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Elinor Ostrom, "Was mehr wird, wenn wir teilen - Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter"

hrsg., überarbeitet und übersetzt von Silke Helfrich; oekom Verlag, München 2011, 126 Seiten – Rezension

von Stefan Janson

Zweierlei muss zu dieser Publikation einleitend kritisch angemerkt werden: erstens ist der Text von der Übersetzerin Silke Helfrich aus zwei älteren Arbeiten Ostroms zusammengeschnitten worden. Zwar weist Helfrich auf diesen Umstand hin und hat auch das Plazet der Wirtschaftsnobelpreisträgerin für dieses Verfahren, aber dem Text selbst merkt man die Eile, mit der dieses Büchlein auf den Markt geworfen wurde, doch sehr an. Kommt der erste Teil analytisch daher und entwickelt ein normatives Gerüst für eine gelingende solidarische Ökonomie, passt der zweite Teil durch seine starken empirischen Bezüge auf die Untersuchung einiger konkreter Gemeingüter weder von der Darstellung her noch strukturell dazu. Zweitens umfasst er lediglich 65 Seiten, also knapp die Hälfte des auch recht großzügig gesetzten Buches, einleitende Texte mit 13 Seiten, ein Glossar von 24 Seiten nebst 3 Seiten Literatur- und Personenangaben stehen dazu in keinem angemessenen Verhältnis. Es mag einem Verlag nicht zu verübeln sein, dass er die öffentliche Aufmerksamkeit nutzt, die sich aus der Vergabe eines Nobelpreises ergeben. Es bleibt aber für die Zukunft zu hoffen, dass der oekom-Verlag von einer solchen Publikationsweise absieht.

Abgesehen von diesen Ärgernissen handelt es sich um eine wichtige kleine Einführung in die Erkenntnisse und das Denken der Trägerin des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften im Jahre 2009, die Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom von der Indiana University in Bloomington/USA.

Ihre Arbeiten sind zum einen ein Generalangriff auf die immer noch wirkmächtigen ökonomischen Lehren der Neoklassik. Diese sind zutiefst vom methodologischen Individualismus geprägt: so etwas wie kollektives Handeln wird, wenn es denn überhaupt zur Kenntnis genommen wird, misstrauisch beäugt. Die Neoklassik huldigt ebenso einem doch sehr einfachen Bild des Menschen als einem "rational egoistisch motivierten Nutzenmaximierers". Sicher muss man dieser Theorie zu Gute halten, dass sie sich auch gegen diejenigen richtet, die über höhere Weihen in der Erkenntnis der "wahren Bedürfnisse" der Menschen verfügen und damit von einer Herrschaft der erzeugten Bedürfnisse zur Diktatur über die Bedürfnisse gelangen. Aber die neoklassische Rigorosität mit ihrer ahistorischen Methodologie und ihrer souveränen Missachtung aller sozialen Einflüsse auf ökonomische Transaktionen ist spätestens mit den Arbeiten Akerloffs über den Einfluss sozialer Identitäten und Präferenzen der Menschen auf ökonomische Transaktionen nicht mehr unangefochten. Kurzum: die Neoklassik kann wirtschaftliches und soziales Handeln von Menschen, Kollektiven und Gesellschaften weder adäquat erfassen noch erklären. Sie ist immer weniger in der Lage, ihre Hegemonie in den Wirtschaftswissenschaften aufrechtzuerhalten. Dieser Sieg der Vernunft über das Dogma ist mit der Verleihung der Wirtschaftsnobelpreise an Akerloff 2001 und Ostrom 2009 manifestiert worden.

