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Verlierer sind die Menschenrechte und die zivilen Opfer der Kriege. Der Streit hat eine lange Geschichte, die Susanna Böhme-Kuby für Italien nachgezeichnet hat (»Der Schrank der Schande«, s. S. 123). Es geht um die zahllosen Massaker, die die deutsche Armee und SS in den von ihnen besetzten Ländern Griechenland und Italien an der Zivilbevölkerung begangen haben. Und es geht um die Entschädigung, die die Opfer nie erhalten haben. Erst Jahrzehnte später haben sie versucht, sie vor ihren Gerichten einzuklagen. Es gibt Tausende derartiger Klagen in Griechenland und ein Urteil des Areopag zum Massaker in Distomo, mit dem die Bundesrepublik zur Zahlung von 28 Millionen Euro verurteilt wurde. Es gab weitere Urteile des italienischen Kassationsgerichtshofes gegen Deutschland zur Entschädigung von Opfern eines Massakers in Civitella und von Zivilisten und Soldaten, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt worden waren und nie eine Entschädigung erhalten haben. Alle deutschen Regierungen mißachteten diese Urteile. Schließlich entschloß sich die CDU/SPD-Regierung 2008, Italien wegen Verletzung der Immunität zu verklagen. Sie bestritt die furchtbaren Verbrechen nicht und beteuerte immer wieder ihr Bedauern, weigerte sich jedoch nach wie vor, Entschädigungen zu zahlen. Sie verwies auf Reparationszahlungen, die sie an beide Regierungen in Höhe von 40 und 60 Millionen Euro geleistet hatte. Diese waren jedoch ausdrücklich nur für bestimmte Opfer wegen politischer und religiöser Verfolgung bestimmt gewesen. Die Opfer der Massaker hatten davon nichts bekommen. Der Schutz eines Staates vor Gerichtsverfahren anderer Staaten ist ein altes völkerrechtliches Prinzip der Staatenimmunität. Das hat zu dem Brauch geführt, daß die Pflicht eines Staates, für völkerrechtliche Verstöße ihrer Truppen im Krieg die Opfer zu entschädigen (Art. 3 der IV. Haager Konvention von 1907), zwischen den Staaten mittels Reparationen vertraglich geregelt wird. Klagen Einzelner, die aus den Reparationen nichts erhalten haben, waren nur in den seltensten Fällen erfolgreich. So klagten einige Opfer des Massakers von Distomo erfolglos vor deutschen Gerichten auf Schadensersatz. Auch die Opfer des völkerrechtswidrigen NATO-Angriffs auf die Brücke von Varvarin während der Bombardierung Ex-Jugoslawiens im Frühjahr 1999 klagten vergeblich vor deutschen Gerichten auf Schadensersatz. Fazit: Die Opfer gehen leer aus. Doch dies ist nur die eine Seite des Urteils. Deutschland war der Verlierer des von ihm angezettelten Krieges. Es wurde zu Reparationszahlungen verpflichtet, so daß es wenigstens eine kleine Entschädigung für die unermeßlichen Zerstörungen und Leiden gegeben hat. Die heutigen Kriege – von dem Überfall auf Ex-Jugoslawien, Afghanistan, Irak bis Libyen – werden von den Siegern begonnen, geführt und beendet. Sie bestimmen selbst, ob und wem sie Reparationen oder Einzelentschädigungen zahlen. Wer sollte sie zu Reparationen zwingen? Für sie ist das Urteil des IGH ein Freibrief zur Kriegsführung und Art. 3 IV. Haager Konvention eine unverbindliche Erinnerung. Ihnen bleibt es überlassen, die zahlreichen zivilen Opfer willkürlicher oder fahrlässiger Raketenangriffe mit ein paar Dollar oder Euro aus der Kriegskasse vor Ort zu »entschädigen«. Sie haben nicht zu befürchten, nach dem Krieg noch von irgendeinem Gericht belangt zu werden. Es war zu erwarten, daß auch die Richter aus den schwachen Staaten, die eher Opfer als Täter einer militärischen Intervention sein werden, für die Souveränität und gegen die Kriegsopfer gestimmt haben. Das Urteil erging mit 13 zu 2 Stimmen. Die Unantastbarkeit ihrer Souveränität ist oft der einzige Schutz der schwachen Staaten gegen die machtvollen ökonomischen und militärischen Instrumente, mit denen die imperialen Großmächte in ihren alten Kolonien intervenieren. Wird dieser Schutzschirm an einer Stelle durchlässig, besteht die Gefahr, daß er bei der nächsten Gelegenheit an einer anderen Stelle aufgehoben wird. Die Angst davor begründete offensichtlich die Zustimmung der Richter zu dem Urteil. Es gab in jüngerer Zeit zumindest Ansätze, diesen Schutzschild bei schwersten Verletzungen des humanitären Völkerrechts, bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schweren Kriegsverbrechen, im Interesse der Opfer und der Menschenrechte durchlässig zu machen. Vorbild war die Verfolgung des ehemaligen Diktators Augusto Pinochet durch die spanische Justiz wegen schwerer Regierungskriminalität. Ihm half seine Immunität während seines Regierungsamtes nicht. Vor dem Internationalen Strafgerichtshof schützt auch die Amts-immunität nicht mehr. US-Präsident George Bush und seine Minister Donald Rumsfeld und Dick Cheney hätten deshalb ebenso wegen ihrer Kriegsverbrechen im Irak zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden können wie der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, Außenministerin Zipi Livni und Verteidigungsminister Ehud Barak wegen ihrer Kriegsverbrechen bei der Operation »Cast Lead« in Gaza. Keine juristischen, nur politische Gründe hinderten die internationale Justiz an einer Anklage. Aber es ist ein Unterschied, ob man einen Staat oder sein Personal zur Verantwortung zieht. Während das Personal zu Recht immer weniger seine Verbrechen hinter der Immunität verstecken kann, haben die Richter des IGH den Schutzschild für die Staaten nun wieder gestärkt. Zu Unrecht, denn ein Prozeß, in dem sich ein Staat vor einem Gericht wegen schwerer Kriegsverbrechen zu verantworten hat, verletzt nicht seine Souveränität. Ein solcher Prozeß dient den Opfern und der Gerechtigkeit, welche der IGH hier im Stich gelassen hat.
Erschienen in Ossietzky 4/2012 |
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