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Die Inhaber der staatlichen Gewalt in Ägypten müßten »härter durchgreifen«, fordern nun die angeblichen Freunde Israels (und der USA), notfalls solle man der ägyptischen Regierung mit Subventionsentzug drohen. »Rebellen« sind ideale Gehilfen, wenn sie den politischen Botschaften der Regierenden in den USA und in Israel Beifall geben; tun sie’s nicht, machen sie sich schuldig. Springer-Redakteure sind vertraglich auf »Solidarität mit Israel« (und den USA) verpflichtet, sie sollen »für die Lebensrechte des israelischen Volkes« eintreten. Was aber, wenn es die (von US-amerikanischen geopolitischen Interessen angeleitete) »Politik der Stärke« israelischer Regierungen selbst ist, die seit langem Protest und auch Haß in arabischen Ländern hervorruft? Die also die Lebensinteressen des Volkes im Staate Israel (und nicht nur dort) aufs Spiel setzt? Wer so etwas auch nur denkt, verliert seine Unschuld. Jedenfalls die, deren Überwachung dem Hause Springer obliegt. Peter Söhren Im Juni, 100 Tage nach Beginn des Krieges gegen Libyen, mischte sich auch der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag in die Auseinandersetzungen ein und erhob Anklage. Daß »Revolutionsführer« Gaddafi, sein Sohn Saif al-Islam, der als »faktischer Ministerpräsident« Verantwortung trage, sowie der Leiter des militärischen Nachrichtendienstes, Abdullah al-Senussi, zu den Angeklagten gehören würden, war erwartet worden und ist aus Sicht des Gerichts nur folgerichtig: Diese drei Personen zählen zu den prominenten Befehlshabern der staatlichen Organe und des Militärs und sollen sich zur Abwehr der Rebellion in Bengasi und anderen libyschen Städten zahlreicher »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« schuldig gemacht haben. Hier soll nicht darüber spekuliert werden, ob solche Verbrechen tatsächlich stattgefunden haben oder ob sie nur behauptet werden. Die Beweislage ist wenig überzeugend. Angeblich liegen Augenzeugenberichte vor, denen zufolge angeordnete Schüsse auf Demonstranten, Artilleriefeuer auf Trauergemeinden, Vergewaltigungen und Folter vorgefallen sein sollen. Bezweifelt werden muß, ob diese Anschuldigungen für einen Haftbefehl überhaupt ausreichen. Immerhin ist es in der Geschichte des ICC erst das zweite Mal, daß gegen einen amtierenden Staatschef (auch wenn Gaddafi formal ein solches Amt gar nicht bekleidet, ist er es doch kraft seiner Macht) ein internationaler Haftbefehl erlassen wird. Im anderen Fall handelte es sich um den sudanesischen Präsidenten Baschir, der seit März 2009 mit einem internationalen Haftbefehl verfolgt wird. Auch in den anderen Fällen, in denen das ICC ermittelt und bereits Angeklagte hinter Schloß und Riegel gebracht hat, handelt es sich ausschließlich um Afrikaner. Johan Galtung, Nestor der internationalen Friedensforschung, vermutet dahinter die Fortsetzung kolonialer Tradition: Das Völkerstrafrecht werde einseitig »im Interesse des Westens angewandt«. Dieser Verdacht erhärtet sich, wenn man die Ermittlungstätigkeit des ICC genauer betrachtet. Das Gericht in Den Haag hat in der Vergangenheit zahlreiche Strafanträge, die im Zusammenhang mit dem Irakkrieg gestellt worden waren, abgelehnt. Dabei wurden zwei Argumente verfolgt: Erstens seien »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« gemäß Art. 7 des Statuts des Gerichts Handlungen, »die im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung begangen« werden. Beim Irakkrieg habe das den alliierten Streitkräften aber nicht nachgewiesen werden können. Damals ging es vor allem um Vergehen der britischen Streitkräfte; gegen US-Streitkräfte wurde gar nicht erst ermittelt, da die USA dem ICC nicht beigetreten sind. Zweitens befaßte sich das Gericht mit Verdachtsfällen, die sich auf tatsächliche Kriegsverbrechen bezogen. Von Kriegsverbrechen kann dann gesprochen werden, wenn absichtlich Zivilisten angegriffen werden (was bereits laut den Genfer Konventionen verboten ist, auf die das Statut des ICC in Art. 8 verweist) oder wenn