von Gregor Kritidis (sopos)
Dieser Artikel erschien in der Lunapark21, Heft 16, 2012
Als am 21. April 1967 die Panzer durch Athen rollten und bei Razzien tausende Repräsentanten der politischen Linken verhaftet wurden, kam selbst bei unbedarften Zeitgenossen kein Zweifel über den Charakter des neuen Regimes auf. Seitdem haben sich die Methoden verfeinert: Nicht mehr mit roher Gewalt, sondern mit den subtilen Mitteln ökonomischer und politischer Erpressung werden Verfassungen ausgehebelt und Grundrechte aufgehoben.
Die Kreditverträge, welche die Republik Griechenland mit den Staaten der Eurozone sowie dem IWF abgeschlossen haben, sind dafür exemplarisch. Ohne Information der Abgeordneten, ohne Debatte und ohne die von der Verfassung vorgeschriebene Vierfünftel-Mehrheit wurde im Mai 2010 ein Gesetz verabschiedet, wonach die Verträge ab ihrer Unterzeichnung gültig sind. Selbst Abgeordnete und Funktionäre der seinerzeit allein regierenden PASOK reden mittlerweile von einem Staatsstreich, mit dem in Griechenland die bürgerlichen Eliten, die Troika, bestehend aus Vertretern der EU, der EZB und des IWF, sowie durch die von dem Deutschen Horst Reichenbach geleitete "Task-Force" faktisch die Macht übernommen und eine drakonische Austerity-Politik umgesetzt haben. Mit der Beteiligung der faschistischen LAOS an der von dem Banker Lukas Papadimos geleiteten Regierungskoalition, deren Handlungsspielraum nur unwesentlich größer als der der Kollaborationsregierung Tsolakoglou während der deutschen Besatzung sein dürfte, wurde seit November 2011 diese moderne Form der Diktatur nochmals konkretisiert.
Trotz der gesellschaftlich zerstörerischen Wirkung der Medizin, die von Brüssel verabreicht wird, hat sich das politische Establishment in Griechenland weitgehend widerstandslos dem Diktat gebeugt, das maßgeblich von Deutschland und Frankreich bestimmt wird. Der Knüppel, mit dem die bürgerlichen Parteien in Athen bisher zur Raison gebracht wurden, ist die Drohung, den Kredithahn zuzudrehen. Denn während in früheren Zeiten der Staat mit der Aussicht auf einen Staatsbankrott die Gläubiger zu günstigeren Kreditkonditionen nötigen konnte, ist dieser Weg durch die gesellschaftliche Funktion des Staates heutzutage versperrt. Da beispielsweise auch die Sozialversicherungen griechische Staatsanleihen halten, würde eine Staatspleite unmittelbar eine soziale Explosion auslösen. Die Furcht vor der sozialen Bewegung hat daher die bürgerlichen Kräfte zusammenrücken und jeglichen Bewegungsspielraum preisgeben lassen: Das Königsrecht des Parlaments, das Budgetrecht, hat die Athener Vouli (das Parlament) vollständig eingebüßt. Bis in die Details wird nun aus Brüssel vorgeschrieben, welche Haushaltskürzung zu welchem Zeitpunkt getätigt werden muss. Gleiches gilt für praktisch alle gesetzlichen Maßnahmen, seien sie steuer-, struktur- oder ordnungspolitischer Natur. Ob Eingriffe in die Tarifautonomie, die Zusammenlegung von Kommunen oder Sondersteuern aller Art – es gibt quasi für alle Bereiche staatlicher Tätigkeit ein Durchgriffsrecht aus Brüssel. Ganz Griechenland mitsamt allen mobilen und immobilen Sachwerten ist praktisch verpfändet. Der Staat wurde unter die Kuratel der Troika gestellt. Es ist auch nicht möglich, Verträge mit Dritten einzugehen – ganz offensichtlich eine Klausel, die neue und entlastende Kreditverträge mit chinesischen Investoren, die sich bereits vor Ausbruch der offenen Krise große Anteile der Häfen von Saloniki und Piräus gesichert haben, ausschließen soll. Zudem ist die Möglichkeit ausgeschlossen, die in Griechenland unter der Bezeichnung "Memorandum" bekannten und berüchtigten Kreditverträge nachträglich zu modifizieren oder juristisch anzufechten. Diese Verträge unterliegen auch nicht etwa EU-Recht, wie man annehmen sollte. Grundlage ist vielmehr das britische Recht, das die Position des Gläubigers besonders stärkt. Der Staatsrechtler Giorgos Kassimatis, der bereits gegen die Junta Widerstand geleistet und in den 1980er Jahren die griechische Regierung juristisch beraten hat, spricht in diesem Zusammenhang von einer "Aufhebung der Verfassung" sowie einer "Abtretung von Souveränitätsrechten". Die parlamentarische Demokratie ist kaum mehr eine Attrappe. Hinter dieser Attrappe formiert sich der autoritäre Staat.
