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Gegen die vom Berliner Wissenschaftssenator Manfred Erhardt angeordnete Abwicklung hatte der Akademische Senat der Humboldt-Universität beim Verwaltungsgericht geklagt. Voller Wende-Optimismus wollten die Mitarbeiter aller Bereiche und aller Ebenen zusammen mit den Studenten die HU aus eigenen Kräften rekonstruieren, dankbar für freundschaftlich beratende Hilfe aus Universitäten des Westens. Die akademischen Gremien und die Verwaltung zählten längst nicht mehr die Überstunden. Doch das Verwaltungsgericht Berlin wies am 20. Februar 1991 die Klage der Universität ab. Der Einsatz der Abrißbirne war damit freigegeben. Der Senator war entschlossen, fünf Fachbereiche abzuwickeln: Wirtschafts-, Rechts- und Erziehungswissenschaften, Geschichte und Philosophie. Dafür hatte er je eine Struktur- und Berufungskommission eingesetzt. Diese Kommissionen sollten nicht nur den neuen Zuschnitt und den Personalbedarf der Fachbereiche sowie Lehrinhalte und Prüfungspensen bestimmen, sie sollten auch Berufungsvorschläge machen. Zusammengesetzt waren sie aus drei Professoren aus den alten Bundesländern, drei Professoren aus der Humboldt-Universität, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter und einem Studenten. Leiter der Kommissionen waren die vom Senator eingesetzten Neugründungsdekane. Als Dekan für den neuen Fachbereich Wirtschaftswissenschaften kam Professor Wilhelm Krelle, Emeritus aus Bonn, zu einem Vorstellungsgespräch in das Rektorat. Als erstes teilte er mir mit, daß es für demokratische Bürger und Wissenschaftler unzumutbar sei, immer noch an dem Marx-Zitat im Vestibül vorbeigehen zu müssen: »Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.« Sodann wolle er mich nun über die notwendigen »tiefgreifenden Veränderungen« im Bereich Wirtschaftswissenschaften informieren. Ich hatte schon erfahren, daß er ein europaweit anerkannter Mathematiker, Physiker und Wirtschaftswissenschaftler sei. Er betonte, er sei »deutscher« Volkswirt. Er stamme aus einer alteingesessenen Magdeburger christlichen Akademikerfamilie. Mit Überzeugung habe er sich nach dem Abitur für die Offizierslaufbahn entschlossen. Erst nach dem Krieg habe er studiert, in Nationalökonomie promoviert und sich 1956 habilitiert. Nach weltweiter Lehrtätigkeit sei er 1982 emeritiert, aber seinem Freund, Senator Erhardt, habe er die Bitte nicht abschlagen wollen, als Gründungsdekan an der HU noch einmal aktiv zu werden. Er müsse nun von Grund auf »reinemachen«, das heißt, die Mehrzahl der bisherigen Mitarbeiter müsse entlassen werden, denn »marxistische Ökonomie« sei doch das Gegenteil von Wissenschaft. Wie nebenbei erwähnte er seine fünf Ehrendoktorwürden und daß er das Bundesverdienstkreuz erhalten habe. Seinen exorzistischen Eifer bekräftigte er mit der launigen Bemerkung, daß, solange er Gründungsdekan sei, kein Marxist seinen Fuß über die Schwelle seiner Fakultät setzen dürfe. Aber im Juni 1991 entschied in einem Eilverfahren das Berliner Oberverwaltungsgericht, daß die Abwicklung der fünf Fachbereiche »rechtswidrig« sei. Was nun? Der Senator war blamiert. Aber unter dem massiven Druck von außen waren in den Universitätsgremien inzwischen Risse entstanden, und so ließ der Akademische Senat zu, daß die eingeflogenen Gründungsdekane samt ihren Berufungs- und Strukturkommissionen die fragwürdige Demokratisierung durch Entlassungen fortsetzten. Zudem hatte sich ein Kuratorium als »Aufsichtsgremium« konstituiert, in dem Staats- und Universitätsvertreter über Geld und Stellen entschieden. Als