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Es gibt aber echte Sturmzeichen: Wenn eine neue soziale Bewegung öffentlich verstummt, kaum Ziele und Arbeitsstrukturen entwickelt, sich wenig um eine strategische Orientierung müht und sich schwächelnd für so stark hält, daß es keiner Bündnispartner bedarf – dann ist das sogar mehr als ein Sturmzeichen. Dann brennt die Bewegungshütte! Ein sichtbarer Ausdruck dessen ist das verstockte Unverhältnis des globalisierungskritischen Netzwerks Attac und der Occupy-Bewegung. Sie wollen irgendwie zusammengehören, aber sie sind sich in der Denke so fremd, daß wenig Gemeinsames zustande kommt. Distanz und Mißtrauen dominieren. Nur wenige Attac-Mitstreiter haben sich in Berlin und Frankfurt anfangs über mehrere Tage in die Arbeitsprozesse eingebracht. Attac steht irgendwie daneben. Es dämmert zögerlich und ist möglicherweise schmerzlich: Die Attac-Hütte brennt selbst. Attac-Aktivisten spüren eine neuen Protestzyklus, der Attac möglicherweise alt aussehen läßt. Sie haben Sorge, auf ihrem ureigensten Feld das außerparlamentarische Sagen zu verlieren. Deshalb die Hektik von flotten Protestankündigungen, die mit der Occupy-Bewegung nur oberflächlich koordiniert erscheinen. Zum letzten EU-Gipfel protestierte Attac sichtbar allein. Kurz: Attac wird auch durch existentielles Interesse an sich selbst mobilisiert. Wer vor dem Reichstag erlebt hat, wie eine klassische Ankündigung von Attac, am 12. November das Regierungsviertel umzingeln zu wollen, von den Occupy-Bewegten kühl und undiskutiert aufgenommen worden ist, der hat schnell begreifen können, welche unterschiedlichen Bewegungskulturen versammelt sind. Einerseits die junge, offene Suchbewegung mit aller Ängstlichkeit der Festlegung, die sich »von unten« allein entwickeln will und andererseits Attac, das Bewegungsversuche in Expertisen, Tribunalen und Bankbesetzungen einbringt. Die Occupy-Bewegung steht auf der Kippe. Die kalten Nächte vor der Europäischen Zentralbank und dem Reichstag, das rasch erlahmende Interesse der Menschen, ja die fehlende Attraktivität der Bewegung für gemischte Protestpotentiale führen zu der plausiblen Prognose, daß diese sich selbst überschätzende Bewegung an den nächsten Demo-Samstagen erlahmt. Ein Lächerlichkeitsverfall ist sogar möglich. Die Akteurinnen und Akteure werden bald unsicher werden, interner Streit bei 999 Politikverständnissen inklusive. Ein Rückschlag für die Bewegung ist eher wahrscheinlich. Das aber kann auch eine produktive Chance werden – die Vorbilder New York und Madrid sind einladend. Plätze als Bewegungsorte verstehen, Menschen zum Mit-Tun motivieren, sich öffnen für gesellschaftliche Gruppen, Intellektuelle und Kulturschaffende. Deshalb wird jetzt der Lernprozeß entscheidend sein: Eine so verfaßte Bewegung in Deutschland wird es allein nicht stemmen, sie kann es allein nicht. Sie bedarf zwar nicht der Unterstützung von gesellschaftlichen Großorganisationen und Parteien, aber doch von ganz vielen Einzelpersonen unterschiedlicher Protestmilieus, die mit Erfahrung, Kompetenz und bitteschön ein bißchen mehr Kreativität ein Bewegungsklima der Toleranz von unterschiedlichen Radikalitäten schaffen können. Eine Flutung der Bewegung durch neue Protest- und Kreativitätspotentiale ist das Gebot der Stunde: Mit guten Argumenten menschenfischerisch die Bewegung und den berechtigten Zorn der 80 Prozent der Bevölkerung zusammenbringen. Es geht nicht um das »Entern« oder die »Übernahme«, sondern um einen gesamtgesellschaftlichen und bewegungsbeflügelnden Lernprozeß. Daß die Betroffenen aufstehen, sich befreit fühlen und Politik und Bankenmacht Zug um Zug mehr unter Druck bringen. Dazu gehört auch eine Debatte über realistische Ziele: die Zerlegung, Funktionstrennung, Vergesellschaftung von Banken, die Festlegung eines »Giftschranks« für bestimmte Finanzprodukte, die Umstrukturierung der Sparkassen und Genossenschaftsbanken zu wirklichen »Volksbanken«, in denen Demokratie realisiert werden kann. Es steht auch eine Revitalisierung der sozialen Frage an, die man nicht Frau von der Leyen überlassen kann. Hier muß mehr entstehen, als von Erwerbsloseninitiativen und Sozialbündnissen bisher leistbar war. Und: Die Debatte über Protestformen und Aktionen des zivilen Ungehorsams sollten vorangetrieben werden. Demonstrationen sind wichtig, papierne Forderungen notwendig – aber bitte in Kombination mit zivilem Ungehorsam in Form von gewaltfreien »Banküberfällen« und Bankbesetzungen. Es muß den Herrschenden weh tun – sonst ändert sich wenig oder gar nichts. Die Debatte über couragierte Formen des zivilen Ungehorsams hat weder bei Attac noch bei der Occupy-Bewegung ernsthaft begonnen. »Robin Hood-Aktionen« in den Reichtumszonen von Berlin-Grunewald, Starnberg, Kronberg und Blankenese folgten vielversprechenden Vorbildern aus den USA. Und die »feindliche Übernahme« der Deutschen Bank durch symbolische »Tausend-Menschen« anläßlich ihrer Hauptversammlung könnte eine weitere Reputationsschädigung für die Bank bedeuten. Bisher hat die Occupy-Bewegung eine nur sehr einäugige Perspektive und geschlossene Augen für ihre eigenen strategischen Entwicklungsmöglichkeiten. Die Öffnung der Bewegung und das sensible wechselseitige Einlassen auf unterschiedliche Protestkulturen ist der Schlüssel für eine soziale Bewegung, die ihren Namen verdient. Ein zweitägiger gemeinsam vorbereiteter Ratschlag sollte noch in diesem Jahr machbar sein. Die Occupy-Bewegung und Attac – so möchte man nach einem alten Lied schließen – sind die »Königskinder der Bewegung«. Sie sind noch nicht wirklich zusammengekommen. Das Lob der Herrschenden für die Bewegung ist primär Ausdruck von Unsicherheit gegenüber einer unberechenbaren Bewegung. Schüren wir diese Unsicherheit!
Erschienen in Ossietzky 24/2011 |
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