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Und dann die aktuelle Konsequenz, politphilosophisch verallgemeinert: Ein »fröhlicher, antiautoritärer Antikommunismus« müsse Platz greifen. Ja wenn das 1961 schon klar gewesen wäre. Dann hätten sich die US-Kommandeure auf deutschem Territorium um die Vorsichtshaltung ihres Präsidenten im Weißen Haus nicht gekümmert, sondern die Panzer rollen lassen, ein munterer Krieg hätte begonnen – und Thomas Schmid, hätte, wenn da nicht die Ungnade der späten Geburt gewesen wäre, in der Propagandakompanie für die rechte Stimmung gesorgt. Marja Winken Verschobene Verantwortung»Die Mitglieder unserer Partei haben Verantwortung zu tragen für das Leid, das durch die Mauer entstanden ist, für die Toten, die es an der und durch die Mauer gegeben hat«, sagt Steffen Bockhahn, jetzt wiedergewählter Landesvorsitzender der Partei Die Linke in Mecklenburg-Vorpommern. Da kommt mir zugute, daß ich kein Mitglied dieser Partei bin. Wäre ich es und würde Bockhahns Auffassung zum Standpunkt der Partei insgesamt, müßte ich diese verlassen. Ich wäre nämlich nicht bereit, die zugemutete Verantwortung zu übernehmen. Zwar gehöre ich zu den Zeitgenossen der Geschichte des Mauerbaus, aber ich habe dessen historisch-politische Anbahnung, Realisierung und Nutzung nicht betrieben und auch nicht mit Beifall bedacht. Als historisches Prachtstück, für das man zu danken habe, ist mir die Mauer nicht vorgekommen; wahrscheinlich hat selbst Walter Ulbricht nicht gerade Stolz auf sie empfunden. Soweit es mir möglich war, habe ich der Politik, die zum Mauerbau führte und die Grenze in Deutschland so gefährlich machte, entgegenzuwirken versucht. Das gilt, da bin ich sicher, nicht nur für mich, sondern auch für viele Mitglieder der Partei Die Linke aus meiner Generation, in West- und in Ostdeutschland. Meine Vermutung ist, daß Steffen Bockhahn etwas ganz anderes im Sinne hat als das, was er sagt. Er möchte den Mitgliedern seiner Partei die Verantwortung dafür zuschieben, daß den meinungsmachenden Medien kein Anlaß mehr geboten wird, die Partei Die Linke zu verteufeln. Nicht um Geschichte geht es, sondern um deren aktuelle Verwertung, um wohlgefällige Presse. Aber da wird Linksparteilern eine Verantwortung zugemutet, die sie nicht ausfüllen könnten, selbst wenn sie es wollten. Eine sozialistische Partei, die ihrem Namen gerecht wird, würde bei Bild und Co. auch dann keine Gnade finden, wenn es die Mauer nie gegeben hätte. So viel Klassenbewußtsein hat man dort allemal. Arno Klönne DauerjobAuf 12.000 schätzt der Chef der Bundesbehörde für die Bearbeitung von Hinterlassenschaften des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit die Zahl der informellen Mitarbeiter dieser Institution in der Altbundesrepublik. Lediglich 3.000 davon seien im Jahrzehnt nach der »Wende« in Strafverfahren verwickelt und nur 360 verurteilt worden. Da bleibt viel zu tun, zumal es sich bei der Zwölftausenderzahl um eine bloße Vermutung handelt. Muß vielleicht noch eine Null drangehängt werden? Zudem steht die Zahl der Verurteilten in einem Mißverhältnis zu der Zahl der Ermittlungen – offenbar wurde zu wenig stichhaltiges Beweismaterial geliefert. Roland Jahn wird nicht einmal mit 67 in Rente gehen können. Clara Tölle RückendeckungWenn man zu DDR-Zeiten in einer Versammlung etwas sagen wollte, was der Partei- und Staatsführung (ein damals gebräuchlicher Ausdruck für die Obrigkeit) nicht angenehm war, beugte man möglichen Unerquicklichkeiten vor, indem man einen der sogenannten Klassiker zu Hilfe nahm. Wenn man seine kritische Rede also mit »wie Karl