Professor Krelle, wie er selber sagte, dem Senator die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät »besenrein« übergab, waren von den ehemals 180 Hochschullehrern nur noch 20, wenig später sogar nur zehn übrig geblieben. Zu den 170 Fakultätsangehörigen, die aus politisch-moralischen Gründen wie »Akzeptanz der Diktatur« und wegen des Vorwurfs »wissenschaftlicher Unzulänglichkeit« ihren Arbeitsplatz räumen mußten, gehörte auch der Wirtschaftswissenschaftler Professor Hans Schmidt. Vier Jahre bemühte er sich vergeblich um Rehabilitierung, obwohl ihm die Freie Universität im Berliner Westen ein aktuelles Gutachten über seine umfassende wissenschaftliche Qualifikation ausgestellt hatte. Der Rechtsanwältin Barbara Wilke gegenüber hatte Krelle in der törichten Pose der Inquisators geäußert, daß er Schmidt unter allen Umständen von der HU entfernen werde ... Der jahrelang erfolglose Arbeitsrechtsstreit ließ Schmidt dann an den »demokratischen« Rechtsvorstellungen des Einigungsprozesses zweifeln und verzweifeln. Er hatte gelernt, mit seiner langjährigen Körperbehinderung zu leben, die tiefe Verletzung seiner Menschenwürde vermochte er 1996 nicht länger zu ertragen. Er beendete sein Leben – wie auch viele, allzu viele andere Akademiker. Krelles unerbittlicher antikommunistischer Beichtspiegel hatte sich bewährt. Für seine eigene Biographie ließ er allerdings milde Kriterien gelten. Es war schon bekannt, daß er nicht nur Offizier der deutschen Wehrmacht, sondern seit 1944 Sturmbannführer der SS-Panzergrenadierdivision »Götz von Berlichingen« war. Das hinderte aber die Kommission zur Verleihung der Ehrendoktorwürde nicht, ihm im Jahr 1994 diese Ehre zuzuerkennen. Vorausgegangen war der Vorschlag, Günther Grass zu ehren, der aber bei den Westkollegen in der Kommission keine Zustimmung gefunden hatte und zwar wegen Grass‘ ungeklärter Mitgliedschaft als 18-Jähriger in der Waffen-SS. Studenten wurden aktiv, der Biographie Krelles nachzugehen. Es bestätigte sich, daß er zum Generalstab des VIII. SS-Korps gehört hatte. Aber selbst von Krelle unterschriebene Befehle zum Erschießen von Deserteuren und aufgespürten KZ-Häftlingen wurden nicht als belastende Dokumente eingestuft. Sicherheitshalber forderte der Akademische Senat dann doch zu Krelles Verantwortungsgrad bei der Waffen-SS ein Gutachten der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Von einem dortigen Militärhistoriker bekam er eine vage Auskunft, die Krelle entlastete. Und so wurde zum ersten Ehrendoktor der befreiten, entseuchten und reinegemachten HU ein Mann ernannt, der an der Okkupation Griechenlands durch die Nazi-Wehrmacht und am Afrikafeldzug beteiligt war und ab 1944 bis zur bedingungslosen Kapitulation Deutschlands sogar seine SS-Panzergrenadierdivision befehligt hatte. Dieser Skandal bewegte vorübergehend die Presse, aber in der Laudatio für den Ehrendoktor wurde Krelle »eine integere Persönlichkeit« genannt, »die als Wissenschaftler und Mensch Vorbild ist für alle heranwachsenden Wissenschaftler«. Glücklicherweise müssen immer noch alle, die das Vestibül der Humboldt-Universität betreten, die Aufforderung von Marx zur Kenntnis nehmen, daß die Welt verändert werden müsse. Gerechtigkeit, Solidarität und Bereitschaft zu friedlicher Verständigung wären dafür wichtige Kriterien. Die Ossietzky-Serie des 1990 gewählten Rektors Heinrich Fink über die Humboldt-Universität Berlin in der Wende-Zeit wird nach der Sommerpause weitergeführt.
Erschienen in Ossietzky 13/2011 |
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