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Jahrzehntelang haben die in einem Verband der Hinterbliebenen zusammengeschlossenen Angehörigen nicht nur um materielle Entschädigung gekämpft, sondern vor allem auch um die Entlarvung eines Verbrechens von CIA und NATO, das die italienischen Behörden, wie es im Urteil des Gerichts jetzt (wenn auch verharmlosend) heißt, durch »Unterlassungen« deckten und vertuschten. Was geschah am 27. Juni 1980 über Ustica? Um 20.59 Uhr stürzte eine Passagiermaschine DC 9 Mc Donnell Douglas der italienischen Fluggesellschaft Itavia nördlich der Insel ins Thyrrenische Meer. Alle 81 Insassen kamen ums Leben. Wie später bekannt wurde, befanden sich zu dieser Zeit circa 30 Jäger, Radarflugzeuge, Flugzeugträger und U-Boote der NATO in diesem Gebiet im Einsatz. Aus Medien-Berichten ergab sich dann, daß der libysche Staatschef Gaddafi Ziel des im Rahmen eines NATO-Manövers geführten Angriffs war; seine Maschine, eine Tupolew, flog zur selben Zeit über Ustica, drehte aber überraschend ab. Es sickerte durch, daß pro-arabische Kreise in Rom Kenntnis von dem Anschlagsplan hatten und Gaddafi in letzter Minute warnten. Das Attentat gegen den Libyer hätte in Tripolis einen Putsch auslösen sollen. Der die Rakete abschießende Pilot hatte die DC 9 für die Tupolew gehalten, da sich beide Flugzeuge im Profil ähnelten. Es wurden Berichte lanciert, linke Terroristen hätten eine Bombe zur Explosion gebracht. Dann hieß es, Abnutzungserscheinungen, Materialermüdung und schlechte Wartung der Maschine hätten das Unglück herbeigeführt. Die Itavia wies diese Anschuldigungen zurück. Sie legte Radaraufzeichnungen des römischen Flughafens Fiumicino vor, auf denen ein fliegendes Objekt zu erkennen war, bei dem es sich um ein Jagdflugzeug beim Abfeuern einer Rakete auf die DC 9 gehandelt haben konnte. NATO und CIA erklärten sofort, sämtliche Maschinen seien am Boden, alle Raketen in den Hangars gewesen. Über ein Jahrzehnt wurden diese Lügen aufrechterhalten. So behauptete noch im März 1989 das Pentagon, daß »zur Zeit des Unglücks weder Schiffe noch Flugzeuge der US-Marine oder -Luftwaffe in oder über dem Thyrrenischem Meer anwesend waren«. Ebenso äußerte sich der US-Botschafter in Rom, Richard Gardner. Und Manfred Wörner, von 1982 bis 1988 Bundesminister der Verteidigung und von 1988 bis zu seinem Tode 1994 NATO-Generalsekretär, deckte das Verbrechen ebenfalls und beteuerte laut Spiegel 14/1991 »die Unschuld der NATO-Piloten«. Doch der Standpunkt der Itavia wurde bestätigt, als 1987 endlich das in 3000 Meter Tiefe liegende Wrack der DC 9 gehoben wurde. Im Inneren der Maschine waren keine Spuren von Flammen zu erkennen, damit war eine Bombenexplosion ausgeschlossen. Vielmehr bestätigte sich, daß eine Rakete eingeschlagen war. Der Voicerecorder, der die letzten Meldungen des Piloten aufgezeichnet haben mußte, wurde von der französischen Bergungsgesellschaft angeblich nicht gefunden. Nachdem am 28. August 1988 während einer Flugschau über der US-Luftwaffenbasis Ramstein zwei Maschinen der italienischen Kunstflugstaffel »Frecce tricolori« zusammengestoßen und in die Menge gestürzt waren (70 Tote, 450 zum Teil schwer Verletzte), mußten in Italien die jahrelang verschleppten Ermittlungen endlich ernsthaft betrieben werden. Beide Piloten waren am 27. Juni 1980 als Jagdflieger über Ustica im Einsatz gewesen. Sie hätten nach der Flugschau dazu vernommen werden sollen und waren schon vorgeladen. Es gilt als sicher, daß