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Nur die Höchstverdiener hätten Zuwächse zu verzeichnen. – Eine »Hartz IV«-Bezieherin droht zu einem kostspieligen Problem für München zu werden. Die 52-Jährige lebt allein in einer 48 Quadratmeter großen Wohnung. Die Miete beträgt 690 Euro plus 55 Euro Abschlag auf die Betriebskosten. Das seien rund 300 Euro zu viel, ließ laut Süddeutscher Zeitung (SZ) das Jobcenter die Frau vor fünf Jahren wissen. Sie solle entweder untervermieten oder umziehen. 2007 reichte die Frau beim Münchner Sozialgericht Klage ein. Das Gericht gab in der ersten Instanz dem Jobcenter recht, worauf die Klägerin in Berufung ging. Die vom Jobcenter und der Stadt vorgelegten Zahlen und Preise, die sich aus diversen Mietspiegeln ergeben sollen, »gehen an der Wirklichkeit des Münchner Mietmarktes vorbei«, zitiert die Zeitung die Frau. Die Mietspiegel seien darauf ausgerichtet, die Miete möglichst niedrig erscheinen zu lassen, um Mieter vor Erhöhungen zu schützen, und die rasanten Mietanstiege seien darin gar nicht abgebildet. Das Gericht forderte das Jobcenter im Sommer 2010 auf, ein Konzept vorzulegen aus dem hervorgeht, wie die Behörde die »Angemessenheitsgrenze« berechnet (für einen Einpersonenhaushalt 449,21 Euro Nettokaltmiete plus 123 Euro für Neben- und Heizkostenvorauszahlungen). Das Gericht will laut SZ Fakten: Wo gibt es billigen Wohnraum, wie viele Wohnungen sind es, wie sind sie über die Stadt verstreut. Bislang ist die Stadt dem Gericht die Antwort schuldig geblieben, letzter Termin ist der 14. Dezember 2011. In München leben laut SZ 75.000 Betroffene, denen die Stadt einen Unterkunftszuschuß gewährt. 10. November: Die Altersarmut in Bayern nimmt zu, berichtet der Sender Antenne Bayern. Dem neuen Sozialbericht der Landesregierung zufolge waren im Jahr 2009 etwa 35.000 mehr ältere Menschen armutsgefährdet als noch 2003. – Jedes vierte Kind unter 15 Jahren im Regionalverband Saarbrücken lebt von »Hartz IV«. Das hat laut Saarbrücker Zeitung eine Kinderarmuts-Studie des Otto-Blume-Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik im Auftrag der saarländischen Landesregierung ergeben. Immer mehr Familien in Not kämen in die Beratungsstellen, zitiert die Zeitung die AWO-Abteilungsleiterin Ines Reimann-Matheis. Der »Hartz IV«-Regelsatz reiche oft nicht. Dann werde zum Beispiel der Strom abgestellt. »Viele Leute gehen vor Quartalsende auch nicht mehr zum Arzt, um die Praxisgebühr zu sparen«, sagt Reimann-Matheis. – Im Jahr 2010 wünschten sich rund 8,4 Millionen Menschen im Alter von 15 bis 74 Jahren Arbeit oder mehr Arbeitsstunden, meldet das Statistische Bundesamt. Neben 2,9 Millionen Erwerbslosen setzte sich das ungenutzte Arbeitskräftepotential im Jahr 2010 aus 2,2 Millionen Unterbeschäftigten in Teilzeit, 2,1 Millionen Unterbeschäftigten in Vollzeit und 1,2 Millionen Personen in der »Stillen Reserve« (nicht offiziell als arbeitslos Gemeldete) zusammen. – Ab 2013 soll für Eltern, die ihre Kinder Zuhause betreuen, statt sie in eine Kita zu bringen, ein Betreuungsgeld von 100 Euro gezahlt werden. Zeit online schreibt, daß »Hartz IV«-Bezieher wahrscheinlich vom Betreuungsgeld wie auch schon vom Elterngeld ausgeschlossen würden, ihnen soll es auf die Grundsicherung angerechnet werden. – Viele »Hartz IV«-Bezieher möchten nicht gesehen werden, wenn sie den Eingang der »Tafel« betreten, erzählt Jens Becker, Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, in einem Interview mit der jungen Welt. Er hat mit Kollegen untersucht, wie sich Bedürftige fühlen, wenn sie zu einer der »Tafeln« gehen. Die Studie zeige auch, daß die Betroffenen ungern mit Verwandten darüber reden. »Sie leiden unter gesellschaftlicher Abwertung, fehlender Anerkennung und mangelndem Selbstwertgefühl. Eltern schämen sich vor den eigenen Kindern, zugeben zu müssen, von der ›Tafel‹ Mangelware aus zweiter Hand zu erhalten ...,« sagte der Wissenschaftler. 11. November: Freddie W. aus Nürnberg hat 2005 nach 32 Arbeitsjahren gesundheitsbedingt seine Stelle verloren, zudem meldete sein Vermieter Eigenbedarf an, schreibt die Nürnberger Zeitung. Durch die Vermittlung des Sozialamts kam Freddie W. zunächst in einer Pension unter, lebte dann sechs Wochen im Wald. Über einen Berater der Stadtmission fand er schließlich eine Einzimmerwohnung. Er sei früher gern ins Theater und Kino gegangen oder zu Fußballspielen, erzählte der 54-Jährige dem Blatt. Heute sei das finanziell nicht mehr drin, allenfalls noch mit Freikarten. Und in seinem Alter gehöre er auf dem Arbeitsmarkt zu den »schwer Vermittelbaren«. Freddie W. ist einer von 90.000 Nürnbergern, die in Armut leben. 