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Auf 550 Quadratmetern wird die Geschichte Ostdeutschlands und der DDR von 1945 bis 1989 wie in einem Gemischtwarenladen präsentiert: Infotafeln, Ton- und Filmaufnahmen, Schranktüren made in DDR, Schubladen aller Art, Koffer unbekannter Provenienz, Uniformen, ein Grenzpfahl, Stempel, Bücher, Fotos, Pässe, Visa, einschließlich Dauervisum für einen Spion des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Glanzpunkte der Schau sind eine enge Kabine, in der DDR-Grenzposten kontrollierten, sowie ein zwei mal zwei Meter großes Modell der gesamten Grenzabfertigungsanlage. Die Tränenpalastschau ist so bedeutsam, daß die Kanzlerin es sich nicht nehmen ließ, höchstselbst an der Eröffnung teilzunehmen und in ihrer bekannt schlichten Art auch den Namen des 1962 errichteten Gebäudes zu erläutern: »Die Menschen, die aus der DDR ausreisten Richtung Westen, ob Westberlin oder Westdeutschland war egal, mußten alle durch diesen Tränenpalast. Seinen Namen hat er daher, daß viele Verwandte hier verabschiedet wurden.« Dabei vergaß sie auch nicht, von ihren eigenen leidvollen Erfahrungen zu berichten: »Ich persönlich war hier sehr oft mit meinen Eltern, und wir haben meine Großmutter Jahr für Jahr verabschiedet, die dann auch immer älter wurde und man Angst hatte, siehst du sie wieder und gibt es überhaupt ein Wiedersehen im nächsten Jahr. Und das war schon sehr, sehr traurig.« Wer wohl könnte so herzlos sein, nicht nachzuempfinden, wie traurig es für die kleine Angela war, daß ihre Oma immer älter wurde? Freilich bleibt die Frage, ob es nicht der normale Lauf des Lebens ist, daß Großmütter wie alle Erdenbürger »von Jahr zu Jahr« älter werden. In der Ausstellung wird darauf nicht eingegangen. Zudem wirft die Exposition selbst eine Reihe von Fragen auf, die offen bleiben. Die Eröffnungsredner und die Medienberichterstatter waren sich darin einig, daß der »Tränenpalast« ein »Symbol der deutschen Teilung und der Willkür der DDR« ist. Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, faßte es in die einprägsamen Worte: »Der Tränenpalast erinnert wie kaum ein anderer historischer Ort an die Teilung Deutschlands und die damit verbundenen Schicksale.« Und der Korrespondent des Berliner Kurier stellte wie die meisten seiner Kollegen fest: »Für viele Berliner ist der einstige DDR-Grenzübergang am Bahnhof Friedrichstraße nach der Mauer noch immer das schmerzlichste Symbol für die Teilung der Stadt und Deutschlands.« Aber auf die naheliegende Frage, wer die »Teilung«, die Spaltung Deutschlands tatsächlich herbeigeführt hat, gingen die Berichterstatter nicht ein, und in der Ausstellung selbst ist dazu kein Wort zu finden. Dabei wäre es nicht einmal nötig gewesen, dem Besucher auf Infotafeln tiefschürfende historische Analysen anzubieten. Es hätte schon genügt, rein sachlich den chronologischen Ablauf der »Teilung« darzustellen und auf einer der vielen Infotafeln in aller Kürze anzuführen, wer bei der Spaltung Deutschlands wieder und wieder die ersten Pfähle einschlug: 1947 und 1948 wurden die westlichen Besatzungszonen zur Bi- und später zur Tri-Zone zusammengeschlossen. Am 20. Juni 1948 wurde die einheitliche Währung aufgespalten und in Westdeutschland und in Westberlin statt der bis dahin gültigen Reichsmark eine separate Währung eingeführt, die die bestehenden Wirtschaftsbeziehungen sprengte. Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland erfolgte am 7. September 1949, die der DDR am 7. Oktober des selben Jahres. Am 9. Mai 1955 trat die BRD der NATO bei, fünf Tage danach, am 14. Mai, wurde die DDR Gründungsmitglied des Warschauer Vertrages. So wurde die innerdeutsche Trennungslinie zur Grenze zwischen zwei souveränen Staaten und zur Hauptkonfrontationslinie zwischen zwei hochgerüsteten Militärblöcken. Allein diese wenigen Fakten hätten genügt, um den »Tränenpalast« historisch korrekt einzuordnen und zu entdämonisieren. Aber wozu? Schließlich sind an diesem Grenzübergang von 1962 bis 1990, wie das Haus der Geschichte zu berichten weiß – und wer würde daran zweifeln wollen? –, mehr als 200 Menschen gestorben, da sie die psychischen und körperlichen Belastungen bei den Kontrollen nicht verkrafteten. Wurden sie doch, wie jetzt mitgeteilt wird, allein schon im Eingangsbereich von 140 Kameras überwacht. Woher hatte Erich Mielke nur die vielen Observationsgeräte? Hat Schalck-Golodkowski sie etwa im Westen besorgt? Und wo waren sie auf kleinstem Raum sämtlich angebracht? Fragen über Fragen, darunter auch die: Ist die neue Dauerausstellung denn tatsächlich vonnöten, um ein weiteres Mal nachzuweisen, daß die Politik der DDR »verbrecherisch« war, wie Bundespräsident Christian Wulff in seiner diesjährigen Rede zum 13. August zu formulieren beliebte? Gibt es dazu nicht schon genügend Museen und Kuriositätensammlungen? Die von Pfarrer Eppelmann geleitete »Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur« hat eine Übersicht über rund 600 »Gedenkstätten und Museen zur kommunistischen Diktatur in der SBZ und in der DDR« erarbeitet. Ein hilfreicher, wenn auch immer noch unvollständiger Wegweiser für die so dringend benötigte Auseinandersetzung mit der »2. Diktatur in Deutschland«. Aber wieviel Gedenkstätten zur Aufarbeitung der »1. Diktatur«, des faschistischen Großdeutschen Reiches, gibt es eigentlich in der Bundesrepublik, wieviel Geld wird dafür bereitgestellt? Sind die Diktaturexperten Hubertus Knabe, Direktor der MfS-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen, und Roland Jahn, Beauftragter der MfS-Unterlagenbehörde, in deren Einrichtungen Jahr für Jahr Millionen und Abermillionen Euro Steuergelder versenkt werden, dazu auskunftsfähig? Wohl kaum. Aber den beiden Unrechtsexperten, die die neue Dauerausstellung mit ihrer Anwesenheit beehrten, wird gewiß nicht entgangen sein, wie grausam der Eigentümer des Gebäudes, in dem die Ausstellung veranstaltet wird, der Unternehmer Harm Müller-Spreer, übers Ohr gehauen wird. 915.000 Euro mußte er hinblättern, um die Immobilie 2006 vom Berliner Senat zu kaufen. Jetzt, nach einer Sanierung, vermietet er sie 20 Jahre lang für schlappe 239.400 Euro jährliche Kaltmiete an den Veranstalter der neuesten Aufklärungsschau, das Bonner Haus der Geschichte. Die Aufarbeitung eines Unrechtsstaates ist eben nicht umsonst zu haben, aber trotzdem kann es schon zu Tränen rühren, wie schäbig mit dem Besitzer einer ehrlich erworbenen Immobilie im Herzen der Bundeshauptstadt umgegangen wird. Was für eine miese Jahresrendite von nicht einmal 25 Prozent! Ein Grund mehr, das lichte Gebäude am Bahnhof Friedrichstraße »Tränenpalast« zu nennen.
Erschienen in Ossietzky 20/2011 |
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