zumindest einer der Maschinen manipuliert worden war. Bis dahin waren bereits über ein Dutzend Zeugen, allesamt Mitwisser der Umstände des Absturzes, auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen oder, wie in italienischen Medien geäußert wurde, umgebracht worden. Darunter war der Luftwaffengeneral Licio Giorgio, Radarexperte und Mitglied des Flugleitstabes, der sich in der Absturznacht in einer PD 800, einem Spezialflugzeug für elektronische Kriegführung, über Ustica befand. Der Geheimdienstoffizier Alessandro Marcucci, der am Abend des 27. Juni im Einsatzstab Dienst hatte, stürzte vor seiner Vernehmung mit einem Sportflugzeug ab. Der Kommandant der Radarzentrale »Martina Franca«, General Roberto Boemio, wurde in Brüssel von unbekannten Tätern erstochen. Ein ungeheuerliches Verbrechen war die Verschleppung der Such- und Bergungsarbeiten. Obwohl die Absturzstelle genau bekannt war, wurden die Bergungskommandos in ein weit abseits liegendes Gebiet geschickt. Die »Rettungsversuche« begannen erst zehn Stunden nach dem Absturz. Es sollte keine Überlebenden geben, die aussagen konnten, daß die Maschine von einer Rakete getroffen worden war. Das Mailänder Nachrichtenmagazin Panorama berichtete 1989, die DC 9 sei von dem Piloten aufs Wasser aufgesetzt worden und habe sich noch einige Stunden über Wasser gehalten. Sie sei erst gesunken, nachdem im Morgengrauen Froschmänner eines britischen U-Bootes ein Loch in den Rumpf gesprengt hatten. Panorama zitierte einen Zeugen aus Militärkreisen, der aussagte, bis zu dieser Sprengung habe es noch Überlebende gegeben. Den Durchbruch in den Ermittlungen erzielte – nachdem zuvor vier Untersuchungsrichter das Handtuch geworfen hatten – der in Terrorfragen erfahrene Staatsanwalt Rosario Priore. Er stellte Tonbänder der Radarzentrale sicher, die dem Chef der CIA-Residentur in Rom, Duane Clarridge, ausgehändigt worden waren. Der US-Botschafter in Rom hatte bereits einen Tag nach dem Abschuß der DC 9 einen »Sonderstab Ustica« gebildet, der alle verfügbaren Beweise sicherstellte und unter Verschluß nahm. Ex-Verteidigungsminister Lagorio sagte aus, alle Fäden seien bei den Geheimdiensten zusammengelaufen, welche die Ermittlungen in falsche Richtungen gelenkt hätten. Der General räumte ein, daß auch Zeugen »beseitigt« worden seien. Staatsanwalt Priore bestätigte in seiner Anklage die in der Öffentlichkeit seit langem bekannten Enthüllungen, daß die DC 9 von einem NATO-Jäger abgeschossen wurde. Daß der Todesschütze ein US-Pilot war, konnte er nicht nachweisen. Er verdeutlichte jedoch, daß es aller Wahrscheinlichkeit nach ein Amerikaner war. Priore erhob schließlich Anklage gegen neun italienische Generäle und Offiziere wegen Hochverrats, Irreführung der Behörden, Beweisunterdrückung und Zeugenbeeinflussung. Eine Anklage wegen Mittäterschaft bei der Ermordung oder auch nur beim Totschlag der 81 Opfer wurde nicht zugelassen, auch nicht wegen Zeugenbeseitigung. Und selbstverständlich wurden auch die Drahtzieher des Verbrechens – die Verantwortlichen aus CIA und anderen westlichen Geheimdiensten einschließlich des deutschen Militärischen Abschirmdienstes (MAD) – nicht angeklagt. Die Urteile fielen mild aus. Die Verurteilten kamen bald wieder auf freien Fuß, ihre Karrieren litten darunter nicht. Der verurteilte General Lamberto Bartolucci stieg später sogar zum Generalstabschef des Verteidigungsministers auf.
Erschienen in Ossietzky 20/2011 |
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