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Marcel Duchamp – er ließ sich einst von Schaufenstern zur Kunst inspirieren – dient als Alibi. »Den Rahmen für diese Begegnung zwischen Hochkultur und High-Price-Shopping bieten die Schaufenster«, so der »Guide« – oder der Versicherer des Ganzen, »Axa ART redefining / art insurance«, der Unterzeichner des Textes. Natürlich muß der ausstellende Künstler zum »Sortiment« seines Gastgebers passen. Wohin habe ich mich verirrt? Wo ist die Kunst? Die ausgesucht häßlichen Klamotten, wie man diese Textilien nennt, die sind es wohl nicht. Flucht in eine Passage, die Großen Bleichen. Hier sollen »außergewöhnliche Einzelhändler« ebenso viel »Individualismus« ausstrahlen wie der Künstler, dem es gelungen sei, »die Bildhauerei in die Postmoderne zu heben«. Spiegelnde Metallteile stehen herum als »Pneumatic Sculptures«. Weiter. Hier gibt es eine »aufregende Begegnung von Design, Kunst und Fotografie«. Eine Handelsmarke, »Infiniti«, als »Partner« der Hamburger Art Week hat zwei junge Hamburger Fotografen eingeladen, sich dem Objekt »mit ihrer Kameralinse zu nähern«. Das Ziel war, dem »mutigen Design des Modells so zu begegnen, daß dabei etwas erhaben Schönes, Edles und vor allem Künstlerisches« entstehe. Denn, so wissen die Gastgeber: »Der Infiniti FX gilt unter Fachleuten derzeit als das Maß aller Dinge in seiner Klasse der ›Sports Utility Vehicles‹, kurz SUVs«. Ein »echtes Kunst Objekt« hätten die beiden Fotografen aus dem FX gezaubert – in drei Tagen Arbeit, immerhin. Ach, in der Galerie geht es um einen PKW. Oder ist sie ein Autosalon? Bei Karstadt an der Mönckebergstraße stellt ein ehemals (von 1990 bis 2000) leitender Maler des russischen Kriegsmarinemuseums aus. Im dritten Stock, aber auch in sechs Schaufenstern malt er live seine »erhabenen Kunstwerke«. Ganz praktisch, so brauchen Liebhaber nicht erst in die »Hafencity« in das andere Kriegsmarine-Museum zu gehen, das des ehemaligen Springer-Vorstands Peter Tamm, dem der Hamburger CDU-Senat für gute Presse im Wahlkampf 30 Millionen Euro und Mietfreiheit für 99 Jahre spendierte. Die Hafencity ist jedoch einer der Schauplätze der Kunst. Am Überseeboulevard stellen fünf Künstler aus. Der Immobiliendienstleister Grossmann & Berger, »Premiumpartner« der Hamburg Art Week, präsentiert die »Humanities« von Frank B. Ehemann, aber vor allem sich selbst und seinen »Dienst am Kunden«. Sein achter Shop in der City wurde kürzlich eröffnet. In der Nähe findet sich auch Ehemanns Werkschau der »Humanities«: skurrile Tierskulpturen und großformatige Bilder, in denen er »die Surrealität des Sichtbaren« porträtiert. Surreal zeigt sich auch die Hafencity. Sie ist kein Erfolgsobjekt. Gerade berichtete das Hamburger Abendblatt von vielen leerstehenden Büros. Aber die Kunst sei für die »Metropole« Hamburg ein »wichtiger weicher Standortfaktor«, hat der Immobiliendienstleister erkannt. Und so werden die Künstler und Galerien vorübergehend in die Leerräume einquartiert. Die Krise hat manchmal ihr Gutes. Man entdeckt da junge Künstler wie Ryo Kato, in Japan geboren. Auf seinen Leinwänden gibt es keinen freien Platz. Gewalt und die zerstörte Umwelt sind seine Themen. Auf dem Bild » Atom-Müll« strahlt eine blaue Angela Merkel in der Mitte. Es wurde vor ihrer Wende gemalt, gilt ebenso. Zum Überseeboulevard: Hier zaubert