bei Angriffen auf militärische Ziele unverhältnismäßig viele zivile Opfer in Kauf genommen werden (»vorsätzliches Führen eines Angriffs in der Kenntnis, daß dieser auch Verluste an Menschenleben, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder weitreichende, langfristige und schwere Schäden an der natürlichen Umwelt verursachen wird, die eindeutig in keinem Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen«; Art. 8,2 b iv). Bei den Untersuchungen zum Irakkrieg kam der Chefankläger Luis Moreno Ocampo zu dem Ergebnis, daß möglicherweise zwar Kriegsverbrechen stattgefunden hätten, sie aber auf keinen Fall »in großem Umfang verübt« worden seien, das heißt die vom Statut (Art. 8,1) geforderte »besondere Schwere« des Verbrechens nicht vorgelegen habe. Ausdrücklich wurde auf unvergleichlich größere Kriegsverbrechen in anderen Konfliktregionen hingewiesen, etwa im Kongo, in Nord-Uganda und in Darfur (Sudan). In jedem dieser drei Fälle habe es Tausende von vorsätzlichen Tötungen, unzählige Fälle sexueller Gewalt und Entführungen sowie Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen gegeben. Für den Chefankläger gibt es offensichtlich einen großen Ermessensspielraum, Anklage zu erheben oder darauf zu verzichten. Moreno Ocampo entscheidet selbstverständlich nicht eigenmächtig, sondern ist bestimmten politischen Zwängen und Rücksichtnahmen unterworfen. Gehöriger Druck ist im Falle Libyens von der Kriegsallianz ausgegangen, die sich bereits das Interventionsrecht im UN-Sicherheitsrat mit der Behauptung erschwindelte, Gaddafis Truppen bereiteten ein Massaker an der Zivilbevölkerung in Bengasi vor; die »Weltgemeinschaft« müsse der drohenden »humanitären Katastrophe« militärisch zuvorkommen, oder, wie Barack Obama am 11. März 2011 sogar behauptete, es gelte, einen »Völkermord« zu verhindern (»preventing genocide«). Gaddafis Drohung galt indessen ausschließlich den – damals bereits bewaffneten – Rebellen und nicht der Zivilbevölkerung. Hierzu gibt es eine interessante Einlassung des Professors für öffentliche Angelegenheiten an der Universität von Texas, Alan J. Kuperman: »Gaddafi (hat) niemals mit einem Massaker an der Zivilbevölkerung in Bengasi gedroht, wie Obama behauptete. Die Warnung‚ es werde ›kein Pardon gegeben‹ vom 17. März richtete sich ausschließlich gegen die Aufständischen, wie die New York Times berichtete. Zudem habe der libysche Machthaber denjenigen eine Amnestie versprochen, die ›ihre Waffen wegwerfen‹. Gaddafi bot den Rebellen sogar einen Fluchtweg und offene Grenzübergänge in Richtung Ägypten an, um einen ›Kampf bis zum bitteren Ende‹ zu vermeiden.« Der Internationale Strafgerichtshof ist nicht verantwortlich für die Entscheidungen des Sicherheitsrats – weder für die Kriegsermächtigung nach UN-Resolution 1973 vom 17. März 2011 noch für den Auftrag des Sicherheitsrats vom 26. Februar 2011 an das ICC, Ermittlungen in Sachen Gaddafi aufzunehmen. Er ist aber voll verantwortlich für die korrekte und rechtsstaatlichen Maßstäben entsprechende Durchführung dieses Auftrags. Zu beanstanden sind insbesondere die Parteilichkeit (es wurde nur nach einer Seite ermittelt, das Kriegshandeln der Rebellen blieb bisher vollkommen außer Acht), die mangelhafte Beweisaufnahme vor Ort (es wurde kein Ermittlungsteam nach Libyen entsandt) und die für Gerichte doch erstaunliche Eile, mit der die Anklageschrift erstellt wurde. »Die Geschwindigkeit, mit der der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag, Luis Moreno Ocampo, einen Haftbefehl gegen Muammar al-Gaddafi … geschrieben hat, entspricht bei uns der Frist, innerhalb der ein Gebührenbescheid für eine Geschwindigkeitsüberschreitung im Straßenverkehr ausgestellt wird«, kommentierte der Völkerrechtler Norman Paech sarkastisch. Er verwies in diesem Zusammenhang auf anhängige Verfahren zum Überfall auf die Gaza-Flottille 2010 oder den israelischen Feldzug gegen Gaza (Dezember 2009/Januar 2010), die immer noch auf Erledigung warten. Selbst wenn man dem Gericht bescheinigen wollte, daß es bei aller