Offene Nettigkeit, leise Bosheit

Harald Kretzschmar

Nun ist aber wirklich alles gesagt und geschrieben über ihn. Er soll uns Deutschen den Humor zurückgeschenkt haben. Was alles wir den Nachrufen zufolge diesem klangvoll kurz Loriot zu nennenden Vicco von Bülow verdanken sollen! Hat er uns denn so geschmeichelt, daß wir anbetend zu Füßen seines Sarges liegen müssen? Lachen wir doch einfach weiter. Worüber? Etwa wie er Männliches und Weibliches in ihrer abstoßenden Anziehungskraft durchschaute. Oder wie er fast unbemerkt Alltagshumor zu Alltagssatire hochstilisierte. Dieser klitzekleine Schritt vom Lachhaften zum Lächerlichen, den er uns zu sehen lehrte.

Als überaus tüchtiger Deutscher arbeitete er wie ein Besessener auf die gründlichste Weise der Welt. Mit dem einen Ziel, so komisch zu wirken, wie er tatsächlich war. Es genügt eben nicht, bloß so zu sein. Medial präsent soll man sein. Einen Zeichner kennt normalerweise kein Schwein. Als optisch wahrnehmbare Person hat sich Loriot ins Massenmedium Fernsehen erst durch die Hintertür in einer Kulisse eingeschlichen. Vor dieser stand ein Sofa. Darauf nahm er Platz.

Neben einer Dame, die groß blickte. Er verzog nur leicht das Gesicht. Lächelnd. Diese schmale Linie, gespannt zwischen offener Nettigkeit und leiser Bosheit, gehalten von zwei Mundwinkeln. Überglänzt von diesem augenzwinkernden hellen Blick. Untermalt von dieser enorm modulationsfähigen Stimme. Alles andere war spaßhaft gewendetes Gesprächsdeutsch zwischen ihm und ihr. Am Ende in zwei langen Kinofilmen.

Kabarettkomik und Blödelklamauk funktionierten bisher nur in der Kurzform von Kleinkunst. Loriot schaffte das abendfüllend. Otto Waalkes beschäftigte Eilert und Gernhardt als Macher der Gags, die flach wie das Zwerchfell blieben, das bewegt werden sollte. Loriot sticht und trifft tief. Im größten Unsinn hat er immer etwas Sinnstiftendes. Da kann es sich doch nur um Satire handeln. Dieses den Deutschen von lang her suspekte verteufelte Genre. Dazu mußte nachrufend etwas Kritisches gesagt werden. Der Spiegel:»Wenn ihm etwas vorzuwerfen ist, dann, daß er wirklich alle befriedete, selbst Ost und West.« Im Lande der Anrempler und Stänkerer wahrlich eine geniale Leistung.

Erschienen in Ossietzky 18/2011