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Diese hierzulande als »erste erfolgreiche Fernfahrt mit einem Automobil« gerühmte Leistung – Wikipedia bezeichnet Bertha Benz sogar als »ersten Mensch überhaupt, der sich über kürzere Versuchs- und Probefahrten hinauswagte« – verliert jedoch bei näherem Hinsehen an Glanz. Funktionsfähige, patentierte Kraftfahrzeuge für den Personentransport gab es, gut dokumentiert, schon im frühen 19. Jahrhundert: Dampfwagen. Erste Versuche, die Wärmekraft einer Hochdruckdampfmaschine zum Antrieb eines Radfahrzeuges zu nutzen, hatten um 1769 in Frankreich, 1784 in England und 1786 in den Vereinigten Staaten von Amerika begonnen. Die ersten zweckdienlichen Kraftfahrzeuge für den Transport von Gütern und Menschen setzte der englische Grubeningenieur Richard Trevithick in Fahrt. Sein 1801 in Camborne (Cornwall) öffentlich vorgeführter Dampfwagen »Puffing Devil« verfügte bereits über eine Kraftflußunterbrechung zum kurveninneren Hinterrad, die einen Drehzahlausgleich bei der Kurvenfahrt ermöglichte. Trevithick fuhr das Fahrzeug mehrere Kilometer weit ins Nachbardorf Beacon und erreichte eine Geschwindigkeit von gut zehn Kilometern pro Stunde. Nachdem er 1802 ein Patent für »Dampfwagen mit Kurbelantrieb« erhalten hatte, wandte er sich mangels interessierter Investoren der Eisenbahn zu und konstruierte die grundlegende Form der Dampflokomotive. Seine erste Lok fuhr 1804 auf einer Hüttenwerksbahn in Wales. Das Interesse der Dampfwagen-Pioniere richtete sich zunächst auf die Konstruktion von Bussen, die das Postkutschen-Zeitalter beenden sollten. Dabei trieben sie die Erfindung grundlegender Autobestandteile wie etwa Wechsel- und Differenzialgetriebe, Lenk- und Federungssysteme, wirksame Bremsen, leichtere Materialien voran, längst bevor von einem Auto mit Benzinmotor auch nur geträumt wurde. 1825 erhielt Goldsworthy Gurney das Patent für einen »apparatus for propelling carriages on common roads or railways – without the aid of horses, with sufficent speed for the carriage of passengers and goods«. >Der Erfinder baute in seiner Manufaktur zahlreiche große Dampfwagen für kommerzielle Zwecke. Sie wurden kontinuierlich technisch verbessert und von unnötigem Gewicht befreit. 1829 unternahm er mit seinem »Gurney Steam Drag« die wohl erste längere Fernfahrt von London zum beliebten Kurort Bath und zurück (rund 350 Kilometer). Ohne Rast- und Wasseraufnahmezeiten erreichte er eine Durchschnittsgeschwindigkeit von fast 20 Stundenkilometern. Für den damals angestrebten Aufbau von Linienverkehren stellte Gurneys Manufaktur Zugwagen her, die sechzehnsitzige Omnibusanhänger ziehen konnten. Von 1831 an verkehrten diese Züge mehrmals täglich zwischen Cheltenham und Gloucester und auf diversen Routen im Großraum London. Die Fahrpreise betrugen nur die Hälfte dessen, was für die Innenplätze der Postkutsche zu bezahlen war; die Betriebskosten erwiesen sich mit neun Shilling pro Tag als neunmal günstiger als die der Pferdebahnen. 1829 stieg mit Walter Hancock ein weiterer Erfinder und Unternehmer in das Kraftfahrzeug-Geschäft ein. Er konstruierte bis 1838 mehrere bemerkenswerte Omnibustypen – etwa den betriebssicheren »Infant« mit feststehenden Zylindern und einem Zweigang-Kettengetriebe, der zwischen London und Stratford upon Avon verkehrte. 1833 stellte er den modernen Stadtomnibus »The Enterprise« vor, der auf Längsbänken 14 Personen Platz bot und als erster mechanisch angetriebener Omnibus überhaupt den Linienverkehr zwischen London Wall und Paddington ermöglichte. Hinzu kam der Typ »Automaton«, der 22 Fahrgäste aufnahm. Im Zeitraum zwischen 1833 und 1836 beförderten Hancocks Busse rund 12.800 Passagiere. Einen Dampfwagen spezieller Bauart erlebten ab 1838 die Passanten auf Londons Straßen – den von Walter Hancock für seinen persönlichen Gebrauch erbauten Personenwagen. Dieser nahm nicht nur von der Bauart her die Entwicklung der sechzig Jahre später auf die Straßen kommenden Benzin-Motorwagen vorweg; im Rückblick erweist er sich als erstes alltagstaugliches Automobil überhaupt. Hancocks Viersitzer brachte es auf eine Geschwindigkeit von mehr als 30 Stundenkilometern und war damit doppelt so schnell wie die ersten Personenwagen mit Ottomotoren; und er entwickelte beim Fahren weder stinkenden Rauch noch Lärm. Wie sich der Dampfwagenverkehr in England entwickelte, blieb interessierten deutschen Zeitgenossen nicht verborgen, weil diverse Zeitschriften darüber berichteten. 