von Utz Anhalt (sopos)
79 Menschen fielen in Norwegen einem Massenmörder zum Opfer. Der erste Verdacht fiel auf islamistische Terroristen. Dann stellte sich heraus, dass Anders Breivig kein "Islam-Terrorist", sondern ein Muslime hassender Mörder ist. Sein Weltbild legte er auf 1500 Seiten dar. Dieses Manifest wird in den Massenmedien mit dem Begriff "wirr" versehen. Bei Linken gilt der Killer als Neonazi. "Wirr" erscheint die Vernichtungsideologie von Breivik aber nur für den, der die Gefahr durch die neue Rechte in Europa und den USA nicht erkannt hat und nicht erkennen wollte. Ein Nazi im klassischen Sinne ist der selbst ernannte Kreuzritter nämlich nicht: Damir Fras schrieb in der BZ: "Der Massenmörder Anders Behring Breivik versteht sich als Begründer eines neuen Ordens der Tempelritter. Sein Ziel: Europa bis zum Ende dieses Jahrhunderts vom "Multikulturalismus", den er auch als politischen und kulturellen Marxismus definiert, und vom Einfluss des Islam zu befreien." Darin liegt tatsächlich die Quintessenz seines Weltbildes. Und dieses Weltbild hat er mit der Neuen Rechten in Europa ebenso gemein, wie mit katholischen Konservativen. Wie die amerikanischen Neokonservativen, wie Thilo Sarrazin, wie Henryk Broder und die Hetzplattform "Politically Incorrect" und die so genannten "Antideutschen" versteht sich Breivik als proisraelisch und proamerikanisch. Seine Feinde sind "der Islam" und die "multikulturelle Gesellschaft". Er definiert sich als Tempelritter, als Kreuzritter, als Krieger des christlichen Abendlandes gegen die "Invasion des Islam". Al Qaida kämpft im eigenen Selbstverständnis gegen die "Kreuzritter", die in die Länder der Muslime einfallen.
Wer Breivik als "irregeleiteten Einzeltäter" ansieht, vergisst, dass bis auf DIE LINKE von den Grünen bis zu den Christdemokraten alle Parteien im Bundestag einen Krieg führen, den ein christlicher Fundamentalist aus Texas, George W. Bush, als Kreuzzug ausrief. Das humanitäre Feigenblatt, das insbesondere die Grünen und mit ihnen die Kirchentagschristen dem Kreuzzug verpassten, ändert daran nichts. Wie bei jedem Selbstmordattentat, bei jedem Terroranschlag von Al Qaida Muslime auf der ganzen Welt sich sofort empören, dass, wer so etwas tut, kein Muslim sein kann, so sind es jetzt CDU-Politiker, Kirchentagschristen, katholische Konservative, Pfarrer, Pastorinnen, Christen jeglicher Couleur, die, wie aus der Pistole geschossen, Breivik das "Christ-Sein" absprechen.
Im "Wort zum Sonntag" rückt der "Fundamentalismus" an die Stelle der "Extremismus"-Konstruktion. "Fundamentalismus", egal ob christlich oder muslimisch, links oder rechts, sei das Problem. Die meisten Christen wollen mit einem Breivik wohl wirklich nichts zu tun haben. Die Konstruktion, dass es sich um einen "wirren Einzeltäter" handelt, der das Christentum nicht verstanden hätte, erinnert an den "armen Sünder, der vom Weg Gottes abgekommen ist".
Verständlich, dass Christen, die karitativ tätig sind und die "christliche Nächstenliebe" vertreten, einen solchen "Fundamentalisten" als "Nicht-Christen" ansehen. Wer sich aber mit der Kriminalgeschichte des Christentums auch nur ein wenig auskennt, wundert sich überhaupt nicht, dass sich ein rechter Massenmörder als "Tempelritter" inszeniert. Die Fiktion eines "christlichen Abendlandes", das vor der "Invasion des Islam" geschützt werden muss, hat sich nicht ein irrer Kopf ausgedacht, der als leibhaftiger Teufel in Norwegen Menschen umbringt. Die Kreuzritter waren eine historische Realität. Sie fielen im Mittelalter in regelmäßigen Abständen im heutigen Nahen Osten ein, wateten 1096 in Jerusalem im Blut, um das "heilige Land" von den "Ungläubigen" zu befreien. Dass auch diese Mordbrenner "keine Christen" waren, also die "allumfassende Liebe Gottes" nicht verstanden haben, mögen sich freundliche Gläubige zurechtlegen: Für die politische Analyse darf ein solcher Selbstschutz nicht gelten.
