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Anschließend wollten die Muslime dann die Deutschen, wie 1529 die Einwohner Wiens, »belagern« und »terrorisieren«. Der Autor weiß: »Wer sich zu Mohammed bekennt und dem geistigen Weg von Mohammed folgt, von dem ist nichts Gutes zu erwarten. Denn: »Muslims, das sind unsere Feinde!« Und der Autor hat auch diese Gewißheit: »Ganz sicher wünscht sich das Volk, daß morgen früh alle Türken plötzlich wieder in die Türkei verschwunden sind, und Jesus Christus wünscht sich das ganz sicher auch!« Diese kruden Verschwörungstheorien eines Unbekannten landen wohl in den meisten Fällen ungelesen im Papierkorb. Hingegen konnte Ex-Finanzsenator, Ex-Bundesbankchef und Weiterhin-Sozialdemokrat Thilo Sarrazin sein Machwerk »Deutschland schafft sich ab« mit weit mehr als einer Million Exemplaren unter das Volk bringen. Gestützt auf viele – zum Teil nach eigenem Eingeständnis sogar erfundene – Statistiken behauptet Sarrazin letztlich das Gleiche wie der anonyme Haßmail-Schreiber. Und er bekam dafür viel Applaus von der tonangebenden Springer-Presse, von Akademikern und Besserverdienenden bis weit in die sogenannte Mitte der Gesellschaft. Entsprechend verharmlost die Bundesregierung die von rechtspopulistischen Parteien wie »Pro Deutschland« und »Die Freiheit«, der »Bürgerbewegung Pax Europa« sowie Internetseiten wie Politically Incorrect (PI) betriebene Hetze gegen Muslime und den Islam. Muslimfeindliche Einstellungsmuster seien »Ausdruck von Ängsten vor Überfremdung«, heißt es zur Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag nach »Antimuslimischem Rassismus und Rechtsextremismus«. Islamfeindliche Internetseiten seien nicht Gegenstand einer systematischen Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Zwar seien auf dem größten deutschsprachigen muslimfeindlichen Internetportal Politically Incorrect mit bis zu 60.000 Besuchern am Tag auch Beiträge mit rassistischen Inhalten zu finden, doch eine rechtsextremistische Bestrebung lasse sich »derzeit (noch) nicht feststellen«, denn derartige Einträge fänden sich praktisch aus-schließlich in den Leserkommentaren. Tatsächlich können hier die meist unter Pseudonym schreibenden Kommentatoren Muslime ungestraft als »Türkenpack«, »Musels«, »Migrationsmüll«, »Abschaum«, »Parasiten« oder »Schädlinge« diffamieren. Aber der Boden dafür wird in redaktionellen Beiträgen bereitet, wo der Islam pauschal mit Terrorismus und Gewalt gleichgesetzt wird; in Forenbeiträgen können PI-Leser dann ihre Gewaltphantasien ausleben und etwa von Atombomben auf Mekka schwadronieren oder den rassistischen Mord an der Ägypterin Marwa Sherbini in Dresden feiern. Den Haß der Muslimfeinde ziehen sich nicht nur Muslime, sondern auch linke, sozialdemokratische und grüne Politiker sowie Journalisten und Kirchenvertreter zu, die als »Kollaborateure der islamischen Haßideologie« beschimpft werden. »Die Islamisierung Deutschlands war und ist nur dadurch möglich, daß deutsche Politiker, Juristen, Journalisten und andere Berufsgruppen massiv gegen Inhalt und Geist unseres Grundgesetzes verstoßen haben und weiterhin verstoßen«, heißt es etwa auf der in Anlehnung an die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse geschaffenen und von PI umworbenen Website Projekt Nürnberg 2.0. Die Website versteht sich als »Aufbau einer Erfassungsstelle zur Dokumentation der systematischen und rechtswidrigen Islamisierung Deutschlands und der Straftaten linker Faschisten zur Unterdrückung des Volkes«, die hier an den virtuellen Pranger gestellt werden. Wenn öffentlich eine Minderheit aufgrund ihrer Kultur, Religion oder sonstiger echter oder angedichteter Eigenschaften diskriminiert wird, sei das »eindeutig Volksverhetzung«, meint der Historiker Wolfgang Benz. Der langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin sieht dabei »strukturelle Ähnlichkeiten« der These von der Islamisierungsgefahr mit antisemitischen Verschwörungstheorien. Übereinstimmend werde etwa der Vorwurf erhoben, die jeweilige Religion gebiete ihren Gläubigen (Juden oder Muslimen) Aggressivität gegenüber Andersgläubigen. Auch werde Muslimen unterstellt, sie seien nicht integrationsfähig, so wie es Antisemiten den Juden nachsagten. Kulturell-religiöse Vorwürfe würden in beiden Fällen mit angeblich genetischen Zuschreibungen vermischt, so daß Juden oder Muslime als mindere Menschen erschienen. Solche Parallelen mag die Bundesregierung offenbar nicht erkennen. Da sich die überwiegende Mehrheit der Beiträge auf PI keiner »klassischen rechtsextremistischen Argumentationsmuster« bediene und im »islamkritischen Spektrum« anzusiedeln sei, will die Bundesregierung keine Volksverhetzung wahrhaben. PI, aber auch die Partei »Die Freiheit« treten als »proamerikanisch« und »israelfreundlich« auf. Auch behauptet PI, das Grundgesetz zu verteidigen. Die Bundesregierung scheint diese Selbstdarstellung für bare Münze zu nehmen und Volksverhetzung nur dann als solche zu erkennen, wenn sie im Braunhemd daherkommt. Druck aus den Oppositionsparteien und auch durch ausführliche Berichterstattung in liberalen Zeitungen wie der Frankfurter Rundschau hat inzwischen immerhin bewirkt, daß einige Verfassungsschutzämter eine Überwachung der Islamfeindlichkeit als »neuer Form des Extremismus« zumindest in Erwägung ziehen. Allerdings dürfte eine solche Observation ähnlich erfolglos sein wie im Falle der NPD, deren Durchsetzung mit Spitzeln einem Verbotsverfahren im Wege steht. Sollte tatsächlich der Verfassungsschutz irgendwann seine V-Leute in die Anti-Islam-Szene einschleusen, würde das eher zum Hindernis als zur Hilfe für deren Bekämpfung. Um in der Szene angenommen zu werden, müßten sich die Verfassungsschutzagenten nicht groß verstellen. Denn schon jetzt pflegt der Geheimdienst ja mit Vorliebe das Feindbild des »gewaltbereiten Islamisten«, der als umso gefährlicher gilt, je länger und besser er in die deutsche Gesellschaft integriert ist. Zwar finden sich Islamhasser mittlerweile in jedem politischen Lager, und auch so mancher Linke sieht die Hetze gegen den angeblichen »Islamofaschismus« inzwischen als einen politisch korrekten Rassismus an, da ja angeblich Frauen- und Schwulenrechte verteidigt werden und Antisemitismus bekämpft wird. Doch zunehmend ist die Szene von christlichen Eiferern evangelikaler und auch erzkatholischer Ausrichtung durchdrungen, die nicht mehr mit Frauenrechten, sondern mit der Bibel argumentieren. »Der Islam hat 1400 Jahre lang der zivilisierten Menschheit den Krieg erklärt«, meint der offensichtlich stockkatholische PI-Autor Michael Stürzberger, der in den blutigen Kreuzzügen des Mittelalters »lediglich eine Reaktion auf 400 Jahre lange brutale islamische Eroberungskriege« sieht, denen ein christlich-jüdisches Land nach dem anderen zum Opfer gefallen sei. Nun wähnen sich die christlichen Glaubenskämpfer in einem erneuten Kreuzzug zur Rettung des christlichen Abendlandes. Eine Art Kultstatus in der deutschsprachigen Islamhasserszene besitzt der aus Heilbronn stammende Publizist Michael Mannheimer, der mit richtigem Namen Karl-Michael Merkle heißt. Im April 2011 veröffentlichte Mannheimer, der als Gastautor auf PI schreibt und als Referent unter anderem bei der Pro-Bewegung auftritt, einen »Aufruf zum allgemeinen Widerstand« des deutschen Volkes. »Geht auf die Straßen! Greift zu den Waffen, wenn es keine anderen Mittel gibt«, propagiert Mannheimer gegen »Islamversteher« und »Gutmenschen« die »Inkraftsetzung und schonungslose Anwendung des Widerstandsrechts«. Mannheimer ist ein Sprecher der sich als christlich bezeichnenden »Initiative1683« – die Jahreszahl bezieht sich auf die Niederlage des osmanischen Heeres vor Wien. Die »Initiative1683« stützt sich wiederum auf die irren »Weissagungen« des US-Wanderpredigers, Wunderheilers und Alkoholikers Paul McCain, dessen »Prophezeiung« lautete, Satan werde den »Geist des Kommunismus mit dem religiösen Geist des Islam verheiraten«. Hauptschauplatz dieser das »Dritte Reich« bei weitem übertreffenden »Bosheit« werde Europa und speziell Deutschland sein. Dagegen sollten die Christen Deutschlands und Englands zusammen einstehen, »um mit der Kraft Gottes eine Macht zu sein, die diesem bösen Konstrukt keine Gewähr (sic!) läßt, Völker zu vernichten«. Entsprechend warnt der US-amerikanische Vorbeter der Islamhasser, Robert Spencer, Betreiber des Blogs Jihadwatch.org, im Gespräch mit der »Initiative1683«: »Wir haben bereits einen Zusammenschluß von Islam und Kommunismus in Deutschland, aber auch in Europa im Allgemeinen. Die linksgerichtete islamisch-rassistische Allianz ist sehr weit fortgeschritten.« Hier schließt sich der Kreis zum selbsternannten Tempelritter Anders Behring Breivik, der sich in seinem 1500seitigen Manifest unter anderem auf Spencer berief. Auch Breivik ging von einer engen Verbindung zwischen der Linken und dem Islam aus und sah in der sozialdemokratischen Regierungspartei ein Instrument zur Islamisierung Norwegens. 77 Menschen, zumeist Mitglieder der sozialistischen Arbeiterjugend, mußten diesen irren Glauben mit dem Leben bezahlen. Es war das schlimmste Massaker an der europäischen Arbeiterbewegung in Friedenszeiten außerhalb von Kriegen und niedergeschlagenen Revolutionen. Nicht der Islam und der Kommunismus sind eine Allianz eingegangen, sondern der Antikommunismus, der ja bekanntlich schon die Grundtorheit des 20. Jahrhunderts war, speist sich im 21. Jahrhundert zunehmend aus dem Islamhaß.
Erschienen in Ossietzky 21/2011 |
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