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Sie zerfetzten 16 der zu dieser späten Stunde noch Beschäftigten und verletzten, zum Teil schwer, eine mindestens gleiche Anzahl. Zur Rechenschaft gezogen für diesen »speziellen Krieg – der nicht ›Krieg‹ heißen durfte, obwohl die Sieger sich ›Sieger‹ nannten«, wurden weder Täter noch Staaten der vereinigten Aggressoren, sondern einzig und allein der damalige Direktor des Senders. »Die Geschichte des Dragoljub Milanovic« – Peter Handke hat sie in den ersten Monaten dieses Jahres aufgeschrieben, vor wenigen Wochen wurde sie veröffentlicht. Nur 32 kleinformatige, dabei großzügig gesetzte Druckseiten. Aber was für eine Geschichte. Vor wenigen Wochen erreichte mich der Anruf serbischer Freunde, Peter Handke zu fragen, ob er bereit sei und Zeit habe, die von mehr als 700 allein in Deutschland unterzeichnete Petition zur Freilassung von Dragoljub Milanovic der Regierung in Belgrad zu übergeben – anders sei die Aufmerksamkeit der Medien dafür kaum zu gewinnen. Seine Antwort liegt jetzt vor, schwarz auf weiß, statt des vermutlich vergeblichen Bittganges zu den neuen, den Siegermächten hörigen Herren; veröffentlicht zunächst in deutscher, vielleicht auch bald in serbischer Sprache, wünschenswert in allen NATO-Sprachen. Anmerkung Handkes zur Petition: »... die aber keiner der ›führenden westlichen Intellektuellen‹ unterschrieben hat – außer Harold Pinter (aus dem Jenseits).« Nein – kein politisches Pamphlet, keine Kampfschrift, kein moralischer Appell, auch wenn diese Geschichte Peter Handkes seitens einiger auf vermeintlich politische Korrektheit bedachter Wächter in den Feuilleton-Redaktionen als Rückfall des Autors in seine Rolle als »echtester Erbwalter alter jugoslawischer Kultur und Tradition« (Welt online) gewertet wird. Auffallend aber zugleich, daß die Summe der Tatsachen, die in den zehn seit dem Überfall vergangenen Jahren ans Licht gekommen sind, sogar Blätter wie die FAZ zu ein wenig differenzierterer Stellungnahme veranlaßt: »Man mag zu Peter Handke stehen, wie man will, speziell aufgrund seiner umstrittenen Haltung zu Serbien: Er ist nun einmal das ›Nein‹, das hinschaut, das sich mit einfachen Wahrheiten nicht zufriedengibt. Das zeichnet ihn aus.« Und über Dragoljub Milanovic sogar: »Er wurde verurteilt und ins Gefängnis gesteckt für eine Tat, die andere begangen haben: nämlich wir. Seit neun Jahren ist er Häftling in einem Gefängnis seines eigenen Landes, wegen der nächtlichen Bombardierung seiner Fernsehanstalt durch die NATO.« Das Eingeständnis wird allerdings wenige Zeilen später relativiert durch Gemeinplätze wie: »Der bedrängte Staat funkt Durchhalteparolen, der andere will Aufgabe: Konflikt programmiert« mit der entsprechenden Folgerung: »Wenn man sich just an der Stelle aufhält, an der das Skalpell angesetzt wird, dann fließt Blut.« 16 Tote, 16 Verletzte, drei davon schwer – so einfach ist das aus der Sicht mancher Redaktionsstuben. Bei allem, was Peter Handke infrage stellt, wird ihm die Version der Siegermächte und der von ihnen geschaffenen Einrichtungen wie dem Haager Tribunal entgegengehalten. So stellt sich für das österreichische Fernsehen »die Frage, ob das serbische Fernsehen tatsächlich nur Kriegspropaganda betrieben hat oder, wie Handke meint – und er bezieht sich auf seine subjektive Wahrnehmung der gesendeten Bilder 1999 – eben nicht. Denn daß den Bildern von den angerichteten Schäden und den Opfern des NATO-Einsatzes Bilder mit blühenden Landschaften eines unzerstörten Landes entgegengestellt wurden, das will der Erzähler nicht als Propaganda sehen« (ORF). Fazit: Bestätigung der NATO-Version – der Sender mußte ausgeschaltet werden, punktgenau. Handkes Zweifel, Einwände und Belege werden wie bei seinem in diesem Sommer bei den Salzburger Festspielen uraufgeführtem Stück »Immer noch Sturm« vom ORF »seiner träumerischen Auseinandersetzung mit der eigenen Kärntner-slowenischen Familiengeschichte« zugeordnet. Anders die Neue Zürcher Zeitung: »Es stimmt schon: Die Sieger dieses Krieges maßen sich mit andern Ellen als die Verlierer, und in Bezug auf die Bombardierung hängt über dem Haager Kriegsverbrechertribunal der Verdacht der Siegerjustiz.