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Eine mögliche Lösung sahen die Studenten in der in unmittelbarer Nähe der Universität gelegenen Kaserne, die in den vorhergehenden Monaten freigezogen worden war. Die Friedrich-Engels-Kaserne war ein 17.500 Quadratmeter großer Komplex, bot also viel Platz für Lehrräume, Laboratorien und Universitätsbüros. Außerdem befand sich dort auch eine Großküche für die Mensaversorgung. Nach Beratung im Akademischen Senat, im Studentenrat und in der dafür zuständigen Universitätsverwaltung ging ich zum Minister für Abrüstung und Nationale Verteidigung, unterbreitete ihm unseren Vorschlag und bat ihn um Hilfe. Herr Pfarrer Eppelmann, den ich aus meiner kirchlichen Arbeit kannte, fand den Vorschlag verblüffend. Er entsprach seiner Abrüstungspolitik: Schwerter zu Pflugscharen – Kasernen zu Hörsälen. Wir verstanden uns auf Anhieb, was vorher nicht immer der Fall gewesen war. An den Ministerpräsidenten, Lothar de Maizière, schrieb ich unmittelbar nach dem Gespräch: »Wir sind mit unserer Universität in aussichtslosen Raumschwierigkeiten. Ich habe aus diesem Grunde Herrn Minister Eppelmann aufgesucht und ihm die Bitte vorgetragen, uns die Friedrich-Engels-Kaserne für die Nutzung von Vorlesungs- und Bibliotheksräumen zu überlassen. Außerdem steigt durch zusätzliche Zulassungen von Studenten die Zahl der benötigten Studienplätze, die ohnehin sehr knapp bemessen sind. Sie werden verstehen, daß auch der Standort des Gebäudes unmittelbar in der Nähe der Universität uns in die ganz besonders gute Lage bringen würde, einen Teil der insgesamt 550 über die ganze Stadt und Umgebung verstreuten Objekte zusammenzubringen.« Trotz seiner großen Belastung antwortete Lothar de Maizière bereits wenige Tage später. Er sicherte der Universität seine volle Unterstützung zu und versprach, einen Antrag in die Volkskammer einzubringen. Die Vereinbarungen mit dem Stab des Abrüstungsministeriums liefen zügig. Am 29. Juli übergab Lothar de Maizière, der sich als ehemaliger Student der Humboldt-Universität bekannte, in einem Festakt im Kasernenhof dem Rektor die Schlüssel zur Kaserne. Es waren viele Prominente aus Politik und Wissenschaft gekommen, zum Beispiel die Ministerin, Frau Regine Hildebrandt, der Präsident der Freien Universität, Dieter Heckelmann, die Senatorin für Wissenschaft und Forschung, Barbara Riedmüller-Seel, Studenten und Kollegen sowie viele Medienvertreter. Auf dem Appellplatz spielte eine Militärkapelle zum letzten Mal: Es war ein Friedensfestakt. Lothar de Maizière, der die Regierungsentscheidung getroffen hatte, sprach bei der Übergabe von einem »Zeichen für konsequente Verwirklichung seiner Regierungserklärung«, in der er die Absicht bekundet habe, Abrüstung in deutlich sichtbaren Schritten zu vollziehen. Er freute sich, daß die Humboldt-Universität vermutlich die erste Alma Mater der Welt sein werde, die einen Teil ihrer Studenten in einer ehemaligen Kaserne ausbilde: »Anstelle von Kasernenhofton sollen nun wissenschaftliche Diskussionen und Auseinandersetzungen in diesen Mauern herrschen.« Regine Hildebrandt erinnerte an die Geschichte der Kaserne, die auf Befehl des preußischen Königs Friedrich II. für das 1. Garde-Artillerie-Regiment errichtet wurde. Der letzte Namenspatron ab 1971 war Friedrich Engels, der sich seinerzeit freiwillig als Soldat nach Berlin gemeldet habe, um gleichzeitig Gasthörer an der Universität sein zu können. Die Ministerin erwähnte auch, daß am 9. November 1918 Arbeiter diese Kaserne stürmten und leider nach 24 Stunden wieder vom Gelände vertrieben wurden. 1945 befreite die Rote Armee auch diesen Ort. Regine Hildebrandt erinnerte daran, daß von 1951 bis 1956 diese Kaserne schon einmal eine Ausbildungseinrichtung war: die Arbeiter- und Bauernfakultät der Humboldt-Universität. Ab 1971 wurde der Ort aber leider wieder für militärische Zwecke genutzt, als Kaserne für das Wachregiment. Der Staatssekretär für Abrüstung, Werner Ablaß, sprach von einem ›historischen Augenblick‹ als Zeichen der Wende.