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Große Erfolge errang Gert vor allem als Solotänzerin, wählte früh auch schon als darzustellendes Motiv das junge Medium Film. Als Schauspielerin arbeitete sie zusammen mit Wedekind, trat bei Max Reinhardt auf, übernahm Rollen in den damals modernsten Stücken von Heinrich Mann und Ernst Toller. Als Filmschauspielerin betätigte sie sich beispielsweise unter der Regie von Georg Wilhelm Pabst in der Kinofassung der »Dreigroschenoper«, 1930. Der NS-Terror zwang Gert zur Emigration nach Frankreich, England und 1938 in die Vereinigten Staaten. Um sich in New York durchzuschlagen, versuchte Valeska Gert, sich mit einer Bar, der »Bettlerbar«, über Wasser zu halten. Vor seinen Erfolgen als Dramatiker kellnerte Tennessee Williams bei ihr, und Kadidja Wedekind trat als Sängerin bei ihr auf. 1947 remigrierte Gert. In Kampen eröffnete sie eine Nachtbar, bekannt unter dem Namen »Ziegenstall«. In zwei autobiographischen Schriften gab Valeska Gert Auskunft über sich: »Mein Weg« (1931), mit Darstellung ihres Lebens von der Kindheit bis zu ihrer Karriere als Tänzerin, und »Die Bettlerbar von New York« (1950), worin sie vornehmlich ihre Jahre in der Emigration schildert. Für Valeska Gert bildete die Dominante ihrer Existenz Lebensfreude in Verbindung mit Erotik. Als Lektüre erwähnt sie ausdrücklich »Aphrodite« – Hauptwerk eines französischen Autors, der auf erotische Dichtung spezialisiert war: Pierre Louys. Und sie gebraucht die schöne Wendung: »An manchen Abenden« sei sie »verrückt vor Lebensfreude«. Übertreibt sie? Jedenfalls verbuchte sie anfangs jeden Tag fünf bis sechs Verabredungen, später doppelt so viele, und wöchentlich schreibt sie, wäre sie sechsmal auf Bälle gegangen. Ihr erster Ehemann verwöhnte sie: »Zusammen mit unseren Mädchen« besorgte er den Haushalt. Ihr zweiter Mann allerdings, Robin, erkor schließlich eine mönchische Lebensweise – was sie kommentarlos referiert. Als Tänzerin erfindet Valeska Gert die »moderne Tanzsatire«, eine Art getanzte Publikumsbeschimpfung: »Voll Übermut sprang ich aus der Kulisse. Die gleichen Bewegungen, die ich während der Proben sanft und anmutig getanzt hatte, übertrieb ich jetzt wild. Mit Riesenschritten stürmte ich quer über die Bühne, die Arme schlenkerten wie ein großes Pendel, die Hände spreizten sich und mein Gesicht verzerrte sich zu frechen Grimassen. Dann tanzte ich süß, viel süßer als die anderen. Ich kann auch süß sein, das Publikum stöhnte vor Wohlbehagen. Aber im nächsten Augenblick hatte es wieder eine Ohrfeige weg. Der Tanz war ein Funke im Pulverfaß. Das Publikum explodierte, als ich mit einer frechen Grimasse abzog. Sie tobten, pfiffen. Die moderne Tanzsatire war geboren.« Ihre Vorführung erweist sich zugleich als getanzte Sozialkritik. Als erstes schuf sie die »Canaille«. »Es war der erste sozialkritische Tanz auf der Bühne und der Anfang einer unendlichen Reihe von getanzten Freudenmädchen. Jede Tänzerin, die etwas auf sich hielt, hatte von nun an ein Straßenmädchen in ihrem Programm. Nur drehten sie den Sinn um. Wo ich peitschte, kitzelten sie. Sie bestätigten die Gesellschaft, die ich anklagte.« Die Anklage sollte den Bürger treffen: »Und weil ich den Bürger nicht liebte, tanzte ich die von ihm Verachteten, Dirnen, Kupplerinnen, Ausgeglitschte und Herabgekommene.« Im Romanischen Café hörte sie ein Mädchen sagen: »Wir wollen das Unerhörte im Tanz sehen.