« Nachsatz allerdings, um die NATO-Mächte, darunter schließlich auch die benachbarte BRD, nicht als Aggressor zu bestätigen: »Aber exkulpiert dies automatisch die Verlierer? ... Handkes Wut ist dort produktiv, wo sie westliche Heuchelei demaskiert. Doch sie vernebelt ihm den Blick, wenn es um die serbischen Zustände jener Jahre geht.« Wie umgehen mit einem Autor, der sich von seinem Bemühen um geschichtliche Wahrheit nicht abbringen läßt und sich samt seinen Lesern dem Mainstream verweigert? Die Autorin der bereits zitierten Online-Ausgabe des Springer-Verlages scheint zu glauben, Peter Handke (ausgerechnet ihn!) auch ästhetisch abwerten zu können: »Halb Literatur, halb literarisch entgleisende Realfiktion. Und stellenweise auch Kitsch, wenn er Milanovic beschreibt: ›Die Hände des seit fast zehn Jahren Eingesperrten lagen während des ganzen Gesprächs bewegungslos auf dem Besucherzellentisch, eine still über der anderen, bis am Ende der Stunden für einen Augenblick sich noch eine dritte Hand darüberlegte.‹« Als wäre der Eindruck, den Handke beschreibt, falsch, wenn Milanovic im Laufe des mehrstündigen Gespräches tatsächlich mal seine Hände bewegt hätte; falsch wie all das, was er zur Zerschlagung Jugoslawiens und zum Bombenterror gegen die serbische Bevölkerung geäußert hat: »Handke taugt nicht zum politischen Agitator, zu sehr läßt er Wut, Trauer, Trotz und Sarkasmus ineinander fließen. Wie bei jedem, der aus der Emotion heraus Politik betreibt, entstehen Fehler, Ungenauigkeiten. Handke interessiert sich nicht für das präzise Geschehen. Er fügt an: ›wenn ich mich recht erinnere‹ und: ›oder so ähnlich‹. Die literarische Form ermöglicht die Rettung ins Ungefähre.« Bild lesen statt Handke, denn: »Als literarisches Werk bietet das Buch, bis auf ein paar Seiten, wenig Genuß.« Ein vergleichbar erhellender Rundumschlag findet sich im Berliner Tagesspiegel: »Liebe Literaturpreisjurys, vergeßt Peter Handke! Es bringt euch nur Ärger und Peinlichkeiten, wenn ihr versucht, den österreichischen Autor auszuzeichnen. Eigentlich ist das ja seit dem Eklat um den Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf vor fünf Jahren klar. Damals sperrten sich die Stadtoberen gegen die Entscheidung der unabhängigen Jury. Jetzt gibt es eine verkleinerte Neuauflage dieser Posse. Es ist ein Skandälchen mit Ansage: Peter Handke bekommt den Candide-Preis, aber nicht das Preisgeld von 15 000 Euro. Denn dem Sponsor – ein Buchbindemaschinenhersteller – paßt die Wahl der fünfköpfigen Jury nicht. Er weigert sich, die Summe zur Verfügung zu stellen … Grund für den Konflikt ist wie schon 2006 Handkes Engagement für Serbien. Sein Werk hat der 1942 in Kärnten geborene Schriftsteller dadurch tief beschädigt.« »Es ist hier eine Geschichte zu erzählen« – so beginnt Peter Handke, und er löst ein, was er wie einen Auftrag ankündigt, nicht mehr und nicht weniger. Was den Zorn der Herren des Mainstreams auslöst, ist der Wahrheitsgehalt dieser Geschichte, ist das Fragen und Hinterfragen, auch Provozieren ihres Autors, der seine Wahrnehmungen und Erfahrungen gegen das von Politik und Medien verbreitete Bild verteidigt, gegen »die von vornherein festgestandenhabenden Sieger, beziehungsweise Gewinner ... Eine Geschichte demnach, erzählt allein den toten Fischen in der toten Donau, den leeren Maiskolben auf den leeren Feldern der Vojvodina, einem vertrockneten Blumenstrauß in einer verrosteten Konservendose auf dem Friedhof von, sagen wir, Porodin, und zuletzt dem Schädel, oder was von ihm übrig ist, im Grab von Ivo Andric.