Marx einmal geschrieben hat« oder mit »wie Lenin schon gesagt hat« begann, erntete man beileibe nicht immer Beifall, aber man entging gemeinhin der ideologischen Hinrichtung. Heutzutage gibt es leider Tatbestände, bei deren Bewältigung diese Erfahrung von Nutzen ist. Wenn man zum Beispiel an der Politik der israelischen Regierung Kritik übt, wird man unter Verwendung des Antisemitismusvorwurfes ähnlich ungut behandelt wie früher, wenn man Zweifel an der Sieghaftigkeit des Sozialismus äußerte. Da ist es gut, wenn man Rückhalt bei einem Großen findet. Im Melzer Verlag ist ein Buch von Jimmy Carter erschienen, dem ehemaligen Präsidenten der USA. Der Titel lautet »Palästina – Frieden nicht Apartheid«. Auf 291 Textseiten wird erläutert, was nach dem Titel zu ahnen ist. Carter läßt die Palästinenser nicht ungeschoren, aber er läßt auch keinen Zweifel daran, daß nach seiner Überzeugung die Hauptverantwortung für die verfahrene Situation bei den israelischen Regierungspolitikern zu suchen ist. Einige Kernzitate: »Ein Apartheidsystem, in dem zwei Völker im selben Territorium leben, aber komplett voneinander getrennt wären, wobei die Israelis die absolute Herrschaft hätten und zur Unterdrückung von Widerstand die Palästinenser ihrer elementarsten Menschenrechte beraubten. Diese Politik ist die gegenwärtig gängige Praxis ...« (S. 189). »Rückzug auf die Grenzen von 1967, wie in der UN-Resolution 242 gefordert, in den Vereinbarungen von Camp David und den Vereinbarungen von Oslo versprochen und in der ›Roadmap‹ des internationalen Quartetts vorgeschrieben. Dies ist die attraktivste Option – und die einzige, die letztendlich als Grundlage für den Frieden in Frage kommt« (S. 290). »Die Mauer als Gefängnis... israelische Politiker... nehmen an, daß sie das Problem mit den Palästinensern endgültig lösen können, indem sie sie mit einer Mauer einschließen... Apartheidsystem...« (S. 257 f.). >Und der Schlußsatz: »Es wäre eine Tragödie – für die Israelis ebenso wie für die Palästinenser und die ganze Welt – wenn der Frieden eine Absage erhält und ein System der Unterdrückung, der Apartheid und andauernder Gewalt bestehen bleiben darf.« Wer das ganze Buch liest, findet alles, was zum Thema zu sagen ist, und wer dann künftig seine Kritik mit den Worten beginnt »Wie Jimmy Carter geschrieben hat«, wird zwar auch nicht überall Anklang finden, aber den Status eines ehrbaren Menschen wird er behalten dürfen. Günter Krone Jimmy Carter: »Palästina – Frieden nicht Apartheid« Übers. Helgard Barakat, Melzer Verlag, 337 Seiten, 24,95 €Mehr »Menschlichkeit für Tiere«?Häufig bekomme ich persönliche Briefsendungen von der »Vier Pfoten Stiftung für Tierschutz«, fast immer mit einem inliegenden und der Einfachheit halber bereits vorgefertigten Überweisungsformular. In dem Schreiben, das dieser Tage kam, geht es um die Käfighaltung von Kaninchen, die, bevor sie geschlachtet werden und ihnen das Fell über die Ohren gezogen wird, auf engstem Raum zusammengepfercht ihr jämmerliches Dasein fristen. Da ich schon in der Kindheit miterleben mußte, daß und wie Kaninchen und Hühner auf einen Ehrenplatz in der Festtagsschüssel vorbereitet wurden, verzehre ich sowieso nur Fleisch von Tieren, die ich nicht persönlich gekannt und gestreichelt habe. Ich habe in den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren auch verstanden, daß die Haltung von Hausgetier im Garten, im Keller oder auf dem Balkon zur Überlebensstrategie gehörte, und wie ich den Medien und den Berichten von Freunden und Bekannten entnehme, ist das in vielen Gegenden unseres ungleichen Kontinents nach wie vor