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Die Mehrheit der Bevölkerung auch in der Bundesrepublik, in einem Land also, das beim finanzkapitalistischen Ranking (noch) eine Vorzugsposition einnimmt, hält das herrschende Ökonomiemuster mit seinen Auswirkungen auf die lohnabhängigen, steuerzahlenden oder auf sozialen Transfer angewiesenen BürgerInnen für höchst unordentlich. Der Kapitalismus hat sich selbst um sein Prestige gebracht. Ist dies, da er aber keineswegs daran denkt, abzudanken, sondern im Gegenteil seine Machtinstrumente verschärft einsetzt, eine geschichtliche Chance für die linke gesellschaftliche Opposition, ein Aufwind für linke Parteien und Organisationen, Zugewinn an Aufmerksamkeit für deren Argumente und Medien, Zustrom auch für ihre Angebote bei Wahlen? Hierzulande ist davon nichts zu bemerken. Lebendiger ist es geworden bei den Initiativen und Demonstrationen neben dem organisierten politischen Raum, die »Bewegung« sein wollen, es hoffentlich werden; und töricht wäre es, ihnen herablassend zu begegnen, weil sie nicht jene programmatische Deutlichkeit oder gar »Disziplin« aufweisen, die sich manche linken Altaktivisten wünschen. Aber die in irgendeiner Weise »verfaßte« Linke, womit nicht nur die Partei gemeint ist, die sich als »Die« Linke bezeichnet? Da schaut es lahm aus, eher nach Rückläufigkeit. Nicht nur die erwähnte Partei hat einen Verlust an Mitgliedern zu beklagen. Woran mag das liegen? Nur an der Geschicklichkeit derjenigen, die lange Erfahrung darin und medienmächtige Hilfe dabei haben, die bösen Kommunisten zu verteufeln und selbst biedere Gesinnungs-Sozialdemokraten (die ja nicht unbedingt Mitglieder der SPD sind) als kommunistisch infiziert darzustellen? Dies allein kann nicht die Ursache linken Lahmens sein, und es empfiehlt sich, wenn man eigene Schwächezustände feststellt, darüber nachzudenken, ob sie vielleicht selbstverursacht sind. Einige Gedanken nach Erfurt Der Philosoph Heidegger hat das Wort/den Begriff »Verwindung« erfunden. Laut Heidegger ist der Versuch, die objektivistische Metaphysik des Westens zu überwinden, zum Scheitern verurteilt. Man könne nur »verwinden«. Dieser Terminus ist – abgesehen vom technischen Bereich – nicht Gegenstand des alltäglichen Sprachgebrauchs geworden. Das ist bedauerlich, bringt es doch eine Erscheinung und mehr, nämlich eine Tatsache gerade moderner Politik treffend zum Ausdruck. »Verwinden« und »Verwindung« ist inzwischen (leider) Kennzeichen für eine Politik geworden, die ein Überwinden als nicht möglich oder sogar besser politisch opportun erscheinen läßt. Verwinden ist beinahe zum Markenzeichen sozialdemokratischer Politik und mehr und mehr auch der Haltung von Bündnis 90/Die Grünen geworden. Der Erfurter Parteitag und das dort verabschiedete Programm der Linken haben gezeigt, daß es um klare Positionen, nicht um Verwinden geht: Überwinden einer unklaren Haltung zur NATO und neue Formen der Sicherheit unter Einbeziehung Rußlands. Überwinden, das heißt sofortiges Ende der Kampfeinsätze der Bundeswehr, kein Verwinden – denn das würde bedeuten, daß weitere UN-mandadierte Einsätze möglich wären. Überwinden der Leiharbeit – dafür tariflich bezahlte Beschäftigung, Mindestlohn in allen Bereichen und aktive Arbeitsmarktpolitik. Überwinden und nicht Verbiegen und Verwinden, das steht für eine klare Politik auf beinahe allen wichtigen Gebieten. Es geht darum, die Gesellschaft »gerechter, solidarischer, friedlicher und würdevoller zu machen«, so das zentrale Anliegen der Linken und so formuliert in ihrem Programm. Es soll dieses Land verändern, wie die Vorsitzende Gesine Lötzsch in ihrer programmatischen Rede formulierte. »Verwinder« sollten diese Maßstäbe erkennen können. Manfred Uesseler Versucht man das, ist der Rückblick auf die großen historischen Vorgänge keine leicht zu erledigende »Pflichtsache«, sondern eine längst noch nicht abgeschlossene, notwendige Anstrengung – in Deutschland zum Beispiel auf die lange Zeit nachwirkende Niederlage der Arbeiterbewegung gegenüber dem aufkommenden und zur Macht