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DDR-TräumereiEndlich! – jubelt Julia Jüttner, Berichterstatterin bei spiegel-online, über Joseph Ratzinger in Thüringen, über die Massen von Katholiken, die dort zum Festgottesdienst pilgerten: »Ein Traum wird wahr, der zu DDR-Zeiten unerfüllbar schien.« Die Autorin ist Jahrgang 1974, wie soll sie da wahrgenommen haben, daß 1981 rund 70.000 DDR-Katholiken sich als Pilger in Erfurt trafen, 1987 beim ostdeutschen Katholikentag in Dresden gar über 100.000, und daß Joseph Ratzinger das Terrain, in dem er nun gefeiert wurde, von kirchenamtlichen Besuchen zu Zeiten der DDR schon kannte. Auch wäre erwähnenswert gewesen, daß seit der Visite Erich Honeckers bei Papst Johannes Paul II. ein Papstbesuch im ostdeutschen Staat vorbereitet wurde; er fand dann nicht statt, weil dieser Staat verschwand. Darüber hätte die Spiegel-Journalistin im hauseigenen Archiv nachlesen können, wozu ihr wohl die Muße fehlte, was sich aber als geschichtspolitischer Vorteil erweist: Die DDR, wissen nun die LeserInnen von spiegel-online, hat ihre Katholiken zum Träumen gezwungen. Clara Tölle Wochenlang füllte das Papst-Bild nicht allein Bild, sondern auch die von Essen an der Ruhr (40 Prozent Katholiken) aus geführten thüringischen Regionalzeitungen. Noch im äußersten Winkel des Landes wurde jeder Pilger wie auch die Arbeit der Helfer, die nach Erfurt (Sicherung!) eilten, gewürdigt. Zwar regten sich Leserbriefschreiber über Kosten auf, doch Zentralkommentatoren auf allen Thüringer Titelseiten (in Essen wohnhaft) erklärten geduldig, daß nun endlich der Name Thüringens in die Welt komme und nur unverschämte Abgeordnete der Papst-Rede fern blieben. Man solle denen Sitzungsgelder streichen! Erst jetzt aber erfuhren wir: Der Papst ruhte in Thüringen in Gottes Schoß. Rund um jene Erfurter Straße, in der er übernachtete, waren Telefonieren, Rauchen und lautes Reden streng verboten. Nach dem Papst-Abflug aber können wir laut rufen: Habemus Papam! Oder auf Thüringisch: Dor Babsd woar da! Er hat das Stammland besucht und ruht jetzt, medial, im Abklingbecken. Benedikt, der Sechzehnte seines Namens, hat nicht katholische Stammlande in Deutschland gewählt, sondern das Stammland der Reformation – neben Sachsen und Sachsen-Anhalt. In den drei Ländern regierten seit 1990 meist katholische Ministerpräsidenten und katholische Kultusminister. Thüringen hat sich erst jüngst aus römischer Umklammerung gelöst: Auf beiden (!) Posten sitzen Protestanten, bei den Ministerialen aller mitteldeutschen Länder geht der Christen-Anteil gegen 90 Prozent. Das vertretene Volk der Thüringer hingegen ist heidnisch. Zu zwei Dritteln. Daneben gibt es 25 Prozent evangelische Christen und ganze acht Prozent Katholiken. Die wohnen alle dort, wo Gott ein feste Burg ist: im Eichsfeld. Daß man in Worbis und Heiligenstadt (!) seit jeher treu zum Papst steht, ist geschichtlich nicht ganz richtig. Lokalhistoriker wissen über die Jahre nach 1525 im Eichsfeld: »Viele Bewohner wandten sich dem Protestantismus zu. 1575 begannen die Jesuiten mit der Gegenreformation. Im Verlauf von 50 Jahren wurde das Eichsfeld bis auf wenige Dörfer zum katholischen Glauben zurückgezwungen.« Gezwungen? Falsches Wort, liebe Historiker. Gezwungen darf allein auf die DDR und ein bißchen auf jene ungern erinnerte Zeit von 33 bis 45 angewandt werden, oder wie der Papst in seiner Eichsfeld-Predigt meinte: daß in »zwei gottlosen Diktaturen« den Menschen ihr »angestammter Glaube« genommen werden sollte. Historiker behaupten über Thüringen auch dies: »Die evangelische Kirche hatte (…) nie den gesellschaftlichen Einfluß, wie ihn die katholische Kirche in ihren Gebieten hatte. So galten die meisten thüringischen Staaten bereits im 18. Jahrhundert als liberal und aufgeklärt.« Soll das heißen, die katholische Kirche sei unaufgeklärt, nicht liberal? Daß sie irgendwelchen Einfluß auf den Staat nahm, nimmt oder nehmen wird? Nie und nimmer. Beweis? Nach 1990 stellten westdeutsch-staatliche (oder kirchliche?) Stellen ganz selbstlos für alle ostdeutschen Gemeinden Schilder zur Verfügung. Auf denen prangt seither am Ortseingang, wann und wo die »Hl. Messe« am Sonntag stattfindet. Darunter steht – kleiner – etwas vom »evangelischen Gottesdienst«. Seit jener Zeit spricht man auch in allen verbindlichen Reiseführern von »Kirchen« und »Dom« – in den ostdeutschen Kommunen heißen diese »evangelische Kirchen« oder »evangelischer Dom«. Übrigens: Für Atheisten gibt es keine Ortseingangsschilder. Nicht mal dort, wo über die Hälfte aller Jugendlichen zur Jugendweihe geht. Schließen wir dennoch versöhnlich per Zitat aus den Lokalmedien: »Eine Institution wie die katholische Kirche, der das Abendland einen großen, den größten Teil seiner Kultur verdankt, die hat auf jede Herausforderung der Zeit noch immer eine Antwort gefunden.« So ist es. Wir müssen nur an die große Kultur gewaltsamer Missionierung denken, an Kreuzzüge, Inquisition, Kindesmißbrauch und die gnadenreiche Durchsetzung der alleinseligmachenden Wahrheit wie einst bei Giordano Bruno, Galileo Galilei, Jan Hus und auch bei jenem abtrünnigen Mönch, der vom »papistischen Teufelszeug« predigte. Im Eichsfeld, in Thüringen und allen angrenzenden Landen.
Erschienen in Ossietzky 20/2011 |
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