so. Besonders dort, wo unsere Artgenossen ohne Garten und Balkon auskommen müssen und unter freiem Himmel hungern. Zugegeben, meine Haltung ist ein fauler Kompromiß. Denn mir schmecken gut gewürzte Leberwurst und gut gezwiebelte Rostbrätel. Und ich weiß, daß jeder Mensch im Grunde Veganer oder wenigstens Vegetarier sein müßte. Das Thema ist unerschöpflich und reicht weit ins Philosophische hinein, zumal sich bisher kein Lebewesen aussuchen konnte, ob es als bewundertes, weil schielendes Opossum, als künftiger raffinierter Festplattenhacker oder als menschenblutrünstige Mücke auf die Welt schlüpfen will. Aber darum geht es mir in diesem Beitrag eigentlich nicht. Mir geht es um das Motto, mit dem der Verein »Vier Pfoten« um Mitgefühl und Unterstützung wirbt, und das lautet:»Mehr Menschlichkeit für Tiere!« Da frage ich mich, was uns Menschen als behauptete Kronen der Schöpfung berechtigt, uns gegenüber der Tierwelt so schönzufärben. Hat die Menschheit die Abschlachtung von Artgenossen abgestellt? Gibt es keine Kriege mehr? Gehört die Käfighaltung von Menschen der Geschichte an? Hat jeder Mensch die Lebenschance und den minimalen Existenzraum, den er braucht? Was unterscheidet den menschlichen Flaschensammler vom Hund, der die Restknochen aus der Abfalltonne scharrt? Müßte man den oft mißbrauchten Menschlichkeits-Begriff nicht mal neu definieren? Hat ihn überhaupt schon mal jemand aktualisiert und nicht nur in den Mund genommen? Ich habe übrigens eine Spende überwiesen. Ich zweifle ja nicht am guten Zweck. Wolfgang Helfritsch Es driftetSeit Gründung der Bundesrepublik berichtet das Institut für Demoskopie in Allensbach am Bodensee der Regierung und den Medien über die soziale und politische Befindlichkeit der Bürgrinnen und Bürger. In ihrem neuesten Report zeigt sich die Leiterin des Instituts, Renate Köcher (Nachfolgerin von Elisabeth Noelle-Neumann), leicht besorgt: »Es läuft vieles auseinander in der deutschen Gesellschaft.« Ein »Auseinanderdriften« zwischen »Unter- und Mittelschicht« einerseits, den »oberen Schichten« andererseits sei deutlich feststellbar, nicht nur hinsichtlich der materiellen Lage, sondern auch der »Lebensstile und Weltanschauungen«. Beispielsweise investierten Oberschichten-Menschen viel mehr in körperliche Fitness, nutzten das Internet weniger für Unterhaltung und mehr für »die Vorbereitung von Transaktionen« und seien stärker an politischen Vorgängen interessiert als Mittel- und vor allem Unterschichtler. Ja, wie mag das zu erklären sein? Vielleicht hat, nur diese Verhaltensauffälligkeit herausgegriffen, der Unterschichtsmensch gar keine »Transaktionen« vorzubereiten? Womöglich hängt das »alltagskulturelle« Driften mit dem materiellen zusammen? Für letzteres hat Allensbach eine beruhigende Erklärung: »Es geschieht fast zwangsläufig in einer freien Gesellschaft in Friedenszeiten.« Da ja keine Kriegszeit zu wünschen ist, eine unfreie Gesellschaft auch nicht, werden wir uns also mit dem Driftzwang des abfinden müssen. Fast. M.W. Opposition lernen!Mit dem politischen Bewußtsein, mit der sozialen und vor allem der Medien-Kompetenz des Deutschen Michel ist es nicht weit her. Nachweis darüber läßt sich jederzeit führen: Man betrachte die Erhebungen von Demoskopen über die Beliebtheit führender Politiker. Man bedenke die Ergebnisse von Bundestagswahlen, die den Abwicklern des Sozialstaats und der Demokratie zu Parlamentsmehrheiten verhalfen; entschiedener Widerstand gegen sie formiert sich noch kaum. Vor diesem Hintergrund glänzt der jüngste Titel des Verlags Ossietzky: »Oppositionsfähig werden!