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Die Ratingagentur Standard & Poor’s hatte Anfang August die Bonität der US-Staatsanleihen herabgestuft; chinesische regierungsnahe Journalisten hatten daraufhin die USA kritisiert. Die deutsche Nachrichtenagentur dapd stellte das so dar: »In einem am Samstag von der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua veröffentlichten Kommentar heißt es, die amerikanische ›Schuldenabhängigkeit‹ gefährde die Weltwirtschaft. Washington müsse seine ›gigantischen Militär-Ausgaben und die aufgeblähten Kosten für Sozialhilfe‹ kürzen.« Viele übernahmen den ersichtlichen Stuß bedenkenlos: FAZ, Focus, taz, Hamburger Morgenpost, Bild. Leider auch der Alte Hase Albrecht Müller. Er hätte in größere asiatische Zeitungen schauen sollen, die gibt es ja auch auf Englisch. Stattdessen klaubte er die dapd-Sätze ausgerechnet aus dem ehemaligen Nachrichtenmagazin Spiegel und setzte unter dem Namenskürzel »AM« noch eins drauf: »Die Chinesen sind ja richtig süß. Jetzt verlangen diese Kommunisten vom kapitalistischen Amerika den Abbau der ›aufgeblähten‹ Sozialausgaben. Toll. Und genauso toll ist die Klage über die ›Schuldensucht‹ der USA. Zu einer Schuldensucht gehören immer zwei: einer, der sich verschuldet, und einer, der die Kredite gibt. Niemand hat China gezwungen, den USA die hohen Kredite zu geben. Nicht einmal wurde ihnen garantiert, daß der Dollar-Kurs hoch bleibt. Außerdem hätte es ja in der Hand der Chinesen gelegen, Dollar zu verkaufen, um Kursverluste zu verringern, wenn nicht zu vermeiden. « Befremdlich. Warum ignorierte der sonst so medienkritische Publizist Müller die Fragwürdigkeit des Spiegel-Artikels wie auch der dapd-Meldung? Wie konnte er einen Xinhua-Kommentator gleichsetzen mit »die Chinesen«, einen Kommentar der Agentur mit einer Regierungserklärung? Was fiel ihm ein, den Dummspruch »aufgeblähter Sozialetat der USA« als Xinhua-originär und gar als Pekings KP-offizielle Position anzusehen? Das haben sich andere NDS-Leser auch gefragt. Ossietzky-Autor Jochen Scholz schrieb: »Nein, sehr geehrte Redaktion der NDS, die Chinesen sind nicht ›richtig süß‹. Vielmehr hat die gesamte deutsche Presse mal wieder von einer einzigen Agentur abgeschrieben. ...« Scholz fügte eine Kopie seines Leserbriefes an die Financial Times Deutschland an: »... Sie haben entweder geschlampt, indem Sie den dapd-Text über die chinesische Reaktion auf die Herabstufung der Bonität der US-Anleihen ungeprüft übernommen haben, oder Sie verfolgen eine Absicht, die sich mir noch nicht erschließt. Denn China hat über Xinhua keineswegs ›gefordert‹, daß die USA ihre ›Militär- und Sozialausgaben reduzieren müßten‹. Ein Blick in das Gesetzbuch erleichtert die Rechtsfindung, sagt der Jurist. Ein Blick in die Quelle sorgt für korrekte Berichterstattung, sagt der seriöse Journalist: S&P has already indicated that more credit downgrades may still follow. Thus, if no substantial cuts were made to the U.S. gigantic military expenditure and bloated social welfare costs, the downgrade would prove to be only a prelude to more devastating credit rating cuts, which will further roil the global financial markets all along the way>. >Fazit: Xinhua hat S&P zitiert. ...« Der vollständige, auf Englisch verfügbare Xinhua-Kommentar zeigt, daß dessen Verfasser Yanmei Wang die Position der US-Ratingagentur S&P interpretiert und nicht etwa selbst sagt, die USA sollten die Kosten ihres Sozialsystems herunterfahren. Albrecht Müller veröffentlichte zwar den Scholz-Brief mit der Einleitung »... erreichte uns eine schöne Mail, die ein Blitzlicht auf die deutschen Medien wirft: ...« und fügte hinzu: »Die Lehre für die NDS: Wir dürfen den deutschen Medien noch weniger glauben. Das wird schwierig.« An die eigene Nase faßte Müller sich nicht. Eine Bemerkung zu Müllers Schnöselei, niemand habe China zur Kreditvergabe an die USA gezwungen: Klar doch, wenn man von den Gesetzen des kapitalistischen Kommerzes absieht, zwingt niemand die Firma ALDI, so viele Waren zu so niedrigen Preisen anzubieten. Die Ökonomien der USA und der VR China kommen nun mal nicht ohne einander aus. Chinas für seine Staatseinheit und Entwicklung dringend nötiges Wachstum hängt vom Export in die USA ebenso ab wie Amerikas innere Stabilität abhängt vom Angebot billiger Konsumartikel »Made in China« für die verarmende US-Bevölkerung. Müllers Hohn, die Volksrepublik China hätte ihre Dollars beizeiten verkaufen und so Kursverluste vermeiden können, ist so unsinnig wie gehässig. Der Dollar-Wechselkurs würde bei größeren chinesischen Dollarverkäufen erst recht in den Keller rauschen. China kommt am Ankauf von US-Staatsanleihen in Dollars nicht vorbei, wenn es den US-Markt behalten will. Die Dollarreserven erlauben der Volksrepublik weltweiten Einkauf: vom Öl bis zu deutschen oder japanischen High-Tech-Produkten. Mit der chinesischen Währung (Renminbi) geht das vorläufig noch nicht. Müller zieht es vor, im antichinesischen Trend zu bleiben. Warum? Tief in ihm steckt und stachelt der alte billige Antikommunismus.
Erschienen in Ossietzky 17/2011 |
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