« Bei der Entgegennahme der Schlüssel brachte ich zum Ausdruck: »Ich sehe in dem, was wir hier gemeinsam tun, nicht nur ein ›Zeichen‹ für Wende. Es ist ein konkreter Augenblick in dem mühsam errungenen, aber fatal zögerlichen weltweiten Abrüstungsprozeß: Eine Kaserne wird zu einem Haus der Wissenschaft. Das ist wohl die bewegendste Art neuer ›Verwendung‹ ... In diesem Augenblick, wo ›Schwerter zu Pflugscharen‹ als altbiblische Prophetenforderung in eine winzige Realität gebracht wird, sind Tausende von Friedenskämpfern beteiligt, nämlich alle, die Berta Suttners ›unerhörten‹ Ruf ›Die Waffen nieder‹ in persönlichem Engagement nach dem verheerendsten aller Kriege, dem Zweiten Weltkrieg, mit ihrem eigenen Leben sichtbar bezahlt haben ... Heute stehen wir vor der Tatsache, daß der einzige Überfluß, der sich täglich mehrt, Waffen sind, also Rüstung, in der vielfältige Forschungsergebnisse zur Vernichtung von Leben investiert sind. Ich möchte die Forscher unserer Universität, Otto Hahn, Lise Meitner und Fritz Straßmann, die 1938 das unspaltbare Atom zu spalten vermochten, nennen. Sie sind nicht verantwortlich zu machen für das, was aus ihrer Wissenschaft und weltwendenden Erkenntnis folgte. Wir haben aber mit diesen Folgen zu leben und daraus Frieden zu folgern ... Ich danke dieser neuen Regierung unseres Landes, dem Minister für Verteidigung und Abrüstung und unserem Ministerpräsidenten, daß sie diesen Entschluß der Übergabe einer Kaserne an die Universität als eine Entscheidung getroffen haben, die wir in dieser wissenschaftlichen Bewertung neu einzubringen haben in unser Land, in das gemeinsame Deutschland und in das zukünftige gemeinsame Haus – auch der Wissenschaft in Europa.« Noch am 26. September 1990 beschließt die Volkskammer, die Kaserne der Humboldt-Universität zu verschreiben, in der Überzeugung, daß diese Eigentum der Stadt Berlin sei. Nun die Wendeposse: Mit dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 3. Oktober »fällt die Liegenschaft an den Bund, da die Übereignung im Einigungsvertrag dort nicht schriftlich fixiert wurde. Der Bund (Bundesministerium der Finanzen) seinerseits beauftragte die Oberfinanzdirektion (OFD) mit der Verwaltung. Die Humboldt-Universität bekommt einen befristeten Mietvertrag für das sogenannte Haus 10 (westlich der Geschwister-Scholl-Straße).« Der Volkskammerbeschluß wurde ausgetrickst! Dadurch, daß die Festlegung der Volkskammer, daß die Kaserne der Humboldt-Universität übereignet ist, nicht im Einigungsvertrag festgeschrieben wurde, erlosch der Anspruch der Universität. Alle Anstrengungen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, (AL)/UFV und PDS sowie des Wissenschaftsausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses blieben erfolglos. Nichts wurde korrigierend berücksichtigt. Am 3. November 1993 wurden Vertreter der Humboldt-Universität, des Deutschen Historischen Museums und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nach Bonn zu einer Besprechung ins Bundesministerium des Inneren eingeladen. Die Besitzverhältnisse sollten endgültig festgelegt werden, wie sie im Einigungsvertrag festgeschrieben worden waren. Im Ergebnisprotokoll findet sich dann nur die lakonische Aussage, daß die gesamte Innenfläche der Kaserne für eine Fertigteil-Containerhalle vorgesehen ist, welche das Deutsche Historische Museum als Lagerhalle während zehnjähriger Sanierungsmaßnahmen nutzen soll. Wir hatten gedacht, daß diese Konversion ein demokratisches Lehrstück sei, daß demnächst auch in Schulbüchern das Stichwort »Wende« illustrieren würde. Daraus wurde nichts. Die Kaserne stand wieder unter Befehlsgewalt! Heinrich Finks Artikelserie über die Wende-Zeit an der Humboldt-Universität, begonnen in Heft 2/11, wird fortgesetzt.
Erschienen in Ossietzky 23/2011 |
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