegen des gleichen Vorwurfs wurden der Vizevorsitzende der PP, Victor Campos, und der Tourismusdirektor Rafael Berotet. Sie hatten sich für schuldig erklärt. Schon seit 2008 versuchte Baltasar Garzón, die Morde und Entführungen der Franco-Jahre aufzurollen. Doch der Oberste Gerichtshof in Madrid ließ daraufhin im Mai 2009 eine Klage gegen den Ermittlungsrichter zu. Kläger ist die ultrarechte Gewerkschaft »Manos limpias« (Saubere Hände). Der Klage schloß sich die Falange Española an, die Nachfolgerin jener Organisation, die den spanischen Faschismus anstrebte und General Franco mit mörderischem Terror an die Macht half. Die Rechtsextremen wollen es also Garzón verwehren, die Verbrechen des Franquismus zu untersuchen, und werden dabei vom Obersten Gerichtshof unterstützt, dessen Mitglieder nicht alle auf die Verfassung von 1978 geschworen haben. Ungewollt bewirkten die Kläger jedoch, daß nun direkt im Gerichtssaal der Franquismus mit seinen Untaten konfrontiert wird. Zeugen des Spanischen Bürgerkriegs sagen aus. María Martín López ist die erste Frau, die vor einem spanischen Gericht die Greueltaten des Francisco Franco zur Sprache bringt. Die 81jährige hat nicht vergessen, wie man ihre Mutter mitnahm und ermordete. Der Vater, gleichfalls verhaftet, kam nach Jahren frei. 1977 starb er, ohne den Leichnam seiner Frau beerdigen zu können. Dieser liegt in einem Flußbett, das zum Massengrab wurde. Der Vater hatte María Martín López aufgetragen, weiter nach der Mutter zu suchen. Darum hat sie sich an den Ermittlungsrichter Baltasar Garzón gewendet. Inzwischen hat auch ein Historiker vor dem Gericht ausgesagt. Zu Francos Zeiten habe es einen Plan zur systematischen Auslöschung der politischen Gegner gegeben. 140.000 seien während des Bürgerkriegs und danach Opfer Francos geworden. Die Amnestie von 1977, bekannt unter dem Namen »Transición«, verhinderte bisher, daß die Verbrechen Francos aufgeklärt werden. Auch das Chamäleon Manuel Fraga, Francos eifriger Diener und Gründer der PP, der am 15. Januar 2012 mit 89 Jahren starb, hätte vor ein Gericht gehört. Baltasar Garzóns Unterstützer – Kommunisten und Sozialisten demonstrieren gemeinsam für ihn – fürchten, daß mit dem Prozeß ein unbequemer Jurist mundtot gemacht werden soll. Seine Gegner halten ihm vor, daß er mit seinen Ermittellungen längst verheilte Wunden erneut aufreiße. Doch wer durch Spanien fährt, der sieht noch immer die Wunden, die der Franquismus zurückließ. Dazu gehört auch der sonntägliche Gottesdienst ab 11 Uhr aus dem Valle de los Caídos. Direkt vor den Gräbern Francos und des Gründers der Falange Española, José Antonio Primo de Rivera, wird landesweit ein katholischer Gottesdienst live im Fernsehen verbreitet. Keine Aufarbeitung der spanischen Geschichte vonnöten? Nachtrag: Schneller als gedacht wurde Richter Baltasar Garzón mit Berufsverbot belegt. Die spanische Justiz urteilte am 9. Februar 2012, Garzón habe sich bei Ermittlungen in der »Gürtel«-Affäre illegaler Methoden bedient: Er habe Gespräche hochrangiger Politiker der Partido Popular, darunter des Ministerpräsidenten der Provinz Valéncia Francisco Camps, mit ihren Anwälten widerrechtlich abhören lassen. Dabei hat Richter Garzón bereits Justizgeschichte geschrieben, als er 2008 einen der größten Korruptionsskandale aufdeckte: Mitglieder der PP sollen Schmiergelder für milliardenschwere Euroaufträge an ein mehr als dubioses Firmennetz entgegengenommen haben. Um diesen Tatbestand belegen zu können, ließ Garzón die Gespräche zwischen den einsitzenden Verdächtigen und ihren Anwälten mitschneiden. Das ist juristisch umstritten, ist nur erlaubt bei Taten mit einem Terrorhintergrund. Der Oberste Gerichtshof sah darin die Rechte der Verdächtigen verletzt und folgte der Argumentation der Anwälte der unter Korruptionsverdacht stehenden Politiker. Richter Baltasar Garzón argumentierte, daß die Anwälte der Verdächtigen an den Taten ihrer Mandanten beteiligt gewesen und die illegalen Geschäfte aus der Haftanstalt weiter betrieben worden sein. Die Staatsanwaltschaft stellte damals die Klage gegen Garzón ein. Sie begründete dies damit, daß zwei ähnliche Abhörfälle, nicht zu einer Verurteilung des Richters geführt hatten. Für den international renommierten Juristen Baltasar Garzón bedeutet das aktuelle Urteil, daß er elf Jahre nicht mehr in der spanischen Justiz tätig sein darf. Noch steht der zweite Prozeß aus, weil er wagte, die franquistische Vergangenheit aufzuarbeiten. Auch dieses Urteil wird sich wohl nicht wesentlich von dem jüngsten Urteil unterscheiden. Besonders betroffen von der Aufarbeitung der Franco-Diktatur ist die konservative PP. Und die regiert derzeit das spanische Königreich. Kontext:
Erschienen in Ossietzky 4/2012 |
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