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Danach würden Bund, Länder und Gemeinden 2011 rund 51 Milliarden Euro mehr an Steuern einnehmen, wenn noch die Steuergesetze von 1998 gälten. »Rein rechnerisch hätte die Bundesrepublik damit aktuell kein Budgetdefizit, sondern einen Überschuß – wenn der Staat nicht in der vergangenen Dekade auf hohe Einnahmen verzichtet hätte«, so IMK-Steuerexperte Achim Truger. Vor allem die rot-grüne Einkommensteuerreform mit deutlicher Senkung der Spitzensteuersätze habe durchgeschlagen. – Knapp eine Million erwerbsfähige Menschen in Baden-Württemberg können nicht richtig lesen und schreiben, meldet die Heilbronner Stimme. Ihre Schrift- und Lesekompetenz sei dermaßen eingeschränkt, daß ihnen eine aktive Teilhabe an der Gesellschaft nicht möglich sei, zitiert die Zeitung Martina Haas, Fachreferentin für Sprachen beim Volkshochschulverband Baden-Württemberg. 9. September: Der Abstand zwischen der Durchschnittsrente für langjährig Versicherte und der staatlichen Grundsicherung im Alter ist seit 1995 deutlich geschrumpft. Das meldet das Darmstädter Echo nach der Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. Die Rentenbezüge der Versicherten mit mindestens 35 Beitragsjahren hätten 1995 im Schnitt noch 94 Prozent über der damaligen durchschnittlichen Sozialhilfe für Rentner gelegen. Bis 2009 sei der Abstand auf 61 Prozent geschrumpft. – Die Arbeitnehmerkammer Bremen hat errechnet, daß ein alleinstehender, vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer derzeit mindestens 9,28 Euro pro Stunde verdienen müßte, um nach 45 Beitragsjahren auf eine Rente oberhalb der steuerfinanzierten Grundsicherung zu kommen. 10. September: Der diplomierte Biologe M. (29) wird vom zuständigen Job-Center an eine Zeitarbeitsfirma zum Schichtdienst auf dem Münchner Flughafen vermittelt. Er soll dort Flugzeuge beladen. Um seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II nicht zu verlieren, bewirbt er sich, aber so, daß er nicht genommen wird. Die Online-Zeitung Zeitjung.de berichtet über seinen Fall und über den des Politologen J. (27). Auch er hat sich nach dem Studium beim Job-Center gemeldet und auf Hilfe bei der Stellensuche gehofft. Das Ergebnis: »Bis jetzt, nach über einem Jahr, habe ich noch immer keinen Jobvorschlag von meinem Vermittler erhalten.« Unterdessen wird weiter über den angeblichen Fachkräftemangel geredet und geschrieben. – Die Zahl der Sanktionen gegen Arbeitslose wegen nicht eingehaltener Auflagen dürfte 2011 einen neuen Rekordstand von rund 900.000 erreichen, schätzt Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), in der Wirtschaftswoche. Bereits in den ersten drei Monaten 2011 hätten die Arbeitsagenturen 218.000 Sanktionen verhängt, 30.000 mehr als im Vorjahresquartal. »Überproportional viele Sanktionen verfügen die Arbeitsagenturen in Großstädten, bei jungen Arbeitslosen und bei erwerbslosen Migranten«, sagte Weise. Dies liege allerdings nicht daran, daß die Zahl der Verstöße stark zunehme, sondern »an der gestiegenen Routine der Jobcenter«. 11. September: Das Renteneintrittsalter steigt schrittweise von 65 auf 67 Jahre. Weil angeblich das Geld knapp wird, läßt Finanzminister Wolfgang Schäuble laut Focus eine weitere Anhebung durchrechnen. Um die Staatsfinanzen zu sichern, erwäge die Bundesregierung in einem »Tragfähigkeitsbericht«, das Renteneintrittsalter auf 69 Jahre zu erhöhen. Das sei nötig, weil sich »die Risiken für die dauerhafte Solidität der Staatsfinanzen zuletzt spürbar erhöht« hätten, so Schäuble. Die Westdeutsche Zeitung ist sich sicher: »Die Rente mit 69 wird kommen. Und 69 ist noch nicht das Ende der Fahnenstange.« 12. September: Seit dem 1. Januar 2011 führen die »Hartz IV«-Träger für die Betroffenen keine Rentenbeiträge mehr ab. »Hartz IV«-Zeiten gelten nur noch als sogenannte Anrechnungszeiten. Das weiß auch der 30-jährige Horst S. aus Quedlinburg. Zwar sei seine Zeit als Rentner noch in weiter Ferne, schreibt die Mitteldeutsche Zeitung, aber Gedanken mache er sich trotzdem. S. lebt seit geraumer Zeit von »Hartz IV«; seit eineinhalb Jahren ist er ehrenamtlich im Hilfecenter Hartz IV e.V. als Berater tätig. Und sucht einen Job. »Ich möchte von meiner Arbeit meinen Lebensunterhalt finanzieren können und ohne Angst an die Zukunft denken«, zitiert die Zeitung den Vater von zwei Kindern. Im Moment sei das aber nicht nur weit weg. »Es ist ein Traum.