« Genau dies möchte Valeska bieten: »Das Unerhörte im Tanz, das will auch ich. Aber was ist das? Das Unerhörteste ist Geburt, Liebe und Tod. Niemand hat bisher gewagt, es wahr und ungeschminkt darzustellen. Ich will es tun.« Von der Kritik wird sie mit bildenden Künstlern verglichen, gern mit expressionistischen wie Ernst Barlach, auch mit älteren: Honoré Daumier, Francisco de Goya, selbst mit Dichtern wie Honoré de Balzac. Kurt Tucholsky hebt in einer Besprechung Gerts Verstand und ihre Technik hervor: »Sie schüttete ein Füllhorn voll Menschen aufs Parkett ... Alles, was sie tanzte, war eine gute Mischung von außergewöhnlichem Verstand und sehr guter Technik.« An Musik wählte sie ausschließlich Tanzmusik: Walzer, Fox, Tango, »Dreigroschenoper«. Sie tanzte: Straßenverkehr, sie tanzte Sport, »Wirklichkeitsbewegungen«; »zur Kunst« wurden sie »durch Fortlassen des Unwesentlichen und durch die Intensität dahinter, die ihnen die Durchschlagskraft und den Sinn gibt«. Sehr früh bezweifelte Valeska Gert »die Erzählungen vom lieben Gott«, langweilte sich gehörig in der Synagoge. 1918 – sie ist jetzt 26 – packt ein politisches Ereignis sie völlig: Matrosen und Soldaten in offenen Lastwagen durch Berlins Straßen fahrend, in den Händen rote Fahnen. »Mir ging der Anblick wie Feuer durch das Blut. Das ist die Revolution! Die alte Welt ist morsch. Ich will helfen, sie zu zerstören. Ich glaube an das neue Leben, ich will es mit aufbauen.« Hier war die Revolution, und ihr Unerhörtes im Tanz die Parallele zur Revolution, selber eine Revolution, die künstlerische als Entsprechung der politischen. Das war ihr Werk, ihr erstes. Die braune Gegenrevolution von 1933 vernichtet es. Emigrierend rettet sie ihr Leben, doch ihr Ruhm reist nicht mit: »Meine Tänze haben die Tänzer der ganzen Welt befruchtet, und sie wissen es nicht.« Hier spürt man den Schmerz, den Verlust, den die Verbannung für sie bedeutete, die Tragik der ausgestoßenen avantgardistischen Tänzerin. Im Exil entsteht ihr zweites Werk, die »Bettlerbar«. Auch diese fällt der Vernichtung zum Opfer, denn die US-amerikanischen Behörden schließen sie unter einem Vorwand. Erbittert schreibt Valeska: »Einmal hat Hitler meine Heimat, meine Freunde, mein Werk vernichtet. Nun ist mein Werk ein zweites Mal vernichtet worden.« Folge: Remigration. In ihrer Erzählung von der »Bettlerbar« erinnert sie sich an die ihr nahestehenden Opfer des NS-Regimes, Verwandte und Schulfreundinnen. Von den letztgenannten ist Lilly in Auschwitz vergast worden, kam Else gelähmt von Theresienstadt zurück. Sie selber? – »Ich stehe wieder am Anfang und muß mir ein neues Leben erkämpfen und gestalten.« Dazu gehört die Bewahrung ihres Künstlertums, und sei es in der verschriftlichten Erinnerung, in Form der Autobiographie. Auch gelingt es ihr, wieder zu filmen. Regie führt Fellini. Wie für den Überlebenskampf im Exil so brachte sie für den Neuanfang in Deutschland im Alter von Mitte Fünfzig vor allem eine Voraussetzungen mit: Tapferkeit, die schon einem Zeitgenossen an ihr in Amerika aufgefallen war. So klingt es aus einem Miniaturdialog in New York: »›Sie sind keine Jüdin, Valeska?‹ fragte ein Detektiv. – ›Doch‹, entgegnete ich. ›Warum?‹ – ›Weil sie so mutig sind.‹ – ›Haben Sie noch nie von den Makkabäern gehört?‹ fragte ich. ›Das waren Juden und die kämpften.‹«
Erschienen in Ossietzky 1/2012 |
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