Manfred Stader dreidimensionale Illusionen auf das Pflaster, einen wilden Wasserfall, in den alles zu stürzen scheint. Die gesamte Hafencity – vielleicht auch die Elbphilharmonie? Wer ihn sponsert, ist nicht genannt. Wahrscheinlich nicht JCDecaux, »weltweit führend im Bereich Stadtmöblierung und die Nummer eins in der Großflächenwerbung in Europa«. Auch sie ein »Partner« der Art Week. In Hamburg hat JCDecaux schon seit 1982 »vollautomatische Toilettenanlagen« eingeführt – bis jetzt über 30 Stück. Das ist doch wirklich Kultur. Hamburgs teuerste Einkaufsstraße vertrieb mich. Mein Bäcker am Bahnhof verkauft diesmal nach 18 Uhr alles, was noch übrig ist, für die Hälfte. Da kann ich nicht widerstehen. Mit duftenden Brottüten bepackt komme ich zum Eröffnungs-Event im Innenhof des Chilehauses. Als Einzige ohne Namensschildchen. Die Performance gefällt mir – nur nicht die unendlich langen Werbe-Einführungen. Alle Sponsoren wollen genannt sein. Die drei Künstlerinnen der »Human Kinetics« wickeln sich in die langen weißen Stoffbahnen, die vom Haus herunterhängen. Sie verwandeln sich in Engel mit Riesenflügeln, in die sie sich einhüllen, sich verstecken, wie Schutz suchend vor dem, was sie umgibt: die wunderschöne Label-Welt. Ich überlege: Wie werden sie enden? Es gibt kein Ende, die elektronisch blubbernde Musik hört plötzlich auf und mittendrin auch die Künstlerinnen. Für ungeduldige Event-Kunden hat die Vorführung wohl zu lange gedauert. Es geht weiter zum Aufgang C in den dritten Stock des Chilehauses. Hier wartet weitere Kunst mit einem Büfett. Das Chilehaus, erbaut im Stil des Backsteinexpressionismus – vorgeschlagen als Weltkulturerbe, 1993 von der »Union Investment Real Estate GmbH« erworben: der »perfekte Ort«, um die »Art Week« feierlich zu eröffnen. Ich fühle mich als Störfaktor mit meinen Brötchentüten und verlasse den Ort bald. Vorher sehe ich mir die Installation an, die den Boden des langgestreckten Raumes bedeckt: Birkenstämme, ordentlich in Fünferreihen. Wie Soldaten? An der Wand eine Konstruktion: rohes Holz, unregelmäßig, hinter einem Gitter aus bearbeitetem, poliertem Holz, das metallisch glänzt. Der Künstler Jan De Weryha ist in Polen geboren, im »Guide« steht: in Danzig. Auch Alexandra Hinz Wladyka wurde dort geboren. Beide leben in Hamburg. Ihre Bilder sind rätselhaft, Labyrinthe in blassen, aber glänzenden Farben. Dazwischen Körperliches. Ein Titel: »Wir sind, woran wir uns erinnern«. Der Text im »Guide« glaubt eine »temporäre Raumerfahrung« spüren zu können, in der »die einzelnen Arbeiten und ihre direkte Umgebung im Chilehaus als sich aufeinander beziehende Elemente eines großen vergänglichen Ganzen fungieren«. Der Raum werde zum Kunstobjekt, eine »optimale künstlerische Tätigkeit von Union Investment«, einem der »führenden europäischen Investment Manager, der derzeit ein Gesamtfondsvermögen von rund 19 Milliarden Euro in sechs offenen Immobilienfonds verwaltet«. Ich verzichte aufs Büffet, steige mit den Tüten die Treppen hinunter zum U-Bahnhof Meßberg gleich nebenan. Und stoße auf ein Schild am Kontorhaus Meßberghof, eine Gedenktafel für die Juden, die durch das Giftgas Zyklon B in den Konzentrationslagern umgebracht wurden. Die Lieferfirma Tesch & Stabenow hatte hier ihr Büro.
Erschienen in Ossietzky 14/2011 |
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