« 15. September: Das Geldvermögen der Deutschen ist 2010 abermals gestiegen und erreicht mit gut 60.000 Euro je Einwohner einen neuen Rekordwert, zitiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) den aktuellen Global Wealth Report der Allianz-Versicherung. Damit liege Deutschland auf Rang 17 der 50 wirtschaftlich bedeutendsten Länder. »Die Vermögen in Ländern mit sehr hoher Staatsverschuldung sind beträchtlich«, zitiert die FAZ Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz. »Diese Staaten wären damit durchaus in der Lage, Mittel für ihre Staatshaushalte aufzutreiben.« – Rebekka W., Mutter von zwei Kindern, ist geschieden und bezieht »Hartz IV«. Das Jobcenter Oberhausen verweigert ihr die Übernahme der Krankenversicherungskosten, schreibt Westen online, die Internetausgabe der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ). Die Privatversicherung buchte die fälligen Zahlungen ab, die Bank orderte den Betrag mangels Deckung zurück. Nun hat die 32-Jährige Angst, daß sie aus dem Versicherungsschutz fällt und vor einem Schuldenberg steht. Vor ihrer Scheidung war die Oberhausenerin über ihren Mann krankenversichert. »Der ist Beamter, deshalb lief das bei uns teils über die Beihilfe, teils über die Privatversicherung«, erklärt sie. Das Jobcenter habe ihr die Übernahme der Privatkassen-Beiträge bisher mit der Begründung verweigert, sie solle sich gesetzlich versichern lassen, erzählt sie weiter. Aber das habe sie schon versucht, keine Kasse wolle sie aufnehmen. Eine Sprecherin der Innungskrankenkasse. Nordrhein bestätigt: »Es hat zum Januar 2009 eine Neuordnung gegeben, nach der Privatversicherte, die Arbeitslosengeld II beziehen, nicht mehr automatisch gesetzlich versichert werden müssen.« Statt dessen seien die Privatkassen verpflichtet, einen reduzierten Basistarif anzubieten, der den Leistungen und Tarifen der gesetzlichen Kassen entspricht. Das Jobcenter zahlt Rebekka W. mittlerweile 173 Euro Krankenkassenbeitrag monatlich. Für den vollen Betrag von 191 Euro, ließ es wissen, fehlten noch Papiere. – Fast 1,5 Millionen erwerbsfähige Menschen sind seit Einführung der staatlichen Grundsicherung im Jahr 2005 dauerhaft auf Arbeitslosengeld II (»Hartz IV«) angewiesen, schreibt die Süddeutsche. »Hartz IV«-Empfängern Jobs zu vermitteln, dürfte in Zukunft aber eher schwieriger werden, meldet die Zeitung und beruft sich auf eine ihr vorliegende neue Untersuchung der Bundesagentur für Arbeit. Zwar seien die Arbeitslosenzahlen – teils mit Hilfe statistischer Tricks – gesunken sowie die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit verkürzt worden. Aber ein weiterer Abbau der Arbeitslosigkeit falle immer schwerer, je weniger Arbeitslose verblieben seien. 16. September: Vier Wochen Polnisch-Sprachkurs, drei Monate Praktikum in einem polnischen Betrieb, danach ein weiteres Praktikum in einem deutschen Betrieb. So sollen junge Arbeitslose aus Brandenburg wieder einen Job finden können, und zwar in Polen. Dies meldet der Deutschlandfunk. Bezahlt wird das Projekt vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und vom Europäischen Sozialfonds. Der Titel des Programms »Integration durch Austausch« (IdA) scheint aufzugehen, so der Sender. 15 Prozent der Teilnehmer bekämen ein Angebot von ihren Praktikumsbetrieben, einige blieben in Polen. 65 Prozent der Absolventen konnten nach Angaben des Senders bisher auf einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz vermittelt werden. 19. September: Viele Vermieter verdienen sich an Mietern, die von »Hartz IV« leben und Wohngeld bekommen, eine goldene Nase, berichtet Die Zeit. »Bei rund vier Millionen Haushalten bundesweit, denen die Wohnungskosten erstattet werden, dürften die Behörden allein durch Mieterhöhungen mindestens 14 Millionen Euro pro Monat zu viel bezahlen«, zitiert das Blatt den Mieterbund. Auf das Jahr gerechnet wären das 168 Millionen Euro. Betroffene sind aber vor allem die Mieter. Wie Erika W., die am Rand von Berlin mit ihrem Mann in einer Anderthalb-Zimmer-Wohnung lebt. Fensterlose Küche, winziges Bad, defekte Türklingel, Tapete, die von der Wand blättert. Genau 444 Euro kostete die Wohnung bei Einzug – der Satz, den die Behörde in Berlin an Unterkunftskosten für einen Zweipersonenhaushalt zahlt. Inzwischen hat der Vermieter die Miete um 26 Euro erhöht, ohne etwas an der Wohnung oder dem Haus verbessert zu haben, sagt Erika W.. Die Differenz muß sie selber bezahlen und hat sich deswegen verschuldet. Die Hälfte der Nebenkostenabrechnungen und der Mieterhöhungen ist laut Mieterbund fehlerhaft, schreibt Die Zeit.
Erschienen in Ossietzky 20/2011 |
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