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Gratulierend legten sie mir ans Herz, daß ich als Rektor endlich »öffentlich« – in einem angemessen akademischen Rahmen – an jene Kolleginnen und Kollegen erinnern solle, die unmittelbar nach dem 7. April 1933 aufgrund der Erklärung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums die Universität als »Nichtarier« verlassen mußten – zunächst zwangsbeurlaubt und dann durch »gesetzgemäße« Entlassung. Ich stimmte dem Anliegen sofort zu; wir verabredeten spontan Tag und Stunde und lachten gemeinsam darüber, daß noch während der offiziellen Gratulationscour mein erster »dienstlicher« Termin verabredet worden war. Die Simons hatten Kontakt zu in Berlin lebenden Juden, die damals als »nichtarische« Studenten exmatrikuliert worden waren. Nur wenige hatten den Faschismus durch Emigration überleben können, zu ihnen gehörten: Günter Nobel, der von 1931 bis 1933 Volkswirtschaft studierte, Stephan Heym, Student der Philosophie, Max Kahane, stud. jur., sowie Irene und Klaus Gysi. Wir luden sie in die Universität ein und als Beraterin für die zunächst noch vagen Pläne Marianne Awerbuch, die Judaistik an der Freien Universität lehrte, und Roman M. Skoblo von der Jüdischen Gemeinde West-Berlin, Vorsitzender der »Freunde der Universität Bar Ilan/Tel Aviv«, der sich mit dem Plan beschäftigte, dort einen Lehrstuhl für »Geschichte der Juden in Preußen« zu gründen. Ihm lag daran, ihn »Samuel Braun« zu widmen. In der lebhaften Diskussion ging es aber zunächst um Vorschläge, wie man an jenes finstere Frühjahr an der Friedrich-Wilhelms-Universität angemessen und auffällig zugleich erinnern könne. Schließlich zog diese selbsternannte »Findungskommission« zwei Vorschläge aus der Fülle der Ideen in die nähere Wahl: Im Haupteingang der Humboldt-Universität solle eine Tafel mit der Zahl der entlassenen Professoren, Assistenten, Mitarbeiter und Studenten aufgehängt werden; die Gründe dafür sollten aufgezählt werden und schließlich als Gesetzeszitat die Zuspitzung in den die »Nichtarier« betreffenden Paragraphen. Der andere Vorschlag sah vor, daß die Namen der Berühmtesten genannt werden und jene der verjagten Studenten, die es im Exil zu hervorragenden Leistungen gebracht hatten, wie der Biochemiker Erwin Chargaff, der 1975 in New York mit der höchsten wissenschaftlichen Auszeichnung der USA, der »National Medal of Science«, geehrt worden war. Auch Stephan Heym wurde genannt, war er doch ein weltberühmter Schriftsteller geworden. In jedem Fall sollte die Tafel so gestaltet werden, daß Lehrende und Studierende daran erinnert werden, wie bereitwillig die Berliner Universität sich dem NS-Regime angedient habe und, wie es heißt, sich bereits im Dezember 1933 als »judenfreie Universität« proklamiert habe. Wichtig war allerdings den Versammelten bei ihren inzwischen mehrmaligen Sitzungen, daß mit einer gesonderten Tafel an die »Bücherverbrennung« am 10. Mai 1933 erinnert werden solle. Denn in fataler Gemeinsamkeit hatten Professoren und Studenten mit – vor allem jüdische Autoren – diffamierenden »Flammensprüchen« Tausende Bücher als arische Inquisatoren ins Feuer geworfen. Große Zustimmung fand der Vorschlag, ein »lebendiges« Denkmal in Form eines Lehrstuhls zu kreieren, auf dem »jüdisches Denken« (Jewish thinking) Lernen und Erinnern verbinden sollte. Semesterweise sollten Gastprofessoren aus Israel von ihren Forschungen zur »Vorgeschichte und Geschichte des Holocaust«, zu »Wurzeln des Antisemitismus«, zur »Geschichte des Judentums« und zu jüdischer Philosophie und Literatur Vorlesungen