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Aber die neoliberale Weltelite dieser Gattung nimmt in ihrem Streben nach wirtschaftlichem Wachstum zum Zwecke größtmöglichen Profits offenbar das vorzeitige Ende der Menschheit in Kauf: »Nach uns die Sintflut.« So viel vorweg, bevor ich jetzt das Projekt »Überwindung der Massenarbeitslosigkeit« (Ossietzky-Sonderheft Mai 2011) mit einem zusätzlichen, einem globalökologischen Argument unterstützen möchte. Denn die ökonomischen Bezugspunkte, so wichtig deren Beachtung im Kampf um Arbeitsplätze auch ist, könnte man auch einfach ignorieren, dann bliebe die Ökologiefrage übrig – und allein die Antwort auf diese Frage würde schon die Notwendigkeit der Arbeitszeitverkürzung rational begründen. Man stelle sich vor, daß das jährliche wirtschaftliche Wachstum aller Volkswirtschaften dieses Planeten im Durchschnitt drei Prozent betragen würde, dann entspräche dies in zehn Jahren einer Steigerung des Bruttoinlandsprodukts um 34,4 Prozent, in 100 Jahren um 1821,9 Prozent. Und man stelle sich vor, daß sich dieses Wachstum nur zur Hälfte in Waren, zur anderen in Dienstleistungen manifestieren würde, so könnte das in zehn Jahren 17,2 Prozent, in 100 Jahren rund 911 Prozent mehr Personenkraftwagen, Lastwagen, Flugzeuge ergeben. Entsprechend mehr Rohstoffe müßten aus immer größeren Tiefen der Erde gefördert werden, auch durch Erschließung des Meeresgrunds; entsprechend mehr Straßen, Autobahnen, Häfen, Flughäfen müßten gebaut oder erweitert werden, und trotz neuer Energiespar- und anderer ökologischer Techniken könnten die Lärm-, Luft-, Wasser- sowie Klimabelastungen zunehmen – zu schweigen von den sonstigen Schäden, die heute in der Technikfolgenabschätzung noch gar keine Beachtung finden. Mit anderen Worten, dem heillosen Wachstumswahn, dessen tiefste Ursache in der Logik des Kapitals zu finden ist, stehen natürliche Grenzen des Wirtschaftswachstums entgegen. Die Bemühungen, künftig Wüsten in Kulturlandschaften zu verwandeln, den Meeresgrund oder fremde Planeten zu besiedeln, können daran wenig ändern; sie werden angesichts der in alle Poren der Weltgesellschaft eingedrungenen Kapitalverwertungsinteressen nur die Schuldenberge und damit das Elend der Massen vergrößern. Gegner der Arbeitszeitverkürzung übersehen gern, daß auch Arbeitslosigkeit, Teilzeit- und Kurzarbeit Formen von Arbeitszeitverkürung sind. Aber es sind Formen, die die Kapitalherrschaft in ihrem Interesse erzwingt. Nicht nur zu Lasten der direkt Betroffenen. Auch die Vollbeschäftigten müssen dafür zahlen: Sie sind in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit verschärfter Ausbeutung ausgesetzt, leiden unter Lohndrückerei, unter wachsendem physischen, vor allem jedoch psychischen Druck, also auch unter unnötig hohen Gesundheits- und sonstigen Sozialkosten. Je nach wirtschaftszyklischen Schwankungen kann die Arbeitslosigkeit in einzelnen Regionen rasch um 30 und mehr Prozent anwachsen. Das ist die inhumanste, ungerechteste Form der Verkürzung der Gesamtarbeitszeit. Insofern kann der Kampf um eine gerechte Verteilung der Arbeitszeit auch als Kampf um die gerechte Verteilung der Arbeitslosigkeit begriffen werden. Um Forderungen nach radikaler Arbeitszeitverkürzung abzuwehren, schürt die Unternehmerseite immer wieder mit Erfolg unbegründete Ängste vor Arbeitsplatz- und Einkommensverlusten, vor ausländischer Konkurrenz und Absinken des Lebensstandards. Viel mehr Grund zu Sorgen und Ängsten hätten die Lohnabhängigen vor der ständig sich verschärfende Ausbeutung ihrer Arbeitskraft. Oder gar vor den zunehmenden Ausfällen der regulierten Arbeit durch unsere kollabierende Umwelt. Die durch grenzenloses Wirtschaftswachstum immer stärker werdende, durch keinen Bundestag, kein Europa-Parlament mehr kontrollierbare Wirtschaftsmacht vergreift sich ja nicht nur zunehmend an den durch harte Arbeit, auch durch Überstunden angeschafften materiellen Gütern, indem sie den zahlungsunfähig werdenden Arbeitslosen Auto, Eigentumswohnung und Reihenhäuschen pfändet und sich die eigenen Schulden von den Lohn- und Gehaltsabhängigen, sogar von Kranken, Rentnern und Sozialleistungsberechtigten bezahlen läßt, sie zerstört in ihrem zwanghaften Wachstumswahn auch unsere natürlichen Lebensgrundlagen alles mühselig Erarbeitete, ja bedroht sogar unser Leben als Individuen und – längerfristig – als Gattung. Steigende Meeresspiegel, schmelzende Gletscher, immer häufiger auftretende Hochwasserkatastrophen, Erdrutsche, Dauerregen, zugleich Vordringen der Wüsten in die Kulturlandschaften, dadurch verursachte Völkerwanderungen, Revolten, Bürgerkriege bedrohen alles, was wir uns in der Hoffnung angeschafft haben, dadurch materielle Sicherheit zu erlangen. Mindestens eine Milliarde Menschen leiden bereits heute an Hunger und Wassermangel, aber auch an fehlenden oder falschen oder gefälschten Medikamenten. Der reguläre Absatz der