« Freilich, denkt man beim Blick auf dieses Büchlein, das täte uns allen gut, ein paar zweckdienliche Übungen zu machen und dafür auf einige der Rumpfbeugen zu verzichten, zu denen wir im Alltag neigen. Wer aber einen didaktisch und methodisch entwickelten Leitfaden zum Thema »Wie lerne ich gute Opposition?« erwartet, wird enttäuscht. Der Band enthält eine facettenreiche Sammlung unterschiedlicher, nicht eng aufeinander abgestimmter, aber interessanter Beiträge zum Thema. Dabei stößt man zum Beispiel auf Andreas Buro: »Opposition braucht Bilder von dem, was sie verändern und erreichen möchte ... Sie müssen in Verbindung mit der gegenwärtigen Realität stehen, als deutliche Alternative erkennbar ... In der deutschen Friedensbewegung hat es in dem Bild von einer atomwaffenfreien Welt eine solche Alternative gegeben. Gegenwärtig erweitert sich das Bild zur Entfaltung ziviler Konfliktbearbeitung als Alternative zu Krieg und Gewalt.« Karl A. Otto: »Es waren nicht mehr als 1000 Demonstranten, die sich unter dem Motto ›Haben Sie Vertrauen in die Macht des Einzelnen!‹ ... versammelten«. Otto erwähnt hier eine Demo, aus der eine Massenbewegung entstand, »die als ›Kampagne für Demokratie und Abrüstung‹ rund 150.000 Marsch- und Kundgebungsteilnehmer mobilisieren ... konnte.« Hinweise wie dieser helfen auch mir selbst aus einem gelegentlichen Stimmungstief, aus Ohnmachtgefühlen und gegen eine Übermacht der Selbstzweifel. Otto erinnert: »Diese Ostermarschbewegung ist Geschichte. Aber der von ihr geöffnete Weg zu mehr Demokratie führt weiter. Seine derzeitige Richtung heißt: plebiszitäre Erweiterung der repräsentativen Demokratie. Gut möglich, daß dies dann das Ende der Monopolstellung der Parteienoligarchien im Prozeß politischer Entscheidungen wäre.« Hoffen wir`s! Weitere Mitautoren sind – die Liste bürgt für Qualität – Marcel Bois, Stefan Bornost, Christopf Butterwegge, Georg Fülberth, Heiner Halberstadt, Jürgen Harrer, Franz Kersjes, Angela Klein, Hans-Jürgen Krysmanski, Ulrich Sander, Carsten Schmitt, Wilhelm Schwettmann, Elke Steven, Karl Hermann Tjaden, Margarete Tjaden-Steinhauer und Jörg Wollenberg. Eckart Spoo hat das Buch herausgegeben. Zitat aus seinem Vorwort: »Opposition braucht Grundrechte, vor allem Meinungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Streikrecht, Widerstandsrecht.« Sie braucht als Grundvoraussetzung allerdings erst einmal die Bereitschaft, sich über die eigenen Rechte zu informieren. Dazu aber bietet das vorliegende Buch viele Anstöße, ohne daß man die Beiträge unbedingt »am Stück« lesen müßte. Die Sammlung ist als Hommage an Arno Klönne entstanden, den inzwischen 80jährigen Ossietzky-Mitherausgeber; ihr Anliegen macht seiner Lebensleistung Ehre. Zugleich ist das Buch ein Geschenk für uns alle. Auf daß eines Tages das Ausrufungszeichen hinter dem Titel unnötig werde. Volker Bräutigam Eckart Spoo (Hg): »Oppositionsfähig werden!«, Verlag Ossietzky, 160 S., 12 € Léon und Louise im DreieckDie meisten neuen Bücher der »schönen« Literatur erzählen von gescheiterten, schwachen, einsamen und verlorenen Menschen, und alles ist grau. Ich gestehe hiermit meinen Überdruß daran, denn selbst unsere kaputte Welt ist bunter, die literarische Eintönigkeit nervt. Freilich ist es schwer, über die Freuden des Alltags oder gar die Kraft und Schönheit des Menschen zu schreiben, ohne in die Nähe von Kitsch zu geraten. Der Schweizer Alex Capus hat das geschafft, und ich empfehle seinen Roman »Léon und Louise« frohen Gemüts. Léon, der französische Großvater des Autors (die Geschichte soll über weite Strecken authentisch sein) liebte zeitlebens Louise, die aber