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Im Dezember 1932 in München, der »Hauptstadt der NS-Bewegung«, als Sohn einer jüdischen Mutter und eines christlichen Vaters geboren, erlebte er als Fünfjähriger die Zerstörung der Münchner Hauptsynagoge und die Vertreibung aus der elterlichen Wohnung. Im Jüdischen Kinderheim an der Antonienstraße fanden er und seine Geschwister Werner und Ruth liebevolle Betreuung. Aber wie sollten die Kinder es verkraften, daß die Familie auseinandergerissen war, daß sie nicht mehr zur Schule gehen durften, daß sie auf der Straße als »Saujuden« beschimpft und bespuckt wurden, daß immer wieder Freunde und Spielkameraden plötzlich verschwanden – deportiert ins Ungewisse, aus dem sie nicht mehr zurückkehren sollten? Im April 1942 wurde das Kinderheim aufgelöst, Kinder und Betreuerinnen auf verschiedene Sammel- und Deportationslager verteilt. Nach mehreren Aufenthalten in derartigen Lagern gelangt Ernst Grube noch im Februar 1945 zusammen mit Mutter und Geschwistern in das KZ Theresienstadt im besetzten Böhmen. Im April werden sie dort von der Roten Armee befreit. Ernst ist jetzt zwölf Jahre alt. Was er erlebt hat, wird er nie vergessen. Aber: »Erinnerung allein tut’s nicht.« Nach diesem Motto engagiert sich der mittlerweile 78-Jährige bis heute unermüdlich, um mitzuhelfen, daß »so etwas« nie wieder geschehen kann: als Zeitzeuge in Schulen und Kirchen, bei Bildungsveranstaltungen und auf Kundgebungen gegen Neonazi-Aufmärsche, als Mitglied des »Fördervereins für Internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit in Dachau«, als stellvertretender Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau e.V. und, nicht zuletzt, im Landesvorstand der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). Die Stadt München hat Grube mit der Medaille »München leuchtet« geehrt. Der Freistaat Bayern aber warnt Lehrer und Schüler vor dem Zeitzeugen. Am 23. August ließ Innenminister Herrmann ein Internetportal mit dem Titel »Bayern gegen Linksextremismus« freischalten. Konzipiert wurde es in Herrmanns Auftrag von der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (deren Chef an demselben 23. August wegen Mißwirtschaft seinen Hut nehmen mußte) und dem Landesamt für Verfassungsschutz (das sich seit einiger Zeit für politische Bildungsarbeit in Bayern zuständig fühlt). In dem Portal wird die VVN-BdA als »bundesweit größte linksextremistisch beeinflußte« Organisation dargestellt und Ernst Grube als Vermittler dieses Einflusses genannt. Grube ist DKP-Mitglied, also für Herrmann ein böser »Linksextremist«. Sein antifaschistisches Engagement ist nach der Darstellung im Portal nur Fassade, nur ein hinterhältiger Trick. Herrmanns Beauftragte für politische Bildung in Bayern: »Das Aktionsfeld Anti-Faschismus ist traditionell ein Schwerpunkt linksextremistischer Aktivitäten. Den breiten gesellschaftlichen Konsens gegen den Rechtsextremismus nutzen die Linksextremisten, um von Demokraten als Partner akzeptiert zu werden und ihre politischen Ziele zu verfolgen.« Ziele, wie sie der Phantasie von Herrmann und Co. entspringen: »Diese Ziele reichen weit über die Ablehnung von Rassismus und Rechtsextremismus hinaus: Linksextremistischer Anti-Faschismus steht für eine Haltung grundsätzlicher Ablehnung von Kapitalismus, Parlamentarismus und Rechtsstaat. Demokratischen Staaten wie der Bundesrepublik Deutschland wird unterstellt, daß sie sich unausweichlich in Richtung eines neuen Faschismus entwickeln werden.« Die VVN-BdA vertritt keine derartigen Ziele und hat sie nie vertreten. Sie ist überparteilich und überkonfessionell. In ihr haben Menschen mit ganz verschiedenen politischen, religiösen und weltanschaulichen Auffassungen ihren Platz, darunter selbstverständlich auch Sozialisten und Kommunisten. Wie könnte das in einer Vereinigung von NS-Verfolgten anders sein? Für die VVN maßgeblich blieben auch nach ihrer Öffnung für nicht selbst verfolgte Antifaschisten nach wie vor die gemeinsamen Ziele, die in der Satzung festgelegt sind. Dort heißt es: »Die Vereinigung entfaltet ihre Tätigkeit auf dem Boden des Grundgesetzes. Sie tritt ein für die Verwirklichung der antifaschistisch-demokratischen Grundbestimmungen des Grundgesetzes und der Länderverfassungen. Sie stellt sich jedem Versuch entgegen, diese Bestimmungen auszuhöhlen.« Das Internetportal »Bayern gegen Linksextremismus« hat ein Pendant mit dem Titel »Bayern gegen Rechtsextremismus«. Dahinter steht das politische Konzept der sogenannten Extremismustheorie, die sich auf angebliche Erfahrungen vom Ende der Weimarer Republik beruft. Das Deutsche Historische Museum in Berlin beispielsweise vermittelt folgende Sicht: »Die demokratischen Stimmen der Vernunft gingen 1932/33 im Getöse der ›Rot-Front‹- und ›Sieg-Heil‹-Rufe unter. … Den ›Heilsversprechungen‹ der extremen Parteien von einem ›Dritten Reich‹ und einem ›Sowjet-Deutschland‹ konnte die demokratische Mitte nichts mehr entgegensetzen. … Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler war das Ende der Weimarer Republik am 30. Januar 1933 besiegelt.