Zu Recht kritisiert der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten scharf die Aussage von Thomas Goppel (CSU), wonach es keine fundamentalistischen Christen geben könne: "Goppel zeichnet ein idealisiertes Bild des Christentums, das mit der globalen Realität wenig zu tun hat (...) Gewalt gegen Andersdenkende durchzieht einen Großteil der Geschichte des Christentums. (...) Und in der Tat: Dort, wo sich das Christentum überwiegend aufgeklärt und tolerant präsentiert, ist es im Niedergang begriffen. (...) Ob der Attentäter von Norwegen zu Recht als fundamentalistischer Christ bezeichnet werden kann oder nicht: Wie anderen Religionen wohnt auch dem Christentum ein Gewaltpotential inne, das nicht geleugnet oder verharmlost werden darf."
Der Mörder steht nicht allein, sondern zeigt die Gefahr des Religionsterrorismus des "christlichen Abendlands" heute. Diese "neuen Kreuzritter" sehen die Konfrontation mit dem Islam als "Verteidigung Europas" und definieren sich über die katholischen Mordbrenner, die in der Reconquista die Spanier muslimischen Glaubens aus dem Land jagten bis hin zum Kampf gegen die Türken, die 1683 vor Wien standen. Eine Sympathie für den Staat Israel haben sie deswegen, weil Israel in ihren Augen das Erbe der Kreuzritter weiter trägt, nämlich ein Bollwerk gegen den Islam im "Heiligen Land" zu bieten. Das verträgt sich zwar nicht mit dem 2000 Jahre alten christlichen Judenhass, aber so wie die dschihadistischen Mörder gegen die Sowjetunion noch für die USA arbeiteten, ist den christlichen Terroristen eine Rechtsregierung in Israel vorerst noch ein Verbündeter. Mehr noch: Das Israel einer rassistischen und antiarabischen Regierung verkörpert für sie die wehrhafte Festung im Feindesland – so wie die Kreuzritterfestungen des Mittlelalters inmitten der muslimischen Reiche. "Israel" fungiert für die Terrorchristen als Gegenbild zum "multikulturell verweichlichten Europa". Neu ist das nicht: Die Reconquista vernichtete die aufgeklärte Kultur in Cordoba, das Musterbeispiel einer multireligiösen und interkulturellen Blüte. Mit Feuer und Schwert setzten die katholischen Mordbrenner den katholischen Glauben als einzige Religion durch, schlachteten die jüdischen Intellektuellen und Ärzte, die muslimischen Ingenieure und Verwaltungskräfte ab.
Thorbjörn Jagland warnte in der Süddeutschen Zeitung davor, die Religion mit dem Terror gleichzusetzen: "Weder im Christentum noch im Islam gibt es irgendetwas, das Terrorismus rechtfertigt. Wenn Religionen trotzdem als potentiell terroristisch beschrieben werden, dann fördert das die Kreuzzugsmentalität. Wenn wir, allein durch den Wortgebrauch, den Islam mit Terrorismus verbinden, polarisieren wir die Debatte; die Angst vor Muslimen und vor der Islamisierung sind die Folge." Jagland schreibt als Verfechter der freien und offenen Gesellschaft, wie sie in Norwegen Tradition hat, ein ehrenwertes Anliegen. Ebenso richtig ist es, vor einer Kreuzzugsmentalität zu warnen. Doch diese Kreuzzugsmentalität entspringt den Religionen, der Kreuzzug dem Christentum, der militärisch verstandene Dschihad dem Islam. Die Gefahr in diesem Kern beider Monotheismen liegt in ihrer Ähnlichkeit. Wie George W. Bush und Al Qaida spielen sich auch jetzt Anders Breivik und die Dschihadisten die Bälle zu. Es kann, da liegt Jagland richtig, nicht darum gehen, die Anhänger von Christentum und Islam zu dämonisieren. Selbstverständlich gibt es in allen monotheistischen Religionen menschenfreundliche Auslegungen. Selbstverständlich hat ein Dietrich Bonhöffer nichts mit den katholischen Priestern zu tun, die den Massenmord in Kroatien an Serben und Juden durchführten. Selbstverständlich haben die Opfer der Inquisition, die auf dem Scheiterhaufen brannten und sich selbst als Christen verstanden, nicht die Schuld ihrer Mörder. Selbstredend sind die Muslime, die Opfer des Terrors von Al Qaida werden, nicht die Täter. Leider gibt es aber Schulen und Regeln, die den Terror gegen "Ungläubige" legitimieren, fordern und seit Jahrhunderten praktizieren, im Christentum wie im Islam. Wer das leugnet oder verharmlost, gerät eben in die Falle, einen Breivik nicht erklären zu können. Waren die katholischen Völkermörder in Lateinamerika keine Christen, waren die Päpste, die die Kreuzzüge ausriefen, keine Christen? Waren die Inquisitoren, die die Ketzer auf die Scheiterhäufen warfen, keine Christen? Die Scheußlichkeit besteht auch darin, dass sich die Repräsentanten der Großkirchen gerne mit den Aufrechten schmücken, die als Christen Widerstand gegen das Dritte Reich leisteten oder Menschenrechte vertraten. Sie erwähnen dabei nicht, dass diese Vorbilder in aller Regel gegen die Kirche standen. Was sie auch nicht erwähnen, sind die Blutmeere, in denen ebendiese Kirchen wuchsen und gediehen.