nicht die Großmutter des Erzählers ist. Louise und Léon hatten sich als Halbwüchsige am Ende des Ersten Weltkrieges gefunden und gleich wieder verloren. Erst nach zehn Jahren sah er die Totgeglaubte wieder. Da ist er verheiratet und Vater. Großmutter Yvonne erzog gemeinsam mit ihm vier Kinder und behütete die Familie in den Wirren des Zweiten Weltkrieges wie eine Glucke. Die übliche Dreiecksgeschichte mit einer heimlichen Geliebten also? Nein, eine Liebesgeschichte ohne Sich-Verstecken und Einander-Verraten, sondern mit redlichen Versuchen, einander so wenig wie möglich weh zu tun. Diese Leute, die sich nicht für besondere halten, wissen um Würde und Verantwortung und meistern Leben und Liebe. Capus erzählt leicht und voller Humor, ein heiterer Alltags-Philosoph und -Psychologe und ein versierter Historiker. So bettet er das Schicksal von Léon, Louise und Yvonne in die Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, ohne je weitschweifig zu werden; er erzählt nur so viel wie nötig. Augenzwinkernd teilt er mit seinen Lesern die Freude an seinem prächtigen Ahn und dessen großer Liebe. Christel Berger Alex Capus: »Léon und Louise«, Carl Hanser Verlag, 314 Seiten, 19,90 €Walter Kaufmanns LektüreEs wird die Voraussetzung für die Entstehung von »Trieb« gewesen sein, Gerichtsakten und Polizeiprotokolle einzusehen, mit Richtern zu sprechen, das Vertrauen hoher Kriminalbeamter zu gewinnen und so dem Ablauf von Verbrechen auf die Spur zu kommen. Das Kunststück war, aus all dem eine zum Zerreißen spannende Prosa zu machen, geschliffene Storys – so flüssig lesbar, daß man am Ende meint: 13 weitere wären nicht zuviel! Das sind allesamt keine Gesellenstücke mehr, der Journalist Jochen Rausch beherrscht sein Handwerk. Alltagsgeschehnisse, die leicht nachzuvollziehen sind, führt er zu einer jähen Wende ins Grauenhafte, sexuell Abnorme, abgrundtief Kriminelle. Und nie glaubt man mit Erfundenem konfrontiert zu werden, ist nicht erstaunt, daß es jene Messerstecherin, jenen Totschläger im wirklichen Leben gab, auch den Mörder und den Verbrecher, der die Studentin von der Bahnsteigkante in den Tod stürzte, und die Therapeutin, die eine Strafgefangene mit der Spitze ihres Kugelschreibers lebensgefährlich verletzte, wie auch den Lebemann, der wegen sexueller Handlungen mit Tieren zu einer hohen Geldstrafe verurteilt wurde. Es gab den Ehemann, der seine sterbenskranke Frau erwürgte, und den Gewalttäter, der sein T-Shirt zu einem Strick drehte, mit dem er die Prostituierte ... genug! Daß jedes dieser Verbrechen erst allmählich enthüllt wird, der Leser also, wenn auch durch manche Hinweise vor-bereitet, lange im Ungewissen bleibt, und daß das Geschehen stets aus verschiedensten Blickwinkeln beleuchtet wird, macht das Können des Jochen Rausch aus. Bei jeder seiner Storys (die zusammen eine »Tatort«-Serie sondergleichen ergeben würden) wird der Leser dem Ausgang entgegenfiebern. Schon das macht das Buch empfehlenswert. W. K. Jochen Rausch: »Trieb«, 13 Storys, Berlin Verlag, 206 Seiten, 18,90 € Zuschriften an die LokalpresseJetzt ist es schon 50 Jahre her, daß quer durch Berlin die Mauer gebaut wurde! Schön, daß die Zeitungen sehr gefühlvoll darüber berichten und daß in Berlin durch Betonreste, durch Gedenktafeln und Kreuze daran erinnert wird – zum Beispiel an Straßen, die durch die Mauer in zwei Abschnitte geteilt wurden. Jetzt steht dort zwar keine Mauer mehr, aber die im Ostteil wohnenden Berliner derselben Straßen werden nach den ungünstigeren Osttarifen bezahlt, bekommen geringere »Hartz IV«-Sätze und haben einen geringeren Rentenfaktor. So sorgt unser