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Es war der Start einer Kampagne, Arbeitszeitverkürzung als Mittel zum Abbau von Arbeitslosigkeit vor allem den Gewerkschaften wieder nahezubringen und sie zu ermutigen, diese Aufgabe ganz oben auf ihre Agenda zu schreiben. Auf dem Tisch lag als Beitrag der Bremer Arbeitszeitinitiative auch eine fröhlich bunt gestaltete Fibel »ABC der Arbeitszeitverkürzung« – die Argumente des Manifestes auf je einer Seite in Postkartengröße für die Hosentasche. Und die Argumentationslogik des Manifests ist einfach: Der Anstieg der Produktivität hat zur Folge, daß weniger Arbeitszeit für die Produktion aufgebracht werden muß. Die erforderliche Arbeitszeit muß verteilt werden, so daß diejenigen, die einen Vollzeitarbeitsplatz haben, weniger lang arbeiten müssen (bei vollem Lohnausgleich zumindest für die unteren Lohngruppen), während Arbeitslose und Teilzeitarbeitende Vollzeitarbeitsplätze bekommen. Allen bleibt Zeit für Ehrenamt und Privates. Das wird im Kosten-/Nutzendiskurs vorgerechnet und im einfachen Ursache-Wirkungszusammenhang vorgetragen. Der erste Tag der Konferenz galt der Arbeitszeitverkürzung als gewerkschaftlichem Projekt – fast ausschließlich bestritten durch Männer als Vortragende und Podiumsteilnehmer. Aber der Arbeitswissenschaftler Steffen Lehndorffs gab schon den kritischen Hinweis, daß Arbeitszeitverkürzung stärker als gesamtgesellschaftliches Projekt in die Debatte eingebracht werden muß, vor allem weil Frauen besonders betroffen seien. Das Abschlußplenum galt genau dieser Frage. Es wurde bestritten von drei Frauen, die sich erst einmal eine längere Redezeit erstritten als vorgesehen. Frigga Haug, die renommierte marxistisch-feministische Gesellschaftswissenschaftlerin, stellte an den Anfang, was in den Reden am Tag zuvor (wie im Manifest) erst als Wirkung von Arbeitszeitverkürzung aufschien: Die gesamtgesellschaftliche Reproduktion mit all der für sie notwendigen Arbeit, die neben der Erwerbsarbeit aufgebracht werden muß, steckt zutiefst in der Krise, weil sie in den neoliberal umgebauten Arbeitsverhältnissen immer weniger geregelt ist – anders als in den Zeiten des männlichen Ernährers, der für die existenzielle Absicherung sorgte, und der fordistischen Hausfrau, die die Fürsorgearbeiten, die Grundlage einer menschlichen Gesellschaft sind, übernommen hatte. Radikaler als das Manifest konstatierte Frigga Haug einen Stand der Produktivkraftentwicklung, in dem täglich vier Stunden Erwerbsarbeit ausreichen, um die für ein gutes Leben notwendigen Mittel herzustellen und die Erwerbsarbeitslosigkeit abzuschaffen. Zugleich plädierte sie für die Verlängerung von Arbeitszeit, damit all das getan werden kann, was bisher nur nebenbei erledigt oder vernachlässigt wird, weil es vom Standpunkt der Gewinnmaximierung nicht als gesellschaftlich wertvoll angesehen wird. Dieses Paradox löste sie in ihrer Annahme auf, daß die menschliche individuelle Existenzweise nicht ohne Arbeit zu denken ist. Die darin liegende Provokation für den Alltagsverstand, der Arbeit spontan mit entfremdeter Lohnarbeit gleichsetzt, löste sie produktiv auf, indem sie die Menschheitsgeschichte als eine erzählte, in der sich der ursprüngliche Zweck von Arbeit, nämlich die Herstellung von Mitteln zur Erleichterung der Tätigkeiten, die dem Menschsein und seiner Entwicklung dienen, im Zuge der technischen Produktivkraftentwicklung verkehrt hat. Das Menschsein wurde (spätestens im Kapitalismus) dem Profitprinzip als Motor gesellschaftlicher Entwicklung untergeordnet. Alle Arbeit, die menschlicher Entwicklung und Fürsorge dient, vom Standpunkt der Profitlogik aber nicht produktiv ist, fand auf der Agenda gesellschaftlich zu regelnder Arbeit keinen Platz mehr, sondern wird dem häuslich privaten Raum mit den dort arbeitenden Frauen »umsonst« überlassen. Haugs Perspektive liegt in der (Wieder)Umkehrung dieser Verkehrung. Schon 2008 hat sie »Die Vier-in-einem-Perspektive« veröffentlicht, in der sie vergegenwärtigt, daß wir tätige/arbeitende Wesen sind und in der Art und Weise dieses Tätigseins uns selbst und Gesellschaft hervorbringen. In der Art und Weise, wie wir diese Arbeiten/dieses Tätigsein verteilen, liegt der Grad der Entwicklung, die wir allen zugestehen. Wenn wir im Sinne der Erkenntnis, daß die Entwicklung der einzelnen die Voraussetzung für die Entwicklung aller ist, vorankommen wollen, gilt es, die Verteilungen grundlegend zu verändern. Haug postulierte, daß wir etwa 16 Stunden am Tag in vier Bereichen tätig sind, die das Menschsein ausmachen: Erwerbsarbeit, Sorge-Arbeit mit und für Menschen, Arbeit an der eigenen Entwicklung und politisches Engagement. Wenn alle in diesen Bereichen arbeiten und sich damit die Chance ihrer umfassenden menschlichen Entwicklung eröffnen, fallen für alle jeweils vier Stunden Tätigsein in jedem der Bereiche an. Durch Verringerung der Erwerbsarbeit gewinnen wir Zeit für die anderen Bereiche. Angelika Zahrnt (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) und Birgit Zenker (Katholische Arbeiterbewegung) schlossen sich in ihren Statements Haugs Analyse ohne Wenn und Aber an und ergänzten und konkretisierten sie mit Erkenntnissen und Erfahrungen aus den eigenen Arbeitsbereichen. Die Diskussion über das Manifest muß also weitergehen. Einzubringen wäre die Geschichte einer anderen Kampagne: Eine Gruppe von Frauen der Partei Die Linke hat mit Frigga Haug so etwas wie ein »Manifest der Vier-in-einem-Perspektive« geschrieben, das das Projekt der Linken aus der Analyse der Arbeitsteilungen begründet und zugleich die historische Fundierung für linke Politik formuliert, die darauf zielt »… alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.« (Karl Marx) Der Text sollte das neue Programm eröffnen, das nun als Leitantrag für den Programmparteitag im Herbst vorliegt. Die Kampagne fand viele UnterstützerInnen, aber in den neuen Programmentwurf wurde der Text nicht aufgenommen. Die Kampagne wird weitergeführt. Sie sollte mit der Kampagne für Arbeitszeitverkürzung verschränkt werden – mit sicherlich allseitigem Gewinn.
Erschienen in Ossietzky 15/2011 |
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