Darüber hinaus eröffnet Ostrom eine Perspektive für Formen einer solidarischen Ökonomie jenseits linker Staatsfixiertheit und neoliberaler Marktgläubigkeit. Ostrom geht es um "die Entwicklung einer empirisch gestützten Theorie des kollektiven Handelns, die auf Selbstorganisation und Selbstverwaltung beruht". (S. 22). Dabei stützt sie sich auf die Beobachtung, dass überall auf der Welt Gemeingüter existieren, dass die freiwillige Selbstorganisation zur Bereitstellung öffentlicher Güter Realität ist und ihre Verwaltung durch große Gruppen von Menschen . Nutzern . möglich und erfolgreich ist. Damit verbunden formuliert sie ihr tiefes Misstrauen in staatlich vermittelte bürokratische Lösungen: "Man nutzt vereinfachende Modelle, die zu der Grundannahme verleiten, staatliche Behörden seien in der Lage, eine wirkungsvolle Lösung für eine gesamte Region zu entwickeln, immer in der Annahme, der Staat handele stets im Interesse der Allgemeinheit" (S.27). Dazu bemerkt sie: "Keine Regierung der Welt kann die ganze Palette an Wissen, Instrumenten und Sozialkapital entwickeln, die nötig ist, um nachhaltige Entwicklungsprozesse zu fördern ... Jeder noch so umfassende Maßnahmenkatalog, der in einem großen Territorium Anwendung finden soll, ist zum Scheitern verurteilt" (S.30). Für den Erhalt und die Nachhaltigkeit von Ressourcen ist daher wesentlich, wie die institutionellen Arrangements beschaffen sind, unter denen ihre Nutzung stattfindet. Und dies ist nach Ostrom ohne Einbeziehung der Nutzerinnen und Nutzer in diesem Prozess nicht erfolgreich. Sie müssen ihre Kenntnisse und Fähigkeiten zur Schaffung von Regeln einbringen und ihre Fähigkeiten zur Selbstverwaltung weiterentwickeln. Ostrom schreibt hier "dem Staat" eine wesentliche Rolle zu: "Der Staat kann eine Menge tun, um Selbstverwaltung zu unterstützen. Er kann effiziente und faire rechtsstaatliche Verfahren absichern. Er kann wirksame Eigentumsrechte durchsetzen ..." (S. 31). In diesem kurzen Überblick wird allerdings nicht klar, warum der Staat das über ein gewisses Maß hinaus tun sollte. Ist der Staat in der Sicht Ostroms nicht auch Organisation, die immer eine Tendenz zur bürokratischen Gestaltung und Beherrschung des sozialen Lebens bereithält, maßlos gesteigert bis hin zu der hysterischen Hypertrophie, mit der der bolschewistische und nazistische Staatsapparat allen gesellschaftlich unabhängigen Regungen und Bewegungen begegnete?

Weshalb sollten diese Fähigkeiten lokaler Gemeinschaften zum gemeinsamen Handeln gefördert werden? "Sie müssen sich selbst bewegen, sich selbst organisieren, selbst miteinander und mit anderen zusammenarbeiten" (S. 35). Eine schlichte Beteiligung reicht nicht aus, denn "In der Vergangenheit wurde oft kurzfristig in die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an lokalen Projekten investiert. Dass dies vergeblich ist, ist nicht weiter verwunderlich, denn es ist kosten- und zeitaufwändig, Probleme des kollektiven Handelns zu überwinden" (S. 36). Diese Bemerkung ist neben einer Absage an Scheinpartizipation ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Erstellung und Verwaltung von Gemeingütern einen Wandel im psychologischen Klima der Beteiligten voraussetzt und mit einer Kulturrevolution einhergehen muss. Diese besteht in dem erworbenen und mit jedem praktischen Schritt verstärkten Wissen, dass, ein gewisses Quantum von Zeit und Ressourcen vorausgesetzt, sich die Menschen in der Lage sehen, ihre als eigene erkannten Angelegenheiten auch selbst zu regeln. Um solche Prozesse gelingen zu lassen, empfiehlt Ostrom darauf zu achten, dass "polyzentrische Systeme" geschaffen werden, in denen "die Menschen die Möglichkeit haben, auf verschiedenen Ebenen nicht nur eine, sondern mehrere öffentliche wie private Verwaltungseinheiten zu schaffen" (S.39). Ebenso wie der Rat, fehlerfreundliche Regelungen und Institutionen einzurichten, zielen diese Empfehlungen darauf ab, ein starkes soziales Immunsystem zu schaffen, dass "negative äußere Einflüsse oder innere Funktionsstörungen" überwindet (S.42).

Im zweiten Teil des Büchleins werden aus der langen Reihe von empirischen Studien Beispiele für die Belastbarkeit aber auch das Fehlschlagen von Arrangements zur Schaffung und Nutzung von Gemeingütern geschildert (S. 47ff). In den "Fünf Elementen einer anpassungsfähigen Regierungsführung" (S. 79) werden die basalen Anforderungen für Gemeingüter noch einmal schlagwortartig zusammengefasst. Welche konkrete Regierung sich zu einem solchen Programm der tendenziellen Selbstabschaffung verstehen könnte, bleibt allerdings ungeklärt.

Ostroms Aussagen sind trotz ihrer Schwächen auf eine bemerkenswerte, praxisgesättigte Bestätigung und Weiterentwicklung der Arbeiten von Cornelius Castoriadis zur Errichtung einer selbstverwalteten Gesellschaft, die von sich sagen kann: "Wir sind die, deren Gesetz es ist, sich ihre Gesetze selbst zu geben".

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sopos 8/2011