halten. Auch der »Geschichte der Juden in Preußen« sollte Platz eingeräumt werden. Heinz Galinski, damals Direktoriumsvorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in West-Berlin, dem ich von den Arbeitsergebnissen dieser hochmotivierten Gruppe ehemaliger jüdischer Studenten der Humboldt-Universität zu Berlin berichtete, reagierte spontan: »Ein Lehrstuhl der Erinnerung an jüdische Lehrende und Studenten der Friedrich-Wilhelms-Universität, in der der Nationalsozialismus ab 1933 geradezu getobt hat, wäre für Berlin das beste Denkmal aller Zeiten!« Und er ergänzte unsere Vorschläge um den Hinweis, jährlich zum 10. Mai ein Symposium zur Erinnerung an die Bücherverbrennung von 1933 und zur kritischen Reflektion über zeitgenössische Literatur zu organisieren. Der DDR-Minister für Hoch- und Fachschulwesen, Hans-Joachim Meyer, fand diese Pläne nicht nur akzeptabel, sondern aktuell. Er schlug sogar vor, als Pendant zum Lehrstuhl für »Jüdisches Denken« in Berlin einen Lehrstuhl in Israel zu errichten. Das Bar-Ilan-Projekt von Roman M. Skoblo wurde in diesem Zusammenhang noch einmal gründlich diskutiert. In der Überzeugung, daß gerade der Kontakt zu kritischer Reflektion, speziell des deutschen Nationalsozialismus, zwischen einer israelischen Universität und der Berliner Humboldt-Universität ein Zeichen für Neubeginn sein könnte, flog ich mit vorbereitetem Vertrag nach Jerusalem und fand dort großes Entgegenkommen. Kurz darauf war nicht nur in Jerusalem in der Zeitung zu lesen: Am 22. Juli 1990 wurde »eine Vereinbarung über die wissenschaftliche Zusammenarbeit der Humboldt-Universität (Ost-Berlin) und der Hebräischen Universität Jerusalem geschlossen. Der erste Vertrag zwischen einer DDR- und einer israelischen Universität überhaupt wurde von den beiden Rektoren der Universitäten, Heinrich Fink (Humboldt) und Yoram Ben-Porath (Jerusalem), unterzeichnet ... Eingedenk der Verknüpfung der deutschen und jüdischen Geschichte und der Verantwortung der Deutschen für die vom Naziregime während des Holocaust begangenen Verbrechen ist es vornehmstes Anliegen der Vereinbarung zwischen der Humboldt-Universität zu Berlin und der Hebräischen Universität Jerusalem, die Verständigung zwischen beiden Völkern zu fördern.« In beachtlich kurzer Zeit war also ein ungewöhnliches Vorhaben nicht nur im Entwurf, sondern auch per Vertrag auf den Weg gebracht worden. Nach dem 3. Oktober 1990, anläßlich einer Zusammenkunft mit der Senatorin für Wissenschaft und Forschung, unterbreitete ich unsere Ideen und die bereits per Vertrag erstellten Pläne. Sie nahm alles freundlich zur Kenntnis und bemerkte lächelnd: »Hatten Sie nicht zu DDR-Zeiten schon genug plakatives Denken? Wozu diese extravaganten Tafeln im Vestibül Ihrer Universität? Übrigens sollten Sie im Kreis der Verantwortlichen darüber nachdenken, wann endlich das Karl-Marx-Zitat an der Stirnwand des Treppenaufgangs entfernt wird. Außerdem: Haben Sie mal die Kosten für Ihre Erinnerungspläne durchgerechnet? Sie haben doch in den letzten Wochen der DDR noch so viele Professoren berufen, daß Sie sich eine so extravagante Doppelprofessur ›Tel Aviv – Berlin‹ sparen müssen ...« Auf diese kurzschlüssige Härte der Argumentation war ich nicht gefaßt und wußte darum auch nicht darauf zu antworten ... Schließlich war es erst Ende Oktober – und die neue Einheit Deutschlands war nur wenige Wochen alt. Heinrich Finks Artikelserie über die Wende-Zeit an der Humboldt-Universität, begonnen in Heft 2/11, wird fortgesetzt.
Erschienen in Ossietzky 22/2011 |
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