durch die ungeheuer wachsende Arbeitsproduktivität in den führenden Industrie- und Spekulationsnationen erzeugten Waren ist heute schon kaum mehr möglich. Immer mehr Ware kann nur noch verkauft werden, wenn diejenigen, die etwas verkaufen wollen, gleich die Kredite mit verkaufen. Sonst stagniert der Absatz, die künstlich erzeugte Konjunktur bricht ein, und kürzere Arbeitszeit wird hinterrücks in Form von Arbeitslosigkeit durchgesetzt. Dieses Problem läßt sich auf Dauer nicht mit Krediten, also Schuldenmacherei, beheben. Das zeigt sich derzeit daran, daß nicht nur Kunden oder Unternehmen, sondern ganze Staaten unter der Schuldenlast zusammenbrechen. Längst sind viele Innovationen, die den Umsatz beschleunigen und angeblich Arbeit schaffen, nur vorgetäuscht, Warenvielfalt erweist sich als Etikettenschwindel. Wenn das alles nicht mehr funktioniert, bleibt als letztes Mittel noch der Krieg. Denn nicht das staatlich geförderte Abwracken oder das rebellische Abfackeln von Autos, sondern der Krieg ist das Bombengeschäft, die Ultima Ratio der Kapitalverwertung. Es mag sein, daß die Erde, wie Jean Ziegler sagt, zwölf Milliarden Menschen ernähren könnte. Er sagt das aber nicht, um uns etwa nahezubringen, daß die Erdbevölkerung auf diese Zahl steigen sollte, sondern um zu skandalisieren, daß heute schon Millionen Menschen an Hunger und Trinkwassermangel sterben, weil die vorhandenen Reichtümer und die Gesamtarbeitszeit so ungleich verteilt sind. Er sieht sie als Ermordete: Opfer derjenigen, die sich für Verteilungsgerechtigkeit, für nationale und internationale Arbeitszeitverteilung einsetzen müßten, es aber unterlassen. Wer eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung ablehnt und, schlimmer noch, bereit ist, Überstunden (sogar unbezahlte) anzuordnen oder sie als Beschäftigter akzeptiert, trägt dazu bei, die Massenarbeitslosigkeit zu verstetigen, vielen Menschen das Recht auf Arbeit zu entziehen und sie ins Abseits, ins Elend und in die Abhängigkeit von staatlichen Sozialleistungen zu drängen. Doch gesetzt den Fall, daß die Arbeitszeit weltweit auf ein Maß reduziert würde, das allen Arbeit und das tägliche Brot und Wasser garantiert, wäre damit noch nicht das Problem gelöst, von dem ich ausgegangen bin. Auch wenn alle Arbeitsfähigen und Arbeitswilligen unter den heute rund sieben Milliarden Menschen mit zu einem menschenwürdigen Leben ausreichenden Löhnen und Gehältern einer dennoch ständig wachsenden Warenmasse gegenüberstünden, müßte der Konsum oder besser gleich die Produktion eingeschränkt werden. Denn durch den ständig wachsenden Rohstoff- und Energiebedarf bei Herstellung, Verbrauch und schließlich auch bei der Entsorgung würde unser Planet dermaßen belastet, daß menschliches Leben letztlich nur noch in von der Außenwelt luftdicht abgeschotteten Ökohäusern möglich und jeder Besuch der Außenwelt allenfalls in Raumanzügen erlaubt werden könnte. Ich weiß, daß man mit solchen Szenarien – wenn überhaupt – auch in den sogenannten postindustriellen Gesellschaften nur Minderheiten von der Notwendigkeit einer generellen Arbeitszeitverkürzung überzeugen kann, obgleich sich der ökologische Kollaps – wenn überhaupt – nur auf diesem Weg verhindern läßt. Und ich weiß auch, daß die sich soeben erst auf den kapitalistischen Entwicklungsweg begebenden Gesellschaften, die außerdem die bevölkerungsreichsten sind, diese Vorstellung empört zurückweisen könnten. Menschen in Indien und China werden sich von uns nicht überzeugen lassen, daß ein Weg, den wir doch so erfolgreich gegangen sind, für sie nicht gangbar sein sollte. Wir stehen in diesen Ländern unter dem Generalverdacht, ihnen Tugenden aufzwingen zu wollen, die sie hindern sollen, sich nach westlichem Vorbild zu entwickeln. Wenn jetzt die »Occupy Wall Street«-Bewegung die großen Plätze der Weltstädte erfaßt, ist das ein Hoffnungsschimmer. Aber der nächste Schritt muß folgen: Den Konzernen muß die politische Macht, die sie sich gekauft, erschlichen, ergaunert und zusammengeräubert haben, genommen, sie müssen unter demokratische Kontrolle gebracht werden. Und diese Kontrolle dürfen die sich organisierenden Massen nicht länger denen überlassen, die seit mehr als einem Jahrhundert die Macht der Arbeiterklasse mit allen, auch verbrecherischen Methoden, gebrochen und wirkliche, auch und gerade die wirtschaftliche Basis der Gesellschaft umfassende Demokratisierung verhindert haben. Gesamtgesellschaftlich gesehen gibt es keinen vernünftigen Grund, die Arbeitszeit (Wochen-, Jahres- oder Lebensarbeitszeit) zu verlängern. Vielmehr ist es eine vorrangige gesellschaftspolitische Aufgabe, die Arbeitszeit zu verkürzen und gerecht zu verteilen. Was immer das kostet, es wird auf jeden Fall weniger kosten als die weitere Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts unserer Erde.
Erschienen in Ossietzky 25/2011 |
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