« Als wäre Hitler von unten, von der »Straße«, von den »extremen Rändern« an die Macht gebracht worden. Als wäre die »Mitte« dem wehrlos ausgeliefert gewesen. Und als hätte »oben« gar keine Rolle gespielt. Die historischen Fakten sprechen eine andere Sprache. Es war nicht etwa die revolutionäre deutsche Arbeiterbewegung, die in den Jahren zuvor den Parlamentarismus immer mehr außer Kraft gesetzt, mittels »Notverordnungen« den Reichtum der Reichen gesichert und den Volksmassen ihre Not verordnet hatte. Nicht etwa »die da unten«, sondern Großunternehmer wie Thyssen und Krupp hatten den Aufstieg der NSDAP finanziert. Demgegenüber hatten nicht die bürgerlichen Parteien, sondern die KPD gewarnt: »Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler. Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!« Und es war nicht der Kommunistenführer Thälmann gewesen, sondern der Kandidat der »demokratischen Mitte«, Reichsfeldmarschall Paul von Hindenburg, der Hitler zum Reichskanzler ernannte. Für die Obrigkeit hat die Extremismus-Doktrin den Vorteil, daß sich damit undemokratische Maßnahmen als notwendig für den Erhalt der Demokratie verkaufen lassen (»wehrhafte Demokratie«). Sie hat auch den Vorteil, daß man jede Kritik als unzulässig abwimmeln kann, indem man die Kritiker als »Extremisten« abstempelt. So zum Beispiel die Kritik an Behörden und Gerichten, wenn sie neofaschistische Hetze dulden und den Artikel 119 der bayerischen Verfassung nicht umsetzen: »Rassen- und Völkerhaß zu entfachen ist verboten und strafbar.« Solche Kritik ist, wie die bayerischen Behörden im Internet verkünden, Ausdruck eines »linksextremistisch geprägten Anti-Faschismus-Verständnisses: »Die VVN-BdA-Kreisvereinigung München verdeutlicht in einer auf ihrer Internetseite veröffentlichten Stellungnahme, daß sie die Allgemeingültigkeit von Rechts- und Verfassungsgrundsätzen in Frage stellt; Grundrechte wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sollen für Rechtsextremisten nicht gelten. So spricht der Text des Internetbeitrags von einem ›angebliche(n) Recht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit‹. Politik und Gerichten wird damit gleichsam vorgeworfen, Unrecht zur Durchsetzung zu verhelfen. Daran wird das linksextremistisch geprägte Anti-Faschismus-Verständnis der VVN-BdA München deutlich.« Wohin man mit der Extremismusdoktrin gerät, zeigt ein Aufsatz der baden-württembergischen Verfassungsschützerin Bettina Blank über die VVN-BdA im Zentralorgan der Extremismusforscher »Jahrbuch Extremismus und Demokratie« (Nr. 22/2010). Schamlos erklärt Blank den Schwur, den die Überlebenden des KZ Buchenwald im Gedenken an ihre zu Tausenden ermordeten Kameraden ablegten, zum kommunistischen Propagandamanöver mit Instrumentalisierung ahnungsloser »Beteiligter«. Blank: »Das ›Erbe des antifaschistischen Widerstandes‹ konkretisiert sich für die VVN-BdA im ›Schwur von Buchenwald‹, auf den sie sich ebenfalls in ihrer Satzung, aber auch bei vielen anderen Gelegenheiten unter der Losung ›Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg‹ immer wieder beruft. Für die damals Beteiligten nicht unbedingt erkennbar, war der am 19. April 1945 auf dem Appellplatz des Konzentrationslagers Buchenwald abgelegte Schwur eine Inszenierung des kommunistisch dominierten ›Internationalen Lagerkomitees‹. Die VVN-BdA stellt sich damit in die Tradition des kommunistischen Widerstandes.« Die Passagen über die VVN-BdA im Extremismus-Portal des bayerischen Innenministeriums sind dem Bayerischen Verfassungsschutzbericht 2010 entnommen. Aufgrund dieser Nennung wurde dem Landesverband vom Finanzamt die Anerkennung als gemeinnütziger Verein entzogen. Gleichzeitig bedroht das Bundesfamilienministerium alle potenziellen Kooperationspartner der VVN-BdA mit dem Entzug von Mitteln aus den Förderprogrammen gegen Rechtsextremismus (Erlaß der Ministerin Kristina Schröder). Die VVN-BdA soll ausgegrenzt und isoliert werden. Der Landesverband Bayern der VVN-BdA hat gegen die Nennung im Verfassungsschutzbericht Klage eingereicht. Wie immer aber die Gerichte entscheiden werden, für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten bleibt der Schwur von Buchenwald Leitmotiv und Verpflichtung: »Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.«
Erschienen in Ossietzky 19/2011 |
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