Es geht nicht darum, Christen und Muslimen zuzustimmen, die, wie Michael Schmidt-Salomon sagte, von der Dompteurpeitsche der Aufklärung gezähmt sind, dass christliche Mörder keine Christen, islamistische Mörder keine Muslime seien. Die Basis des "multikulturellen Europas", dass der Kreuzritter Breivik so innig hasst, ist die Rechtsstaatlichkeit. Diese verbindlichen Grund- und Menschenrechte erkämpfte die Aufklärung, erkämpfte der Humanismus unter schweren Opfern, aber letztendlich siegreich gegen die christlichen Kirchen. Die offene Gesellschaft, der säkulare Humanismus ist das Gegengift gegen den neuen und zugleich alten Religionsterrorismus und nicht "Christen, die für den Frieden beten" wie sie morgen die Waffen segnen.
Der Kreuzzug war der katholischen Kirche das, was den Muslimen der Dschihad in der Bedeutung des Heiligen Kriegs ist. Selbstverständlich gibt es im Islam entgegengesetzte Interpretationen wie die der Sufis, die den Dschihad als Krieg gegen sich selbst führen, das heißt, die versuchen, durch Mystik und psychische Arbeit ein guter Mensch zu werden. Und auch im Christentum gab es Bettelmönche, Pazifisten und diejenigen, die die Nächstenliebe auf alle Menschen bezogen. Nur ändert dies nichts daran, dass die Politik der Kirchen eine andere war.
Die Vorkämpfer der allgemeinen und unveräußerlichen Menschenrechte liefen Gefahr, von der katholischen Inquisition auf den Scheiterhaufen geworfen zu werden: Heute kennen wir Ähnliches von den Mullahs im Iran und den Taliban in Afghanistan. Gläubige Christen erörtern, dass Breivik sich nicht als religiösen, sondern kulturellen Christen bezeichnet, also mit der christlichen Religion wenig zu tun hat. Das ist richtig, gerade darin liegt aber die historische Tradition der Gotteskrieger. Das Christentum der Kreuzzüger, des Völkermordes in Amerika und der Inquisition "glaubte" nämlich in einem nur mehr technischen Sinn. Ihr Gott war die Ideologie, die die Skrupel beseitigte. "Für Gott" war der Schlachtruf der spanischen Ritter, "in Gottes Namen" segneten die katholischen Priester die Waffen, den Indianern das Land zu stehlen, war "Gottes Auftrag" an die protestantischen Kolonisten Nordamerikas.
Anders Breivig steht in der zweitausendjährigen Kriminalgeschichte des Christentums mitnichten allein: Von Hernando Cortez, der in Mexiko die Ureinwohner niedermetzelte über die Terroristen der katholischen Reconquista, von den Kreuzrittern, die das "Morgenland" mit Blut und Tod überzogen bis zur gemeinsan mit der SS fröhlich Juden und orthodoxe Serben mordenden katholischen Ustascha: immer hatten diese Christen Gott auf ihrer Seite. Gerade die rationale Irrationalität zeichnete die christlichen Kreuzritter und ihre Nachfahren, die spanischen Konquistadoren aus. Sie hatten "Gott" in der Hintertasche, handelten aber vernichtend effizient. Sie glaubten nicht im Sinne der Mystiker, sondern ihre brutale Intelligenz lag gerade in der Verbindung zwischen Machiavellis Pragmatismus und der spirituellen Vitaminspritze, die ihnen die Päpste, die Priester gaben. Der Indianeraktivist Russell Means fasste den Raubmord an den amerikanischen Ureinwohnern zusammen: "Sie kommen immer zu dritt, der Priester, der Händler und der Soldat." Die Freidenker des 19. Jahrhunderts sahen das ähnlich: "Kirche, Staat und Kapital, dreifaltig sind sie allemal." Es ist ehrenwert, wenn sich humanistisch orientierte Christen vom Terror abgrenzen, wie auch menschenfreundliche Muslime dem dschihadistischen Terror eine klare Absage geben. Diese internen Konflikte sind aber nicht die Diskussionen, die die freie Gesellschaft führen muss. Für die freie Gesellschaft sind die Grundrechte der Menschen auf säkularer Begründung die Basis. Wer die beherzigt, kann glauben, was er will. Dem Übergriff der Religionen und des ihnen innewohnenden Gewaltpotenzials auf die offene Gesellschaft gilt es, die offene Gesellschaft entgegenzuhalten.
https://sopos.org/aufsaetze/4e4f96b2c2f6d/1.phtml
sopos 8/2011