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Noch vor wenigen Monaten hatte er das Verteidigungsministerium dafür gelobt, daß es 2007 eine Vorschrift erlassen hatte: »Bei allen Veranstaltungen der Truppe, die der Informationsarbeit dienen, ist durch geeignete Vorkehrungen und Dienstaufsicht sicherzustellen, daß Kinder und Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr keinen Zugang zu Handfeuerwaffen oder Munition erhalten. Für ausgestellte Waffensysteme gilt dies adäquat«, hieß es damals im Ministerialblatt des Bundesministeriums der Verteidigung. Doch im Januar 2011 wurde die für Soldaten bindende Vorschrift geändert: »Zugang zu Handfeuerwaffen, Munition und Waffensystemen im Sinne des Waffengesetzes«, lautet die Überschrift nun. Warum sich das Ministerium neuerdings auf das deutsche Waffengesetz beruft, geht aus einer Fußnote in dem 40-seitigen Schriftstück hervor: »Als Waffen im Sinne des Waffengesetzes gelten insbesondere Schußwaffen, Schußapparate, Hieb- und Stoßwaffen oder vergleichbare Gegenstände. Schiffe, Flugzeuge sowie nicht-handelsübliche Fahrzeuge der Bundeswehr sind keine [Hervorhebung im Original, M. Sch.] Waffensysteme im Sinne des Waffengesetzes.« Kinder dürfen bei den Werbeveranstaltungen der Armee also kein Gewehr in die Hand nehmen, aber sich in einen »Leopard 2« Kampfpanzer oder einen »Eurofighter«-Kampfjet setzen. »Der Bundeswehr sind ihre eigenen Ziele wichtiger als der Kindesschutz«, kritisiert Ralf Willinger den neuen Erlaß. Für ihn steht die Änderung im Zusammenhang mit dem Ende der Wehrpflicht: »Die kindliche Faszination für Technik und Waffen soll weiter ausgenutzt werden, um die eigenen Rekrutierungsziele zu erreichen.« Das Verteidigungsministerium gibt sich auf Nachfrage wortkarg: »Die Änderung des entsprechenden Erlasses erfolgte zur Klarstellung«, so ein Sprecher des Ministeriums. Zudem halte man sich mit der geänderten Regelung an die aktuelle Rechtsnorm. Ist es denn nicht absurd, daß Kinder bei Bundeswehr-Werbeveranstaltungen keine Pistole in die Hand nehmen, aber sich in einen Panzer setzen dürfen? Auf diese Frage gab es vom Ministeriumssprecher lediglich ein kurzes »Nein« als Antwort. Auch die Regierung wiegelt ab: Die Vorschrift sei lediglich »zur Klarstellung des Begriffs ›Waffensystem‹« geändert worden, »um eine Handlungssicherheit für die Truppe bei öffentlichen Veranstaltungen herzustellen«, teilte der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium Christan Schmidt (CSU) im Oktober auf Nachfrage des Bundestagsabgeordneten Paul Schäfer (Die Linke) mit. Schmidt beteuerte, man bewege sich im Rahmen der bestehenden Gesetze. Das stimmt zwar, ist aber nur die halbe Wahrheit: Im deutschen Waffengesetz sind Großgeräte wie Panzer und Kampfflugzeuge schlicht nicht beachtet. Das Gesetz behandelt nur den Umgang mit Kleinwaffen. Dies nutzt die Armee schamlos aus: »Großgerät der Bundeswehr, das oftmals als ›Waffensystem‹ bezeichnet wird, erfaßt das Waffengesetz … nicht. Somit gibt es kein dem § 2WaffG entsprechendes gesetzliches Verbot zum Umgang mit Großgerät der Bundeswehr, welches in Richtlinien umzusetzen wäre«, so der Staatssekretär. Der neue Erlaß führt auch zur Aufweichung einer anderen Bundeswehrvorschrift. Im Ministerialblatt von 2007 hieß es noch strikt: »Bei Veranstaltungen der Informationsarbeit sowie der Nachwuchswerbung ist die Mitfahrt von Zivilpersonen in Land- und Wasserfahrzeugen der Bundeswehr nur zur Darstellung der Ausrüstung und der Leistungsfähigkeit der Streitkräfte zulässig. Eine Mitnahme von Minderjährigen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr in nicht handelsüblichen Fahrzeugen der Bundeswehr ist nicht zulässig.« Im Februar 2011 wurde die Vorschrift geändert. Nun heißt es: »Eine Mitnahme von Minderjährigen vom 14. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr in nicht handelsüblichen Fahrzeugen der Bundeswehr ist nur im Beisein oder mit schriftlicher Zustimmung des Sorgeberechtigten zu erlauben. Die Einverständniserklärung eines Elternteils reicht aus ...