14. November: Der CDU-Chefunterhändler für Wirtschaftsthemen bei den Berliner Koalitionsverhandlungen mit der SPD, Frank Steffel, kündigt in einem Interview mit dem Focus an, daß der neue Senat härter gegen »Hartz IV«-Bezieher vorgehen wolle. Es werde einen »Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik« in der Stadt geben. Die Jobcenter sollen »notfalls mehr Sanktionen gegen ›Hartz IV‹-Bezieher« aussprechen. Wahrscheinlich soll so das vereinbarte Ziel des neuen Senats erreicht werden, in den nächsten Jahren die Zahl der rund 300.000 »Hartz IV«-Haushalte um 30.000 zu verringern. Steffel hetzt gegen die Betroffenen: »Wir dürfen nicht mehr tolerieren, daß Berliner es sich auf Kosten der Allgemeinheit ohne Arbeit bequem machen.« – In Berlin-Spandau wird einer 62-jährige Frau, die von »Hartz IV« leben muß, ab 1. Dezember vom Jobcenter die Übernahme der Miete verweigert. Ihre bisherige Dreizimmerwohnung muß wegen eines Heizungsdefekts mit Wasserschaden renoviert werden, berichtet der Berliner Kurier über den Fall. Die Frau könnte laut Zeitung innerhalb des Hauses, in dem sie seit 36 Jahren lebt, in eine gegenüberliegende Zweizimmer-Wohnung ziehen. Das Jobcenter Spandau lehne das aber ab, weil die neue Wohnung zwar 127 Euro billiger wäre als die jetzige, aber immer noch 22 Euro zu teuer für die Berliner »Hartz IV«-Richtlinien. Selbst die Unterstützung des Vermieters half der Frau bisher nicht. Das Jobcenter bleibt hart und zahlt der Frau ab 1. Dezember nur noch 364 Euro. – Der Internet-Handelskonzern Amazon hat keinen Tarifvertrag. Das Unternehmen zahlt schlechter als andere Versandhäuser, es gibt kein Weihnachts- und Urlaubsgeld. Zwei Drittel der Mitarbeiter sind befristet beschäftigt, kritisiert die Gewerkschaft ver.di laut Berliner Morgenpost. Des weiteren würden die Mitarbeiter per Handscanner kontrolliert, bei »zweimaliger Inaktivität« innerhalb von fünf Minuten drohe die Abmahnung. Auslöser für die aktuelle Diskussion sind 1.500 Arbeitssuchende, die auf Vermittlung des Jobcenters bei Amazon in Nordrhein-Westfalen ein unbezahltes »Praktikum« absolvieren durften. Amazon nutze eine Gesetzeslücke und verzerre dadurch den Wettbewerb, kritisiert laut Morgenpost Christiane Scheller von ver.di. Doch der Konzern behauptet, die Praktika dienten einzig und allein dazu, die Eignung der Arbeitssuchenden für den Job zu testen. Auch Werner Marquis von der Düsseldorfer Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit findet für das Projekt nur lobende Worte: »Das ist ja ein Wirtschafts- und kein Wohlfahrtsunternehmen.« 15. November: Eine Prüfgruppe des Bundesarbeitsministeriums, die die Eingliederungsvereinbarungen, die jeder »Hartz IV«-Bezieher im Jobcenter abschließen muß, kontrollierte, kommt laut Hannoverscher Allgemeiner Zeitung (HAZ) zu einem niederschmetternden Ergebnis: Keine der Eingliederungsvereinbarungen, die 2010 kontrolliert wurden, war korrekt und erfüllte alle gesetzlichen Anforderungen. In der 2005 eingeführten Eingliederungsvereinbarung wird laut Gesetz verbindlich festgelegt, welche Leistungen das Jobcenter erbringt und was der Hilfebedürftige unternehmen muß, um einen Arbeitsplatz zu finden. Hält er sich nicht an die vereinbarten Pflichten, drohen Sanktionen. Die Eingliederungsvereinbarung gilt laut HAZ als das wichtigste Instrument des »Förderns und Forderns«. – Fast 3,6 Millionen Beschäftigte in Deutschland arbeiteten im Jahr 2009 für weniger als sieben Euro brutto pro Stunde. Dies entspricht gut elf Prozent aller Beschäftigten. Mehr als 1,2 Millionen bekamen sogar einen Stundenlohn von weniger als fünf Euro. Das hat das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen herausgefunden. »Selbst bei einer Vollzeitbeschäftigung liegt das monatliche Erwerbseinkommen bei solchen Stundenlöhnen nur bei rund 800 Euro oder sogar darunter, was selbst bei Alleinstehenden nicht zum Leben reicht«, so Dr. Claudia Weinkopf, Stellvertretende IAQ-Direktorin. Unter 8,50 Euro, also dem von den Gewerkschaften als Mindestlohn geforderten Stundenlohn, arbeiteten 2009 fast 5,8 Millionen Beschäftigte.
Erschienen in Ossietzky 24/2011 |
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