greifenden Faschismus. Oder zeitlich näher – auf den Zusammenbruch staatlicher Systeme, die beanspruchten, sich auf dem Weg zum Kommunismus zu befinden. Auch auf die scheußlichen Irrwege, die dabei gegangen wurden. Aber ebenso auf das Scheitern der Sozialdemokratie bei dem Versuch, den Kapitalismus reformerisch in ein anderes, wohlfahrtstaatliches Modell zu verwandeln. All dies belastet selbstverständlich die Linke auch in der Gegenwart, keineswegs nur im deutschen Terrain. Aber davon soll an dieser Stelle nicht die Rede sein, zu prüfen sind auch Fehler oder Defizite der Linken in ihrer gegenwärtigen Gestalt, in ihren aktuellen Verhaltensweisen, unterhalb der geschichtlichen Dramatik, auf die eben verwiesen wurde. Mal angenommen, ein über die Verheerungen, die der Kapitalismus jetzt alltäglich anrichtet, erboster Mensch, in politischer Aktivität noch unerfahren, nähert sich der Linken, gedanklichen Austausch und gemeinsame Handlungsmöglichkeiten suchend, was findet er dort vor? Als überregionales, organisatorisch stärkstes Angebot eine Partei. Diese unterscheidet sich in ihren Regeln und Konventionen nicht von den Parteien, die er (zu Recht) im Verdacht hat, daß sie es mit jenen Wirtschaftsmächten sich nicht verderben wollen, deren Einfluß auf die Politik er für verderblich hält. Gewiß, die Partei Die Linke hat andere Ziele – aber hat sie eine andere Methodik als die regierenden oder aufs Mitregieren hinarbeitenden Christ-, Frei-, Sozial- und Gründemokraten? Unser Politnovize war erzürnt darüber, daß der übliche Parteien- und Parlamentsbetrieb sich weit entfernt hat von den bedrängenden Problemen im sozialen/asozialen Alltag, daß auch die gesellschaftlichen Weichenstellungen dort gar nicht zur Debatte stehen. Das Politikgeschäft, so sein Gefühl, diene praktisch in erster Linie dem Erlangen von Ämtern und Pfründen, und innerparteilich der personellen Konkurrenz. Die Profipolitiker, so seine Beobachtung, sind vor allem damit beschäftigt, Medienaufmerksamkeit zu finden und so ihren Rang in der eigenen Partei und bei der wählenden Kundschaft zu verbessern. Und nun die Partei Die Linke – wer wollte erwarten, daß sie von allen politmenschlichen Schwächen frei wäre; aber versucht sie wenigstens, die Gewohnheiten dieser »Postdemokratie« zu durchbrechen, kritisch gegenüber den Bräuchen im Parteienkartell (wer weiß, was aus den Piraten noch wird ...) politisches Engagement neuen Typs zu entwickeln? Vermutlich fehlt auch die Zeit für solche Schritte in ein noch nicht erschlossenes Terrain – mehr noch als in anderen Parteien sind »Funktionsträger« der Partei Die Linke damit beschäftigt, personelle Rivalitäten auszutragen. Und so vergehen die Tage mit einem linken Insiderspiel, das für die Beteiligten spannend zu sein scheint, weil die Medien gern darüber berichten. Eine Welt für sich – für wen anziehungsfähig? Verwunderlich wäre es nicht, wenn der Interessent, den wir uns da vorstellen, nach erstem Reinschnuppern starke Zweifel an der Alternativität dieser linken Partei bekäme. Aber er ist ja nicht auf die Linkspartei angewiesen, es bestehen andere, kleinere linke Parteien, parteiähnliche oder parteivorbereitende Organisationen und Organisatiönchen. Auswahl ist da durchaus gegeben. Der Zugang zu ihnen ist jedoch sehr beschwerlich. Wie soll der Mensch, der etwas gegen den Kapitalismus tun will, hier den richtigen Platz für sich finden? Erst mal all die konkurrierenden Programmpapiere durchackern, die feinen Unterschiede theoretischer Ableitungen erhoffter politischer Praxis studieren, wie sie nicht nur zwischen den Organisationen, sondern auch innerhalb derselben existieren und Energie in Anspruch nehmen? So etwas kann Vollbeschäftigung bedeuten, das kann sich der Interessent erst im Rentenalter leisten. Also gibt er die Suche nach einer attraktiven organisierten Linken auf. Und wartet ab, ob sie denn doch mal in Erscheinung tritt. Ohne sein Dazutun? Durch einen Wundertäter? Sozusagen ein dialektisches Thema.
Erschienen in Ossietzky 1/2012 |
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