Dass die bürgerlichen Eliten Griechenlands seit der Revolte im Dezember 2008 in ständiger Furcht vor den sozialen Bewegungen panisch Rückendeckung bei ihren Verbündeten in der EU suchen, steht in langer historischer Tradition. Diese hat ihre Wurzel in der ökonomischen Dominanz des international operierenden griechischen Reedereikapitals. Die herrschende Klasse in Griechenland hat es aufgrund ihrer relativ schwachen soziopolitischen Verankerung selten zu einer eigenständigen Politik gebracht. So ist es kaum verwunderlich, dass es seit den Wahlen im Herbst 2009 trotz der schwersten politischen Krise seit der Mitte der 1960er Jahre nicht zu Neuwahlen kam, wie dies von den kleineren Linksparteien KKE und SYRIZA wiederholt gefordert wurde. Als Papandreou im Sommer 2011 unter dem Eindruck der Massenproteste seinen Kollegen Ben Ali und Mubarak folgen und abdanken wollte, wurde er durch die Interventionen aus Berlin und Paris im Amt gehalten und erklärte den Rücktritt vom Rücktritt. Wenige Monate später befindet sich die PASOK am Rande des Zerfalls, während die konservative Opposition nur widerstrebend ins Lager der "Troika" wechselte. Die Koalitionsregierung der "nationalen Rettung", die im November 2011 unter Lukas Papadimos gebildet wurde, kann sich einerseits auf eine große Zahl von Abgeordneten stützen. Andererseits zeigt der Umstand, dass die faschistische Partei LAOS des bekennenden Rassisten und Antisemiten Giorgos Karatsaferis Teil der neuen Regierung ist, wie labil und prekär mittlerweile die politische Lage für die bürgerlichen Parteien geworden ist. Denn durch die Beteiligung der Faschisten offenbart sich der Charakter des gegenwärtigen Regimes, das mit dem demokratischen Parlamentarismus nur noch entfernt etwas zu tun hat. Mit Marko Vouridis, dem ehemaligen Führer der faschistischen Jugendorganisation EPEN, die noch von dem vormaligen Junta-Chef Papadopoulos 1984 aus dem Gefängnis heraus gegründet wurde, erhielt das Regieren im Ausnahmezustand ein passendes Gesicht: Das des autoritären Maßnahmestaates.
Es ist dabei nicht nur das Athener Establishment, das demokratische Willensbildungsprozesse fürchtet. Auch die Verbündeten in der EU schrecken davor zurück. Das dokumentierten die hysterischen Reaktionen auf den taktischen Vorschlag Papandreous, ein Referendum über die Sparprogramme abzuhalten. Nichts wird von den Wegbereitern und Protagonisten der Diktatur mehr gefürchtet als demokratische Verfahren. Folglich wurde und wird alles unternommen, um die nächsten Wahlen möglichst weit in die Zukunft zu verschieben. Diese werden dann – das liegt in der Logik der Entwicklung – manipuliert oder auch ganz suspendiert werden.
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Einsicht, dass das gegenwärtige Regime aus Troika, politischem Establishment und Neofaschisten nicht abgewählt, sondern nur gestürzt werden kann, innerhalb der sozialen Bewegung und der politischen Linken an Boden. Es waren die großen Mobilisierungen, welche die bisherigen Formen der Machtausübung zersetzt und das Regime gezwungen haben, sich zu den bisher verschleierten Formen ökonomischen Autoritarismus auch politisch zu bekennen. Die Mittel der autoritären Konsensbildung schwinden jedoch dahin, je weiter die Dynamik der Krise voranschreitet. Im Frühsommer 2011 ist mit der Besetzung des Syntagma-Platzes eine demokratische Entwicklung von unten in Gang gesetzt worden, die auf Dauer schwerlich unterdrückt werden kann. Mit "Glotze" und Boulevard-Presse kann man auf lange Sicht nicht regieren, selbst wenn man die Polizei und parastaatliche Schlägertrupps zu Hilfe nimmt. Am Nationalfeiertag, dem 28. Oktober, wurden selbst in Kleinstädten schon mal symbolisch die Vertreter des politischen Establishments in die Flucht geschlagen.
https://sopos.org/aufsaetze/4f01d7e11c5a2/1.phtml
sopos 1/2012