« Verteidigungsministerium und Regierung wollen das Thema lieber nicht an die große Glocke hängen – gerade weil die Bundeswehr häufig gegen die alte wie auch die neue Vorschrift verstoßen hat. Kaum eine Werbeveranstaltung der Armee, bei der Kinder nicht an Waffen gelassen wurden und werden. Zum bundesweiten Skandal kam es erst im Mai 2011. Bei einem Tag der offenen Tür der »Gebirgsjägerbrigade 23« in Bad Reichenhall konnten Kinder und Erwachsene mit Handfeuerwaffen hantieren. Auf Fotos waren Kinder zu sehen, die mit dem Zielsystem von Panzerfäusten auf ein Miniaturdorf zielten. Der Vorfall sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Konsequenzen hatte er nicht. Es sei in Bad Reichenhall zwar zu »dienstlichem Fehlverhalten« einzelner Soldaten gekommen, die Einleitung gerichtlicher Disziplinarverfahren oder die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen gegen die verantwortlichen Soldaten sei aber »nicht beabsichtigt«, so das Verteidigungsministerium nach Bekanntwerden des Vorfalls. Das Fehlverhalten resultierte laut Ministerium aus Überforderung der Soldaten. Ein im Internet zu findendes Video von diesem Tag zeigt zwar eine ganze Masse von Menschen bei der »statischen Waffenschau«, von überforderten Soldaten ist in dem Video aber nichts zu sehen: Soldaten stehen lässig neben den Besuchern, unterhalten sich oder scheinen sogar Hilfe beim Anlegen der Gewehre zu geben. Weitaus mehr Sorgen als das Fehlverhalten in den eigenen Reihen wird den Militärs wahrscheinlich die zunehmende Kritik von Kinderrechtlern bereiten. Erst im Frühjahr veröffentlichten Kinderrechtsorganisationen – neben »terre des hommes« auch die »Kindernothilfe«, die christliche Organisation »missio-Deutschland« und die deutsche Sektion von UNICEF – einen »Schattenbericht Kindersoldaten«, verfaßt vom Rechtswissenschaftler Dr. Hendrik Cremer. Darin wird die Werbepraxis der Bundeswehr scharf kritisiert. Insbesondere die Rekrutierung unter 18-Jähriger und einseitige Werbeveranstaltungen der Bundeswehr an Schulen sind Kinderrechtlern ein Dorn im Auge. So treten jedes Jahr Hunderte 17-Jährige in die Bundeswehr ein und werden militärisch ausgebildet. Jugendoffiziere und Wehrdienstberater erreichen jährlich Hunderttausende Schülerinnen und Schüler, um sie von der Bundeswehr und dem Dienst an der Waffe zu überzeugen. Mit ihrem Bericht werden sich die Kinderrechtler an den UN-Ausschuß für die Rechte des Kindes wenden. Sie sehen die von Deutschland unterschriebene UN-Kinderrechtskonvention verletzt. Professor Lothar Krappmann, der von 2003 bis zum Februar 2011 als unabhängiger Experte Mitglied im UN-Ausschuß für die Rechte des Kindes war, sieht gute Chancen dafür, daß die Kritik der deutschen Kinderrechtler unterstützt werde: »Wie schon 2008 wird der Ausschuß sicher unserer Regierung empfehlen, keine Unter-18-Jährigen ins Militär aufzunehmen.« Auf die Armeewerbung an Schulen werde der Ausschuß eingehen, wenn er den Eindruck gewinne, daß die Werbung die Freiwilligkeit der Entscheidung der jungen Leute bei der Berufswahl beeinträchtige: »Die Regierung wird sich sicherlich bemühen, diesen Eindruck zu widerlegen«, so Krappmann. Aufgrund massiver Überlastung wird der Ausschuß aber wohl erst 2013 dazu kommen, sich der Angelegenheit zu widmen und eine offizielle Empfehlung an die Bundesrepublik auszusprechen. Solange wollen nicht alle warten. In der deutschen Politik ist das Thema gerade angekommen: »Die Unverfrorenheit, mit der die Bundeswehr Minderjährige zu manipulieren versucht, ist schier atemberaubend«, empört sich Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin Bundestagsfraktion der Linkspartei, über die geänderte Vorschrift des Verteidigungsministeriums. Panzer seien keine Spielzeuge und es sei fatal, wenn Kindern Krieg als eine spaßige Angelegenheit präsentiert werde: »Bei ihrer Rekrutierungspolitik überschreitet die Bundeswehr einmal mehr die rote Linie.« Auch Ralf Willinger von »terre des hommes« drängt darauf, die Vorschrift für die Bundeswehr schnellstmöglich zu ändern und nicht erst bis 2013 auf die Empfehlungen des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes zu warten: »Es ist nicht nur moralisch zweifelhaft, Kinder mit Waffentechnik zu ködern, es ist auch ein Verstoß gegen die Schutzpflichten und Bildungsziele der Kinderrechtskonvention, die Deutschland unterschrieben hat.« Kinder und Jugendliche müssen laut UN-Konvention vor jeder Form der Gewalt geschützt werden und sollen im Sinne des Friedens und der Verständigung zwischen den Völkern erzogen werden: »Kinder für Panzer und militärische Einsätze mit tödlichem Risiko zu begeistern widerspricht diesen Grundsätzen.«
Erschienen in Ossietzky 23/2011 |
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