von Utz Anhalt (sopos)
Utz Anhalt: In Sanaa Stadt liefern sich die Kämpfer des Al Ahmar Clans Gefechte mit der Nationalgarde des Präsidenten Saleh. Was sind das für Fraktionen? Was wollen sie?
Riad Al Qadi: Al Ahmar ist der ehemalige Parlamentschef. Derzeit läuft so eine Art Blutrache zwischen der Familie Saleh und der Familie Al Ahmar. Das saudische Königshaus lässt ihre Marionette Saleh gerade fallen. Beide, die Familie Al Ahmar und die Familie Saleh werden seit fünfzig Jahren von Saudi-Arabien finanziert. Beide Familien kommen vom Haschit-Stamm, dessen Männer als Söldner für die Saudis arbeiten. Salehs Vertraute bezeichnen Al Ahmars Männer als "trouble-maker". Al Ahmar rechtfertigt seinen Putschversuch damit, dass Saleh ein Mörder sei. Beide haben Recht. Al Ahmar hat allerdings mit diesem Mörder dreißig Jahre zusammen gearbeitet, und die Morde mit begangen.
Utz Anhalt: Ali Abdullah Saleh wurde bei einem Anschlag auf seine Residenz in Sanaa schwer getroffen. Was ist da genau passiert?
Riad Al Qadi: Es gibt zu dem Anschlag bis jetzt keine Erklärung der Regierung. Gerüchte kursieren, dass Saleh den Anschlag selbst organisiert hat und danach verwundet wurde. Saleh behauptet, zwei Raketen hätten sein Anwesen von außen getroffen. Bilder zeigen, dass Fenster von innen zerbarsten. Es kann Al Ahmar gewesen sein, aber auch jemand anders. Salehs Pressesprecher sagt, die US-Regierung hätte das Attentat verübt. In jedem Fall versucht Saleh, die Wahrheit zu vertuschen und hat einen Konflikt mit seinen amerikanischen Freunden.
Utz Anhalt: Warum finanziert Saudi-Arabien Saleh und Al Ahmar?
Riad Al Qadi: Die Saudis finanzieren Al Ahmar und Saleh seit den 1950er Jahren, um die demokratischen und linken Organisationen im Jemen zu zerschlagen. Saleh bekam jetzt ein Ultimatum von den Saudis und dem Golf-Kooperationsrat, auf sein Amt zu verzichten. Er hat sich geweigert. Jetzt liegt er nach dem Anschlag auf den Präsidentenpalast in einem Krankenhaus in Riad, Saudi-Arabien, schwer verletzt. De facto steht er unter militärischem Arrest der Saudis.
Utz Anhalt: Warum das? Er hat doch Politik für die Saudis gemacht.
Riad Al Qadi: Das hat er, aber Saleh ist untragbar. Die Saudis haben Angst vor einem demokratischen Aufbruch im Jemen wie in Ãgypten und sehen, dass der Despot nicht mehr zu halten ist. Jetzt geben sie ihm die Möglichkeit auf ein Luxusasyl. Er darf seine Milliarden behalten und wird nicht vor Gericht gestellt, bekommt Amnestie, muss aber darauf verzichten, regieren zu wollen. Die saudischen Herrscher erpressen jetzt die Menschen im Jemen: Entweder sie lassen Al Ahmar an die Macht, oder die Saudis geben Saleh frei, und er kommt wieder zurück.
Utz Anhalt: Wer regiert denn derzeit den Jemen?
Riad Al Qadi: Abdurabo Mansur ist Vizepräsident, ein alter Krimineller der südjemenitischen Regierung, verantwortlich für Massenmorde an Sozialisten im Süden 1986. Aber die wirkliche Macht liegt bei Salehs Sohn und Salehs Cousins. In den siebzehn Jahren, die Mansur Vizepräsident ist, war er immer nur ein Vorzeigeschild.
Utz Anhalt: Was will denn Al Ahmar? Was hat er mit der demokratischen Bewegung zu tun, die auf dem Campus der Universität von Sanaa, dem Tahrirplatz des Jemens, demonstriert?
Riad Al Qadi: Er ist der Feind dieser Demokratiebewegung, ebenso wie Saleh, die Konterrevolution. Die Saudis versuchen jetzt, ihn an die Macht zu putschen, damit das alte System bleibt und die Demokraten sich nicht durchsetzen. Und Al Ahmars Kämpfer übernehmen die Drecksarbeit gerne. Immerhin hat Al Ahmar Al Qaida im Jemen mit aufgebaut. Sie liefern sich ihre Feuergefechte mit der Nationalgarde, prügeln aber auch auf die demonstrierenden Demokraten ein, plündern Wohnungen, herrschen mit Waffengewalt über die Straße, erschießen Kritiker. Al Ahmars Kämpfer sind ungebildete Männer aus den Bergen. Die sehen das moderne Stadtleben, für sie ein ungekannter Luxus, und Al Ahmar lässt sie rauben. Für das saudische Herrschaftshaus geht es vor allem um die eigenen Leute. Sie müssen die demokratische Bewegung im Jemen zerstören, um den Menschen in Saudi-Arabien zu zeigen: "Versucht es gar nicht erst." Da gärt es nämlich auch. In Saudi-Arabien trauen sich die Frauen auf die Straße und demonstrieren dafür, Auto zu fahren.
