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Einzelne Häuptlinge wurden zu Verkäufen von Stammeseigentum genötigt und durch willkürliche Preisfestsetzungen schamlos übers Ohr gehauen. Außerdem gab es ständig Mißhandlungen von Herero und sexuelle Übergriffe gegen weibliche Herero. Die Erhebung trug von Beginn an den Charakter eines Verzweiflungskampfes. Obwohl die aufständischen Herero milde verfuhren, Missionare und nicht-deutsche Europäer grundsätzlich schonten, die Frauen und Kinder der Siedler häufig sogar zur nächsten Militärstation geleiteten und so in Sicherheit brachten, wurden in der deutschen Presse Berichte über sogenannte Afrikanergräuel verbreitet. General Lothar von Trotha, den die Reichsregierung zur Niederschlagung des Aufstandes in die Kolonie Deutsch-Südwest schickte, verkündete nach seiner Ankunft: »Ich vernichte die aufständischen Stämme mit Strömen von Blut und Strömen von Geld.« Und setzte dieses Vernichtungsprogramm um. Nach der Schlacht am Waterberg wurden die kriegsgefangenen Herero fast ausnahmslos umgebracht. Von Trotha ließ die wasserlose Omaheke-Steppe, in die sich die Herero nach der verlorenen Schlacht geflüchtet hatten, abriegeln. Parlamentäre, die über eine Kapitulation ihrer Stämme verhandeln wollten, wurden von den deutschen Truppen erschossen. In einer Proklamation vom 2. Oktober 1904 verkündete von Trotha: »Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder Herero, mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh, erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen.« Die Mehrzahl der Herero verdurstete oder starb unter den Schüssen des deutschen Militärs. Einigen Hundert gelang nach einem Todesmarsch die Durchquerung der Omaheke, sie erhielten in Britisch-Betschuanaland (heute: Botswana) Asyl. Daß die vollständige Vernichtung der Herero nicht gelang, ist dem Aufstand der Nama im Süden von Deutsch-Südwest zu verdanken. Nach der Schlacht am Waterberg waren mehrere in den deutschen Truppen dienende Nama-Söldner desertiert und hatten von den Gräueltaten der Militärs berichtet. Die Erhebung ihrer bisherigen Verbündeten zwang die deutsche Militärführung, die Blockade der Omaheke aufzuheben und ihre Truppen nach Süden zu führen. Die Nama-Stämme, zahlenmäßig schwach, ließen sich jedoch auf keine Entscheidungsschlacht ein und lieferten den deutschen Truppen einen jahrelangen Guerillakrieg. Erst im Februar 1909 ergab sich die letzte Nama-Abteilung, die sich tief in die Kalahari-Wüste geflüchtet hatte, den britischen Behörden. Eine ihrer Bedingungen war, unter keinen Umständen an die Deutschen ausgeliefert zu werden. Die Briten akzeptierten. Von 80.000 bis 100.000 Herero überlebten nur etwa 15.000 den Vernichtungskrieg der deutschen Truppen, von 20.000 Nama etwa 9.000. Die meisten starben in der Omaheke oder in deutschen Konzentrationslagern. Unter Historikern besteht inzwischen Konsens, dies als den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts zu betrachten. Der koloniale Vernichtungskrieg in Deutsch-Südwest kostete den deutschen Steuerzahler Unsummen. Eine Handvoll Kriegsgewinnler, Siedler, Bodenspekulanten und Transportunternehmer fuhren jedoch märchenhafte Gewinne ein. Mit der kaiserlichen Verordnung vom 8. Mai 1907 wurden sämtliche aufständischen Stämme entschädigungslos enteignet, all ihr verbliebenes Land und Vieh ging in den Besitz der Kolonialverwaltung über. Der Reichstagsabgeordnete Matthias Erzberger (Zentrumspartei) bezeichnete diese Verordnung als »im großen vorgenommene Beraubung«, als »moderne Sklaverei« und »eines Rechtsstaates unwürdig«. Und sein Kollege August Bebel (SPD) wies zu Recht darauf hin, daß der Aufstand nur als Vorwand diene, »um den Eingeborenen ihr Land zu nehmen und es deutschen Siedlern zuzuweisen«. Die schreckliche Leidenszeit war für die wenigen Überlebenden der Herero- und Nama-Stämme auch nicht beendet, als im Juli 1915 während des Großen Kriegs der weißen Männer britische Truppen die deutsche Kolonie besetzten. Die während der deutschen Kolonialzeit geschaffenen Besitzverhältnisse tastete die britische, später südafrikanische Mandatsverwaltung nicht an. Sie blieben auch unangetastet, als im November 1989 die letzten südafrikanischen Truppen das nun unabhängige Namibia verließen. Die Bevölkerungsmehrheit des neuen Staates gehört der Volksgruppe der Ovambo an, die sich 1904 an dem großen Aufstand nicht beteiligt hatten und von Völkermord und Enteignung verschont geblieben waren. Die Nachkommen der enteigneten und fast ausgerotteten Herero- und Nama-Stämme bilden mittlerweile eine winzige, bettelarme Minderheit, die entweder in den städtischen Slums oder als Landarbeiter auf deutschen Farmen ihr Leben fristet. Der namibische Marxist Hewat Beukes, selbst Angehöriger eines Nama-Stammes, charakterisierte die Spätfolgen der deutschen Kolonialherrschaft als »kulturelle Entwürdigung, materielle Zwangsenteignungen sowie psychologische Traumata«. Entwicklungshilfe aus Deutschland war für den jungen Staat zunächst wichtiger, als sich für eine Aufarbeitung vergangener Kolonialgräuel einzusetzen. Die Folgen von Kolonialismus und neokolonialer Einflußnahme sind allgegenwärtig: Namibia ist reich an Bodenschätzen, aber die Arbeitslosenrate beträgt nach offiziellen Angaben derzeit 52 Prozent. Ein Zugriff afrikanischer Regierungen auf den Besitz europäischer Siedler wird von den die Weltwirtschaft dominierenden Mächten stets als ein Angriff auf geheiligte Eigentumsrechte interpretiert. Diesen Konflikt scheut die namibische Regierung. Bis jetzt. Entwicklungshilfe wird grundsätzlich zweckgebunden gewährt, kann für Entschädigungszahlungen nicht verwendet werden. Die leer ausgegangenen Opferverbände der Herero und Nama klagten auf Wiedergutmachung und Entschädigung. Bisher vergeblich. Bis heute haben sich weder Bundestag noch Bundesregierung bei den Nachkommen der Opfer des Kolonialterrors offiziell entschuldigt. Ein im Jahre 2004, noch zur Zeit der rot-grünen Regierung, von dem Abgeordneten Christian Ströbele eingebrachter Beschlußentwurf scheiterte an den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag; verabschiedet wurde ein unverbindlicher Text. Der Eklat, den die deutsche Staatsministerin Cornelia Pieper bei der Übergabe von 20 Schädeln ermordeter Herero und Nama am 30. September 2011 gegenüber einer namibischen Delegation verursachte, ist bezeichnend für die Haltung eines Staates, der sich von seiner kolonialen Vergangenheit nie verabschiedet hat. Und sich auch nicht verabschieden will. Seit Jahren steht das deutsche Militär wieder bereit, überall in der Welt einzugreifen und deutsche Wirtschaftsinteressen mit Gewalt durchzusetzen.
Erschienen in Ossietzky 25/2011 |
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