Gesetzgeber klug dafür, daß die Wut über die Mauer erhalten bleibt und auch solche Menschen darunter leiden, die es zur Mauerzeit noch gar nicht gab. Da kann man nur hoffen, daß diese Regelungen noch lange bestehen bleiben, denn wir wissen ja, daß Menschen sehr vergeßlich sind, und Deutsche besonders! – Alma Wunderlich (72), Archivarin i.R., 12527 Berlin-Rauchfangswerder * Unsere Kanzlerin hat sich trotz vieler wichtiger Termine und trotz ihres Geburtstages die Zeit genommen, sich persönlich vom Elend in afrikanischen Staaten zu überzeugen und den Verhungernden Mut zu machen. Nach dem bewährten Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe hat sie die Lieferung von Waffen und Kriegsschiffen zugesagt, damit sich die um die Menschenrechte und um mehr Demokratie kämpfenden unterernährten Mütter und Minderjährigen selbst befreien und es ihren Brüdern und Schwestern in der Bundesrepublik später mit Rohstoffen heimzahlen können. Nach der zugesagten Lieferung von Panzern nach Saudi-Arabien ist das schon wieder ein Zeugnis unserer uneingeschränkten deutschen Solidarität, und dafür möchte mein Mann und ich uns sehr herzlich bedanken. – Friedchen und Frieder Wohlgemuth (64), Pensionäre, 45134 Essen * Der Skandal um die aus der neuen BND-Zentrale verschwundenen Bau-Unterlagen zieht doch größere Kreise als gedacht, und der Sessel des seiner Pensionierung entgegenfiebernden Schlapphüte-Chefs Ernst Uhrlau gerät vorzeitig ins Wanken. Es geht auch nicht nur um die Kantine und das Parkhaus, sondern um Laboratorien, Sicherheitsschleusen und Büropläne! Nun fragen sich die Aufseher und Oberaufseher des Geheimdienstes, wie so etwas geschehen konnte und wie es in Zukunft verhindert werden kann. Dabei ist die Sache doch ganz klar: Der BND muß viel gründlicher überwacht werden. Dazu brauchen wir mindestens einen weiteren, besser ausgestatteten Geheimdienst mit weitreichenden Vollmachten. Alles im Interesse unserer Sicherheit, versteht sich. – Benno Drombusch (64), Privatdetektiv, 08491 Lauschgrün * In der Öffentlichkeit ist jetzt Streit darüber ausgebrochen, ob Alkohol in Berliner Bussen und Bahnen verboten werden soll. In anderen Hauptstädten, so in Oslo, ist das schon lange so. Ich finde es auch nicht schön, daß vor allem jüngere Männer mit einer Bierpulle in der Hand einsteigen und andere Fahrgäste anlallen. Ganz abgesehen davon, daß eine Glasflasche, wenn sie auf einem Kopf zerschlagen wird, ziemlichen Schaden anrichten kann. Historisch ist das ja so, daß die Männer in der Antike noch mit einer Aktentasche und einer Zeitung in der Hand in die Bahn einstiegen. Nach dem Krieg wurden daraus Rucksack oder Beutel, dann kam zur allgemeinen Unterhaltung der Mitreisenden das Handy dazu, und jetzt ist es die Flasche. Ich will mal lieber nicht versuchen, diese Entwicklung fortzuschreiben. Nun empfiehlt die Polizei schon immer, den öffentlichen Verkehr und nicht das eigene Auto zu nutzen, wenn man ausnahmsweise mal was getrunken hat. Wie wäre das aber mit einem Alkoholverbot in Bussen und Bahnen zu vereinbaren? Vielleicht sollte man wie in Polizei-Revieren auch in Bahnen Sonderabteile zur Ausnüchterung einrichten. Da hätte jeder auch für höhere Tarife Verständnis! – Dipl.