1833 erschien zudem eine mehr als 300 Buchseiten starke Übersetzung aus dem Englischen über die »Fortbewegung ohne Thierkraft, mittelst Dampfwagen auf gewöhnlichen Landstraßen«. Gerade damals machten aber in England gezielt gegen die Dampfbusbetreiber gerichtete drastische Maßnahmen deren Kostenvorteile gegenüber dem Postkutschenbetrieb wieder zunichte. Die Straßenzollverbände trieben die Mautgebühren für mechanische Fahrzeuge ab 1831 auf das Sechs- bis Zwölffache der für Pferdefuhrwerke erhobenen Zölle hoch, Pferdekutscher, Pferdezüchter, Landwirte und mächtige Vertreter der Eisenbahngesellschaften lobbyierten die englische Politik so lange, bis das Parlament zusätzliche Restriktionen erließ. Bereits 1836 war von den elf namhaften Dampfwagen-Betreibern nur mehr Hancock aktiv. Einer der letzten Ingenieure, die mit Dampfwagen Aufsehen erregten, war Frank Hill. Er hatte zwölfsitzige Kleinbusse entwickelt, die über ein Differenzial in der Hinterachse verfügten. Auf einer seiner Fernfahrten fuhr Hill an einem Tag von London nach Hastings und zurück (gut 230 Kilometer). Das schnellste Pferdegespann hätte für diese Tour zwei Tage gebraucht. Zum Aus für alle Autoträume in Großbritannien kam es 1865 durch den »Red Flag Act«. Das Gesetz erklärte die »self-propelled vehicles« für gemeingefährlich (obwohl der einzige Kesselexplosionsunfall mit Todesfolge lange zurücklag) und setzte die zulässige Geschwindigkeit mechanischer Straßenfahrzeuge auf drei Stundenkilometer in Ortschaften und auf sechs im offenen Gelände herab. Zudem wurden drei Mann Besatzung Pflicht. Als in Großbritannien die Weiterentwicklung der Dampfwagen zum Stillstand kam, stellten sich französische Konstrukteure dieser technologischen Herausforderung. Zu welchen Leistungen sie fähig waren, zeigte sich spätestens 1873, als Amedée Bollée sen. »L‘Obeissante« fertigstellte. Der Wagen verfügte an den lenkbaren Vorderrädern bereits über »Vollelliptikfedern«, und das Lenksystem ermöglichte erstmals die geometrisch korrekte Fahrzeuglenkung (1889/1893 von Maybach und Benz für Benziner nochmals erfunden). Einen Personenwagen blieb Bollée der Nachwelt auch nicht schuldig. 1878 stellte er seinen Pkw »Mancelle« mit vielen technischen Neuerungen vor. Die Maschine lag geschützt unter der frontalen Motorhaube (diese Position nahm der Ottomotor erst 1891 ein), er hatte eine unten liegende, in der Fahrzeuglängsachse gelagerte Kurbelwelle (Benziner erhielten sie erst nach 1900), eine Einzelradaufhängung (Benziner erst in den 1920er Jahren) und andere Finessen mehr. Das 12.000 Francs teure Modell war zugleich das erste in Serie gefertigte Automobil; mindestens fünfzig Exemplare wurden gebaut. Und es war das erste Serienfahrzeug der Welt, das 1878 eine Fernfahrt von Paris nach Wien auf holprigen Wegen und Straßen ohne nennenswerte Pannen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 35 Stundenkilometern bewältigte. Die Dampfwagenspezialisten erreichten am Ausgang des 19. Jahrhunderts einen zu Unrecht vergessenen exzellenten technischen Stand. Die ab 1890 gebauten Phaeton-, Touren- und Sportwagen des letzten bedeutenden europäischen Spezialisten Léon Serpollet hatten leistungsfähige Einspritzkessel, automatische Brennstoff- und Wasserpumpen, automatische Anlasser und weitere Finessen. Von ihnen wurden bis 1906 mehr als tausend Exemplare verkauft. Kurz, vom ersten bis zum letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts dominierten die Dampffahrzeuge (in den USA bis zu Beginn der 1920er Jahre). Sie waren den frühen Personenwagen mit Ottomotoren technisch weit überlegen. Bei Reclam erschien jüngst Johann-Günther Königs Studie »Die Geschichte des Automobils«, 220 Seiten, 9,95 €
Erschienen in Ossietzky 21/2011 |
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