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Während Industrienationen aber nur etwa 18 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, wohnt die Mehrheit der Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern, und dort wächst die Bevölkerung auch am schnellsten. Bis zum Jahr 2050 werden in diesen Ländern geschätzte zweieinhalb Milliarden Menschen mehr leben. Dann wird nicht mehr China, sondern Indien das bevölkerungsreichste Land sein.« Die Menschheitsgefährder sind somit benannt. Gerster sagt das so nicht, aber der Zuschauer denkt es, denn die Konnotation ist eindeutig. Es folgt ein Film mit Interviews und Berichtsteilen, beginnend mit einem indischen Landarbeiter und dessen siebenköpfiger Familie am Rande des Existenzminimums; hernach kommen eine indische Gynäkologin zu Wort und ein junger indischer Angestellter mit dreiköpfiger Kleinstfamilie. Kern ihrer Aussagen: »Mit einer großen Familie sind wir einfach mehr, die Geld verdienen können«. – »Überbevölkerung führt zu Arbeitslosigkeit, Hunger und Armut.«– »Für ein besseres Leben wollen wir uns ganz auf Bildung für unser Kind konzentrieren.« Erstes Reporterinnenfazit: »Indiens Zukunft hängt davon ab, ob die Regierung das Problem Überbevölkerung langfristig lösen kann.« Schnitt, Ortswechsel: »Ganz anders die Situation in Deutschland. Hier sinken die Bevölkerungszahlen, vor allem in den ländlichen Gebieten im Osten, wie hier in der Altmark in Sachsen-Anhalt. Geschäfte müssen schließen, es gibt kaum Gymnasien, kein Kino, in vielen Dörfern nicht einmal mehr einen Bäcker. Immer weniger Menschen heißt auch, daß es immer weniger Fachkräfte gibt ...« Eine Krankenhausleiterin erklärt, man müsse auf der Suche nach Fachpersonal bereits Ärzte im Ausland anwerben. Der Kommentar greift auf: »Aber nicht nur Fachkräfte fehlen, sondern, langfristig gesehen, Erwerbstätige überhaupt.« Abschließender O-Ton eines Soziologen des Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung: »Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 65 wird sich bis 2050 um etwa 30 Prozent reduzieren. Also die Menschen, die den Wohlstand auch schaffen müssen, und das ist sozusagen die historische Neuheit. Klassischerweise stand Wohlstandswachstum im Zusammenhang mit der Zunahme an Erwerbstätigen – und das werden wir in Zukunft nicht mehr haben.« Zwar hätte die Berichterstatterin nach anderen Wohlstandsfaktoren fragen können, zum Beispiel dem Produktivitätswachstum. Doch sie äußert nur finale Demagogie: »Noch ein Problem: Die Rentenabsicherung. Schon jetzt müssen immer weniger Junge immer mehr Alte versorgen, ein Trend, der sich weiter zuspitzen wird, denn die Zahl der Rentner soll sich in den nächsten Jahrzehnten verdoppeln.« So lehrt man den vom Sozialabbau gebeutelten Michel vollends das Fürchten. Wer untersucht den Trend der Nachrichten über den siebenmilliardensten Erdenbürger auf Desinformation und auf ideelle Luftverpestung von der Sorte »Das Boot ist voll«? Der politisch maßgebende Milliardärsclub der Bilderberger verfügt vermutlich über konkrete Einzelheiten und Hochrechnungen, wirkt wahrscheinlich selbst auf die Massenmedien ein. Seit seiner Gründung betreibt er die gewaltsame Reduzierung der Menschheit auf zwei Milliarden. Beispielsweise mittels Aufkauf von Agrarregionen, vor allem in Afrika. Stiftungen und Tarnfirmen der Rockefellers und Kissingers grasen die Kontinente nach entsprechenden Okkasionen ab. Bauernland in Milliardärshand, nicht zum Wohl der Mitwelt, sondern zwecks Kontrolle der Nahrungsmittelproduktion gemäß dem Interesse einer für besonders überlebenswert erachteten reichen Elite. Spätestens mit der Abmoderation der Sendung hätte eine Erörterung objektiver Ursachen der sogenannten Bevölkerungsexplosion folgen müssen, Gedanken darüber, wie mit den resultierenden Problemen fertig zu werden wäre. Doch kein Wort fiel über das verbrecherische, Elend erzeugende Welthandelssystem. Nichts wurde gesagt über den ruinösen modernen Kolonialismus, seine Verwüstung ökologischer Fundamente und seine Vernichtung regionaler Kulturtraditionen. Imperialistisches Verbrechertum gestern wie heute: Einst zerstörten britische Kolonialherren die kulturtypisch vielfältige bengalische Landwirtschaft und machten damit eine Kornkammer des indischen Subkontinents zur Hungerregion: Bangladesh. Heute bauen wir billig Soja als Schweinefutter auf den Böden vom Hunger geplagter Länder an und lassen dort Palmöl für unsere Biodiesel ernten. Auch der Kampf des Vatikans gegen Geburtenkontrolle wäre anzuführen gewesen, vor allem jedoch das Bedingungsgefüge für Bevölkerungsexplosion: fehlende infrastrukturelle Existenzsicherung per Arbeitsschutz, Gesundheitsversorgung und Rentenversicherung. Die wissenschaftlich gesicherten Entwicklungsmodelle der Welternährungsorganisation FAO hätten erwähnt werden müssen, wonach unsere Erde ohne weiteres zehn Milliarden Menschen ernähren könnte, wenn – ja, wenn! – sich unsere reichen Nationen zur Verteilungsgerechtigkeit bekehren ließen. Und wenn – ja, wenn! – wir unsere Ernährungsgewohnheiten und unseren Lebensstil grundlegend änderten. Die Geburt des siebenmilliardensten Mitmenschen hätte Anlaß sein können, die kapitalistische Ausbeutergewalt des Nordens als Ursache der Not in anderen Teilen der Welt zu diskutieren und die dortige Überbevölkerung nur als eine Folge, nicht als Quelle des Elends. Es wäre auch zu vermitteln gewesen, daß fortschreitender Sozialabbau in der Ersten Welt hierzulande die Furcht vor Armut nährt und so unseren Bevölkerungsrückgang verursacht. Die Erfüllung des Informationsauftrags des ZDF, anständigen, erklärenden Journalismus vorausgesetzt, hätte Titelzeilen wie diesen entsprechen können (Le Monde): »Europas Gier ist Afrikas Hunger« (Jean Ziegler), »Getreide wächst nicht an der Börse« (Dominique Baillard) »Böse Saat in Andra Pradesh« (Palagummi Sainath) »Die absurden Regeln des weltweiten Agrarhandels« (Jacques Berthelot). Solidarisches, gerechtes Teilen der Ressourcen, Lösungsansatz für alle Probleme und für das Überleben der Menschheit: kein Thema der Haupt-Nachrichtensendungen unserer Manipulationsmedien. Die widmen sich lieber dem Hällowihn – und hohlen Kürbissen.
Erschienen in Ossietzky 23/2011 |
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