« Resignation? Keineswegs, sonst würde Peter Handke die Geschichte nicht publizieren. Bitter gelegentlich, zynisch sogar angesichts der Kräfteverhältnisse, die es trotzdem zu verändern gilt. Provokation zum Nachdenken, Überprüfen und entsprechenden Eingreifen, zu dem er, der Einzelne, schreibend seinen Beitrag leistet: »...was für eine Art von Krieg. Devise: Ein Hirngespinst, wenn es amtlich wird und Arm der Macht, findet immer einen Gesetzesparagraphen, welcher es auf die Sprünge bringt – es realisiert; mit anderen Worten: in den Schein eines Rechts setzt.« Über diesen Krieg »gegen den Staat, welcher damals noch ›Bundesrepublik Jugoslawien‹ hieß« hat er in zahlreichen Romanen, Theaterstücken, Berichten geschrieben. Hier beschränkt er sich – scheinbar – auf das Beispiel eines Senders: »Dem Tony und dem Bill genügte es, daß das serbische Fernsehen dokumentarische Bilder, unterlegt mit einem Berichtston, von den ›Luftschlägen‹ sendete, samt all den zivilen Kollateralopfern – es gab fast nur solche, zu guter Letzt an die 2.000 (zweitausend) –, und das völkerrechtlich geschützte Zivilobjekt RTS gab ein berechtigtes ›Ziel‹ ab; es brauchte nicht einmal der übliche Kollateralirrtum fingiert zu werden.« Den im Mainstream dahintreibenden Medien stellt er nicht mehr – und nicht weniger! – als seine eigene Wahrnehmung entgegen: Ich bezeuge, daß nicht ein einziges der damals gezeigten Bilder und/oder Tonbilder, auf eine beinah unfaßbare Weise bei allen den zentralen Zerstörungen und tangentialen Menschenzerfetzungen, etwas wie Tendenz oder Propaganda, geschweige denn Haß oder Rachsucht ausstrahlte.« Handke wird zum Zeugen für Dragoljub Milanovic, »Häftling in einem Gefängnis seines eigenen Landes«, der »nicht imstande gewesen war, sich ›vorzustellen, daß in unserem Land absichtlich ein ziviles Ziel bombardiert würde ... am Eingang des dritten Jahrtausends‹,« und noch weniger, »daß danach die Repression solange weitergehen würde, ›bis wir zugeben, die Schuld an dem Angriff selber zu tragen‹.« Wie der ehemalige Bürgermeister von Varvarin, der vor Gericht gestellt werden soll, »weil er an dem bewußten Himmelfahrtstag, als zwei Bomben auf die kleine Brücke über die Morava – dort im Süden noch ein Flüßchen – abgefeuert worden sind, das Sperren der Brücke verabsäumt hatte; denn er hätte wissen müssen, daß von März bis Juni 1999 ausnahmslos jede, selbst die unbedeutendste öffentliche Einrichtung als Kriegsziel in Frage kam; daß durch die Bomben auf die Brücke von Varvarin die eigene Tochter des Bürgermeisters, des predsednik opštine, getötet worden ist, tut der Strafbarkeit keinen Abbruch.« Mit Georg Büchner’schen Purzelbäumen hebt Handke gegen Ende seiner Geschichte Widersprüche, die unlösbar scheinen, auf. Wie jener die fürstlichen Popanze der Reiche von Pippi und Popo läßt er die Tonys und Bills der Imperien unserer Tage schlichtweg ungeschehen machen, was sie gestern angerichtet haben. Handke lesen. Und sei es nur diese kleine Geschichte, in einer künftigen Gesellschaft der Weltliteratur zuzuordnen: »So höre, Schuhband, zerschlissenes. Hör zu, verrosteter Nußknacker. Hör zu, krumme Nähnadel. Höre, verstaubtes Stofftier. Höre, mein abgewetzter Fußabstreifer. Höre zu, Spiegelbild.« Peter Handke: »Die Geschichte des Dragoljub Milanovic«, Jung und Jung Verlag, 37 Seiten, 9 €
Erschienen in Ossietzky 24/2011 |
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