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Schirrmacher erläutert im Untertitel: »Im bürgerlichen Lager werden die Zweifel immer größer, ob man richtig gelegen hat, ein ganzes Leben lang.« Es ist nicht nur der Krawall in englischen Städten, der intellektuelle Repräsentanten des »bürgerlichen Lagers« um ihre marktwirtschaftliche Glaubensgewißheit bringt. Überall bricht Empörung aus – nicht nur in despotisch regierten Gesellschaften, denen man Nachholbedarf an wirtschaftlicher Entwicklung zuschreiben kann, sondern auch in Ländern, die doch schon kapitalistisch-parlamentarisch wohlgeordnet schienen. Und wer weiß denn, ob die höchst erfolgreiche deutsche Exportnation auf Dauer ihren Platz an der Sonne behält; Unruhe auch hierzulande ist nicht für alle Zeiten auszuschließen. Da wird es auch dem Mitherausgeber einer Zeitung, die kraft ihrer Finanzseiten floriert, mulmig zumute. Die Welle des sozialen Protests, die immer mehr Staaten erreicht, ist vielgestaltig und in ihren politischen Bedingungen und Inhalten alles andere als eindeutig. Sie hat jedoch eine klar erkennbare durchgängige Antriebskraft: die nicht mehr zurückhaltende Wut von Massen junger Menschen über ein gesellschaftliches System, das sie abschreibt, ihnen Arbeit und Existenzsicherung verweigert. »Wohlstand für alle« (Ludwig Erhard) ist inzwischen nicht einmal mehr ein Versprechen der herrschenden Ökonomie. »Die Linke hat recht« meint: In seinem »neoliberal« genannten Zustand erweist sich der globale, finanzgetriebene »Markt« als so brutal, wie ihn Antikapitalisten schon immer beschrieben haben. Und nun? Empörung bricht in sich zusammen, wenn sie keine Ideen entwickelt, wie die Gesellschaft sich anders organisieren kann, was in den nächsten Schritten zu tun ist und auf welche Weise die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse verändert werden könne. Fragen also an »die Linke« – mit dem »Rechtbehalten« allein wird sie sich nicht zufrieden geben können. Antworten auf diese Fragen wird »die Linke« von Frank Schirrmacher nicht erhalten. Er hofft darauf, daß im »bürgerlichen Lager« Methoden ersonnen werden, die Fugen der kapitalistischen Ökonomie wieder stabil zu machen. Einen neuen Ludwig Erhard wünscht er sich herbei, damit die FAZ melden kann: »Die Linke hatte doch Unrecht.« A. K. Den Nachwuchsjahrgängen jeweils ein zeittypisches Merkmal zuzuschreiben, war ein beliebtes Spiel im Feuilleton, bis hin zur »Generation Golf Zwei«. Jetzt vergeht selbst hartnäckigen Optimisten der Spaß daran. Wie eine biblische Plage hat sich in fast allen europäischen Ländern die Jugendarbeitslosigkeit ausgebreitet. Die offiziellen Zahlen dazu, oft noch geschönt, lassen einen lockeren Umgang mit dem Thema nicht mehr zu. Im Durchschnitt der EU-Länder sind mehr als 20 Prozent der Arbeit suchenden Jugendlichen ohne eine Chance, beschäftigt zu werden, in Spanien (das noch vor kurzem für seine »moderne« Wirtschaftspolitik gelobt wurde) ist die Hälfte der Jugendgeneration arbeitslos. Die bei Politikern beliebte Legende, Ausbildungsdefizite seien die Grundursache für den Ausschluß Jugendlicher von der Arbeitswelt, wird von der seriösen Sozialforschung nicht mehr verbreitet; dem Trend nach trifft Arbeitslosigkeit immer mehr auch den gut qualifizierten Nachwuchs. Unverkennbar ist auch, daß es sich nicht um ein kurzzeitiges, konjunkturell bedingtes Problem handelt. Die meisten Jugendlichen, die jetzt ohne Job sind, geraten damit auf den Weg in die Langzeitarbeitslosigkeit. Die Bundesrepublik steht in dieser Sache (ähnlich wie Österreich und die Niederlande) vergleichsweise günstig da. Das hängt mit ihrer Vormachtposition im Weltmarkt zusammen, mehr noch aber mit sozialpolitischen Errungenschaften, die ehedem vor allem durch gewerkschaftlichen Druck zustande kamen: Ausbildungsplätze für junge Leute in den Betrieben, Förderung des »zweiten Arbeitsmarktes« mit öffentlichen Mitteln. Genau diese Vorzüge werden aber derzeit zügig beseitigt, durch »Flexibilisierung« des Arbeitsmarktes, durch Mittelentzug bei der Bundesagentur für Arbeit und durch legislative Maßnahmen, die so wohlklingende Namen haben wie »Gesetz zur Leistungssteigerung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente«. Es ist leider damit zu rechnen, daß die Bundesrepublik sich in Zukunft dem gesamteuropäischen Stand der Jugendarbeitslosigkeit annähert. – Wo liegen Alternativen? Daß die Ersetzung menschlicher Arbeitskraft durch Technik generell rückgängig gemacht und so in Massen neuer Arbeitsbedarf geschaffen wird, ist weder zu erwarten noch zu wünschen. Die Kommunikationsindustrie bringt auch bei weiterer Expansion kein Beschäftigungswunder mit sich. Bei den sozialen Dienstleistungen sind weitere Arbeitsplätze dringend notwendig, aber auch hier wird »rationalisiert«, werden Arbeitszeiten ausgedehnt, Personalkosten gesenkt. Wer etwas dagegen tun will, daß Arbeitslosigkeit zum Dauerschicksal eines großen Teils der nachwachsenden Generation wird, kommt um die Einsicht nicht herum: Ohne durchgreifende Arbeitszeitverkürzung geht nichts. Diese muß flächendeckend und verbindlich sein, um »Schmutzkonkurrenz« unter den Unternehmen und Angstverhalten bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu vermeiden. Nicht ohne Grund hat die frühe Arbeiterbewegung gefordert, daß der Acht-Stunden-Arbeitstag eingeführt und »gesetzlich verbürgt« werde, und zwar »international«. Die Achtundzwanzig-Stunden-Arbeitswoche in den Ländern der Europäischen Union, vom Volk als Gesetzgeber garantiert – das wäre als Ziel der Gewerkschaften ein Signal an die aufbegehrende »Generation abgehängt«.
Erschienen in Ossietzky 17/2011 |
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