Hektik juristisch korrekt vorgegangen sei, bleiben am Ende doch nur magere Beweise für die Anschuldigungen. Diese beziehen sich auf den Zeitraum vom 15. bis 28. Februar 2011. Der Friedens- und Konfliktforscher Lühr Henken hat in seiner jüngsten Arbeit über den Libyen-Konflikt die wichtigsten Daten zusammengetragen und kommt zu Ergebnissen, die eher auf vereinzelte gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten oder bewaffneten Oppositionellen hindeuten als auf einseitig vorgenommene bewaffnete Angriffe der Staatsmacht auf Zivilpersonen. Spätestens seit dem 20. Februar sind demnach die Oppositionellen (deren Herkunft und politische Orientierung unklar ist) bewaffnet und haben zum Teil auch schwere Waffen von der libyschen Armee erbeutet. Für das Maschinengewehrfeuer auf eine Trauergemeinde in al-Baida am 18. Februar, auch dies ein Punkt der Anklage des ICC, gibt es außer Augenzeugenberichten keinerlei Belege, vor allem keine Bilder – was heutzutage, wo Fotos per Handy in kürzester Zeit rund um den Globus geschickt werden können, doch seltsam erscheint. Selbst der Fernsehsender Al Djasira stützte sich in seiner Berichterstattung lediglich auf ein Telefongespräch mit einem angeblichen Augenzeugen, allerdings nicht in al-Baida, sondern in Bengasi. Die FAZ machte am nächsten Tag aus dem Vorfall ein »Massaker«, zudem kursieren unterschiedlich hohe Angaben über die Zahl der Toten. Bei alledem muß berücksichtigt werden, daß zu diesem Zeitpunkt die Rebellen sowohl in al-Baida als auch in Bengasi bereits die Macht übernommen hatten. Auch ein Blick auf die Opferzahlen nach Festigung der Macht der Rebellen in deren Hochburg Bengasi zeigt, daß zwar viele Tote zu beklagen waren (Ärzte in Bengasi sprachen am Ende der Kämpfe von 256 Toten und rund 2.000 Verletzten), daß es sich hierbei aber augenscheinlich nicht nur um Zivilpersonen und nicht nur um Oppositionelle handelte. Von »Massakern« an der Zivilbevölkerung, von »Völkermord« oder davon, daß Gaddafi sein eigenes Volk »abschlachte«, wie die US-Botschafterin bei der UNO, Susan Rice, aussagte, kann also nicht die Rede sein. Hätte der Chefankläger beim ICC im Fall Libyen dieselben Maßstäbe angelegt wie im Fall Irak, wäre es zu keiner Anklage wegen besonders schwerer Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit gekommen. Doch der ICC wendet doppelte Standards an und nimmt selektive Schuldzuweisungen vor. Dies wird noch durch eine weitere Unstimmigkeit in der Argumentation Moreno Ocampos unterstrichen. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die USA wegen Kriegsverbrechen im Irak hatte er auch unter Hinweis darauf abgelehnt, daß weder der Irak noch die USA dem Statut des ICC beigetreten seien. Eine Verurteilung durch den ICC sei demnach ausgeschlossen. Nicht anders verhält es sich indessen mit Libyen. Auch dieser Staat fehlt auf der Liste der Mitgliedstaaten des ICC. Das kann man bedauern oder gar verurteilen – so wie die Kritik am Boykott des ICC durch die USA, Rußland und China, um nur einige zu nennen, ebenfalls berechtigt ist –, nur ändert dies nichts an der Rechtslage. Zudem sind viele Staaten aus politischen Gründen nicht bereit, dem ICC zu folgen. So hat die Afrikanische Union auf ihrem Gipfel am 1. Juli 2011 eine Erklärung verabschiedet, in der sie ihre Besorgnis über den Umgang des ICC mit der Situation in Libyen zum Ausdruck bringt und die 53 Staaten der AU auffordert, in dieser Angelegenheit nicht mit dem Gericht zu kooperieren. Der Haftbefehl gegen Gaddafi würde die Bemühungen um eine politische Lösung des Konflikts »ernsthaft erschweren«. Wenn der ICC sich von der Politik des Westens einspannen läßt, anstatt sich um die Durchsetzung internationalen Rechts zu kümmern, demontiert er letztlich sich selbst. Ausführlicher befaßt sich Peter Strutynski mit diesem Thema in dem von Fritz Edlinger herausgegebenen Buch »Libyen: Hintergründe, Analysen, Berichte«, das im Oktober bei Promedia in Wien erscheint.
Erschienen in Ossietzky 19/2011 |
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