-Ing (FH) Waldemar Schluckauf (56), Arbeitsloser, 01689 Weinböhla * Die Anschläge des Norwegers Anders Breivik haben nicht nur sein Land erschüttert, sondern in der ganzen Welt Entsetzen ausgelöst. Die Empörung ist um so größer, als der Attentäter erklärte, schuldlos zu sein. Er habe ja einen Krieg geführt, und in Kriegen sei es ganz normal, daß Feinde getötet werden. So furchtbar das ist – da hat er nicht mal unrecht. Seitdem es Kriege gibt, gilt die körperliche Vernichtung oder Verstümmelung von zu Gegnern Erklärten nicht nur als legitim, sondern sogar als ehrenvoll und patriotisch. Das hat schon Tucholsky gebrandmarkt, und andere auch, und diese Wahrheit ist vielen nicht gut bekommen. Immerhin: Norwegen zieht sich jetzt aus dem Bombenkrieg gegen Libyen zurück. – Otto Bürger, Normalverbraucher, 24894 Hoffnungstal Wolfgang Helfritsch Boshafter DruckfehlerEine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter der Frankfurter Rundschau unterhalten sich mit Andrea Nahles über deren Erfahrungen mit der Presse und auch darüber, wie frei denn Redakteure darin sind, ihre Meinungen zu publizieren: ob ihnen da jemand dreinredet und wie es in dieser Hinsicht mit Zeitungen in der Region und denen in der Hauptstadt ausschaut, kurzum: Sind Journalisten unabhängig? So war’s gemeint, aber dann wurde daraus das Wort »unabgängig«, und dem Korrektor (falls es ihn gibt) fiel das nicht auf. Ein versehentlicher, aber interessanter Hinweis: Journalistische Mitarbeiter geraten leicht in Abgängigkeit. Dies zu wissen, bewahrt sie davor, die Unabhängigkeit zu wichtig zu nehmen; auch machen verlegerische Wünsche keinen Unterschied zwischen Provinz- und Metropolblättern – was bei der Frankfurter Rundschau nicht nur der Druckfehlerteufel weiß. Marja Winken Sehr geehrter Bahnchef Grube!Seit langem schon möchte ich Sie zu Ihrer autofreundlichen Bahnpolitik beglückwünschen. Jetzt habe ich einen aktuellen Anlaß: Mein Freund Frank Schweißer in Rüsselsheim wollte kürzlich seine kranke Mutter in Hathenow besuchen. Er kaufte also zu einem nicht geringen Preis eine Fahrkarte von Rüsselsheim über Frankfurt (Main), Hannover, Berlin und Frankfurt (Oder) nach Hathenow in Brandenburg. Normalerweise fährt er als Mitarbeiter eines großen Autowerks mit dem Auto. Doch diesmal gedachte er im Zug bequem zu speisen, hin und wieder aus dem Fenster auf die vorübergleitende Landschaft zu schauen und endlich ein Buch zu lesen, dessen Lektüre er sich schon lange vorgenommen hatte. Doch daraus wurde nichts. Bereits in Frankfurt (Main) hatte der ICE aufgrund technischer Schwierigkeiten mehr als eine Stunde Verspätung, und mein Freund mußte einen späteren Zug nehmen, in dem seine Platzkarte keine Gültigkeit hatte. Da Werktätige wie er nur übers Wochenende fahren können, war der ICE ziemlich überfüllt, außerdem war die Kühlung ausgefallen, was bei hohen Außentemperaturen sehr unangenehm war. So mußte er zwischen schwitzenden und schimpfenden Mitreisenden bis Hannover im Gang stehen. Selbstverständlich bekam er seinen Anschlußzug nicht, so daß auch hier die Platzreservierung entfiel. Zwar funktionierte diesmal die Kühlung, doch Frank Schweißer mußte bis Berlin stehen. So ging es nun weiter in drückender Enge nach Frankfurt (Oder), wo der letzte Bus nach Hathenow schon lange abgefahren war. Mein Freund mußte seinen Neffen anrufen, der ihn mitten in der Nacht mit dem Auto vom Bahnhof abholte. Bis dahin war es eine Horrorfahrt! Aber Frank Schweißer – Sie werden es kaum glauben – war glücklich. Glücklich wie lange nicht. Denn nur so, erklärte er mir, läßt sich das Fortbestehen des seit langem bedrohten Autowerks und damit der Erhalt seines Arbeitsplatzes sicherstellen. Dank Ihrer schonungslos zielgerichteten Verkehrspolitik zu Lasten der DB-Fahrgäste! Daß Sie – wie schon Ihre Vorgänger an der Spitze der Bahn – aus der Automobilindustrie kommen, muß ja nicht jeder wissen. Wolfgang Bittner
Erschienen in Ossietzky 17/2011 |
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