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Dr. Kleber fand ihn fade und meinungsschwach. Aber am US-Präsidenten zu zweifeln oder an dem System, für das er steht, dies freilich ist zweierlei. Dabei mehren sich im Sturm einander jagender Finanzkrisen jetzt die Zweifel. Selbst Finanziers vom Kaliber eines Warren Buffett oder George Soros plagen Skrupel. Auch deutsche Promis, so unterschiedlich geprägt wie Frank Schirrmacher, Sahra Wagenknecht, Günter Grass und Hans-Olaf Henkel – sie alle stimmen in den Chor der Warner ein. Und mancher Politiker erinnert sich der Tobin-Tax, jener einprozentigen Umsatzsteuer auf Transaktionen, den Märkten zuliebe bislang vermieden und ignoriert. Nun aber läßt sie sich, verdünnt auf 0,1 Prozent, als spekulationshemmend plötzlich denken. Ach, unser Beklommensein angesichts des Zauderns der von den Märkten gehetzten Politik! Schon wird mancherorts Zorn daraus. Als die Aktionsgruppe Occupy Wall Street dem Finanzzentrum Grenzen zeigen wollte, gefolgt von Protesten sogar bei uns, da teilte sich das Unbehagen dem Claus Kleber mit, so daß er fragte, was denn »der Markt« in Wahrheit sei? Jene Übermacht, die da, gestützt auf ihre Rating-Agenturen, nun unser aller Schicksal ist? Und wieder gelang es ihm, eine rätselhafte Größe zu entzaubern. »Der Markt«, sagte der TV-Anchorman, »das sind wir alle!« Ein Satz, der zunächst verblüfft. Doch dann dämmert es einem, da scheint Wahres dran zu sein. Jeder von uns nämlich, der sich privat versichert oder sein Spargeld einer Bank gibt (wenn auch zu Zinsen, die den Inflationsverlust nicht decken), der erlaubt es diesem Institut, das Geld entweder auszuleihen an klamme Kunden, also an die Realwirtschaft – oder es der zu entziehen, um damit zu spekulieren. Dann allerdings hätte unser Spargroschen die Zockerei beflügelt, und somit stünden wir als Komplizen da, mitschuldig am Tanz ums goldene Kalb, das schon die Bibel verurteilte. Selbst wenn wir, gefühlt wie faktisch, die absoluten Verlierer sind. Zum Altwerden gehört die Last der Erinnerungen. Bei Klebers Merksatz fiel mir das Geschichtsbild ein, das uns vor 70 Jahren am Realgymnasium zu Magdeburg ein Studienrat vermittelt hat. Dessen Vortrag mündete, das Fazit ziehend, oft in die Frage: »Und wer war schuld?« Das machte es uns leicht, man ging kaum fehl bei der Antwort. Steckten wir noch im Mittelalter, so wollte der Lehrer hören: »die katholische Kirche«. War aber die Neuzeit dran, mußte es entweder heißen »die Sozialdemokraten« oder »die Juden«. Nur wer selbst das verwechselte, der stand dumm vor ihm da. Feindbilder unterliegen dem Zeitgeist. Solch ein Fazit war anno 1941 politisch gewollt und korrekt. Heute ist man Europäer, da sind Feindbilder nicht mehr so gefragt – sieht man einmal ab von den Moslem-Terroristen nebst deren Helfern in Staaten der »Achse des Bösen«. Heute ist ablenkende Beschwichtigung angesagt. Und da bieten uns die Medien ein breites Deutungsspektrum an. Flott mahnt Ulrich Fichtner im Spiegel »Banker, hört die Signale«, und er schließt: »Es geht jetzt, im Schatten der Wolkenkratzer, direkt gegen den Kapitalismus.« Sigmar Gabriel hingegen sagt im selben Blatt, die Banken seien »in der aktuellen Krise Täter und Opfer zugleich«, denn es sei auch ihr Problem, »daß man an den Märkten auf die Pleite ganzer Staaten spekulieren kann«; unter solchen Wetten leide auch die Demokratie, ja der Glaube an sie drohe zu erlöschen! Folgerichtig schlägt er die strikte Trennung des braven Kreditgeschäfts vom hochriskant-spekulativen Investmentbanking vor; eine Idee, die 80 Jahre vor ihm Franklin D. Roosevelt nicht nur hatte, sondern auch durchsetzte, für eine Weile ... Während Joachim Gauck in libertärem Schwung, frei auch von Selbstzweifeln, dank grenzenloser Freiheit die ganze Finanzdebatte für »unsäglich albern« hält und meint: »Das wird schnell verebben.« Vor 21 Jahren, beim Untergang seines Landes, sah sich ein DDR-Kabarettist gleichsam im Rettungsboot auf einen strahlenden Ozeanriesen zutreiben – dankbar und glücklich, bis er erbleichend den Schiffsnamen las: »Titanic«. Und wer war schuld an deren Crash mit dem Eisberg, dem unabwendbar verlustreichen Absaufen beim wackeren Spiel der Bordkapelle? Erinnern wir uns: Weder die tapfere Mannschaft noch 99 Prozent der Passagiere. Sondern die Gier rekordsüchtiger Schiffseigner – und ein Kapitän, der es nicht wagte, sich deren Druck zu widersetzen.
Erschienen in Ossietzky 24/2011 |
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