Utz Anhalt: Wie stehen die Chancen für die demokratische Bewegung auf dem Campus von Sanaa? Gibt es im Jemen noch die Möglichkeit eines friedlichen Umbruchs wie auf dem Tahrir-Platz in Ägypten?
Riad Al Qadi: Für die freiheitliche Bewegung sieht es derzeit düster aus. Im Tahrir-Platz hat sich der Umbruch entschieden, als das Militär sich auf Seite der Demonstranten stellte. Das wird im Jemen nicht passieren. Die Nationalgarde steht auf der Seite Salehs, die Söldner aus den Bergen hinter Al Ahmar, beide sind in Sanaa, um den demokratischen Aufbruch zu zerschlagen. Trotzdem feiern die Studenten auf dem Campus, dass Saleh weg ist. Das Volk will keinen Bürgerkrieg, sondern einen Zivilstaat. Die Forderungen nach Demokratie und Rechtsstaat sind die gleichen wie in Ãgypten. Aber Ãgypten ist im Kern heute eine moderne Gesellschaft. Im Jemen gibt es diese Bewegung von gebildeten jungen Menschen in den großen Städten. Aber von denen, die im Nordjemen die Waffen besitzen, hat keiner etwas mit Demokratie im Sinn.
Utz Anhalt: Salehs Truppen und Al Ahmars Kämpfer kommen beide vom gleichen Stamm im Nordjemen. Was wollen die Menschen in Aden, im Südjemen. Das Land war ja lange Zeit geteilt, und heute werden die Separatisten stärker. Steht eine neue Teilung bevor?
Riad Al Qadi: Immer mehr im Süden wollen eine neue Teilung. Die Bewegung in Aden, der Hauptstadt des Südens, ist demokratisch geprägt. Mit Saleh und Al Ahmar ist kein moderner Zivilstaat möglich. In der Teilung sehen viele eine große Chance, besser eine Teilung und ein Rechtsstaat zumindest im Südjemen oder ein geeinter Jemen mit Diktatur und Krieg.
Utz Anhalt: Welche Rolle spielen die Amerikaner? Immerhin haben amerikanische Piloten vorletztes Jahr noch für das saudische Herrschaftshaus die schiitischen Huthi-Rebellen im Nordjemen bombardiert? Stützen sie die demokratische Bewegung? Oder verhindern sie diese?
Riad Al Qadi: Die Amerikaner spielen fast die gleiche Rolle wie die Saudis. Sie lassen Saleh ebenfalls fallen mit Vollgarantie für Luxusleben und Straffreiheit und unterstützen Al Ahmar. Immerhin hat der Jahrzehnte für sie gearbeitet. Das "Organizing Commitee popular Youth Revolution" vom Campus in Sanaa, also das Sprachrohr der demokratischen Studenten fordert die US-Regierung auf, sofort diese Politik zu ändern und sich auf die Seite der Demokratie zu stellen. Sie sagen deutlich, dass sie ein komplett anderes System wollen, nämlich einen Rechtsstaat, und dass sie eine neue Diktatur, dieses Mal von Al Ahmar, nicht mitmachen werden.
Utz Anhalt: In Tunesien und Ägypten stürzte eine demokratische Bewegung die Tyrannen, in Libyen entbrannte ein Bürgerkrieg, in den die Nato einseitig eingreift, und indem die Gegner Gaddafis mitnichten alle Menschenrechtler sind, sondern auch ehemalige Folterknechte des Diktators. Im Jemen ist der Tyrann aus dem Land geflohen, und aus Sanaa sehen wir Bilder wie aus dem Krieg. In welche Richtung geht der Jemen, in Richtung Ãgypten oder Libyen?
Riad Al Qadi: Leider sieht es mehr nach Libyen aus. Vieles hängt an der Politik der Amerikaner. Wenn die US-Regierung und der Golfkooperationsrat versuchen, Al Ahmar durchzusetzen, dann kommt der Bürgerkrieg. Und zwar egal, ob er siegt oder nicht. Denn die demokratische Volksbewegung kann einen Krieg nicht gewinnen. Die ungebildeten Männer aus den Bergen, die für Al Ahmar kämpfen, sind bewaffnet, die Demonstranten in Sanaa nicht, und sie wollen es auch nicht. Sie demonstrieren friedlich und in Massen, aber ohne Gewalt: Wenn die Amerikaner ihre Politik nicht ändern, und wenn sie Al Ahmar an die Macht bringen, gehen im Jemen die Lichter aus. Dann gibt es keine Zukunft für unser Land.
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sopos 7/2011