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Die uneingeschränkte Solidarität mit den USA und mit Israel, nicht mit den Menschen dort, sondern mit den politisch Herrschenden, gehört zu den Kernelementen (west-)deutscher Außenpolitik, die von Kanzlerin Merkel anläßlich ihrer Knesset-Rede zum 60-jährigen Bestehen des Staates Israel zur »Staatsräson« erhoben wurde und damit so etwas wie Verfassungsrang erhalten hat. Das Verhältnis zu Israel ist das Stöckchen, das die Herrschenden, die ihnen verbundenen Medien, die sich links fühlenden »Antideutschen« und wer auch immer der Linken hinhalten, damit sie es artig entweder überspringt oder beim Sprungversuch auf die Nase fällt. Dumm nur, daß es auf Seiten der Linken eine Reihe von Leuten in höheren Positionen gibt, die auf Teufel komm raus Anschluß zu den etablierten Kräften dieser Republik suchen, sei‘s weil sie von der Gedankenwelt der Bourgeoisie angesteckt wurden, sei‘s weil sie einen realpolitischen Zugang zum Mitregieren vermuten. Aber jede Anpassung, die ideologische und die machtpolitische, endet in einer Sackgasse, in der die Linke als gesellschaftspolitische Alternative zerrieben wird. Dabei gäbe es souveräne und politisch vernünftige Möglichkeiten, sich über Israel zu äußern, ohne sich dabei den parteitaktischen Absichten der Gegner zu unterwerfen. Wer die Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Kenntnis nähme, müßte begreifen, daß es im historischen Palästina nur zwei Möglichkeiten des Zusammenlebens der beiden Völker gibt: in einem Staat zusammen – dann allerdings in einem säkularisierten demokratischen Gemeinwesen, in dem alle BürgerInnen mit denselben Staatsbürgerrechten ausgestattet sind – oder in zwei Staaten, einem israelischen und einem palästinensischen, wie es der UN-Teilungsplan von 1947 vorgesehen hatte. Die Tragödie besteht darin, daß Israel zum Staat wurde, während ein palästinensischer Staat bis heute nicht zustande kam. Hinzu kommt, daß in den 44 Jahren seit dem Sechstagekrieg Israel alles unternommen hat, um eine Staatslösung für die Palästinenser zu untergraben. Die Siedlungspolitik und die andauernde Besatzung haben dazu geführt, daß die Gründung eines lebensfähigen palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 derzeit nur schwer möglich erscheint. Da die USA, die Europäische Union und die Bundesregierung in all diesen Jahren nichts unternommen haben, um den Palästinensern zu ihrem Recht zu verhelfen, da die Vereinten Nationen seit 44 Jahren vergeblich darauf hoffen, daß Israel irgendeine der vielen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats erfüllt, und da jedes Jahr, das unverrichteter Dinge verstreicht, den Alptraum für die Palästinenser noch unerträglicher macht und zugleich einer gesicherten Zukunft der israelischen Bevölkerung Schaden bringt, sind politische Initiativen, die sich der Sache der Palästinenser annehmen, nur zu begrüßen. Nicht jede Initiative wird zum Ziel führen, manche sind nur symbolischer Art und können an der harten Realität zerschellen, wieder andere mögen wirkungslos verpuffen. Sie aber mit einem faktischen Verbot zu belegen, wie es die Linksfraktion mit ihrem Beschluß vom 7. Juni 2011 getan hat, und sie im Kontext des Beschlusses in die Nähe des Antisemitismus-Verdachts zu bringen, bedeutet das Ende jedes seriösen Diskurses über gangbare Wege zum Frieden im Nahen Osten. An einem Beispiel möchte ich das verdeutlichen: Die Linksfraktion im Bundestag verbietet in ihrem Beschluß eine Teilnahme an der für Juli geplanten Gaza-Hilfsflotte. Eine Begründung hierfür wird nicht gegeben. Das wäre der Fraktion auch sehr schwer gefallen, denn noch in ihrem eigenen Nahost-Positionspapier vom April 2011 wird die Abriegelung des Gaza-Streifens als besonders schwerwiegendes Problem beschrieben. Danach stellen »die israelische Besatzung, die noch immer bestehende Abriegelung des Gazastreifens, die zu einem systematischen Mangel an Nahrungsmitteln, Brennstoffen und an elementaren technischen Mitteln führt, eine Kollektivstrafe für die 1,5 Millionen Menschen in Gaza dar, die das Völkerrecht ausdrücklich verbietet«. Und nachdem das israelische Militär die Hilfsflotte 2010 aufgebracht hatte, war Gregor Gysi beim israelischen Botschafter vorstellig geworden und protestierte laut Presseerklärung der Fraktion »gegen den völkerrechtswidrigen Akt mit Toten und Verletzten gegen die Schiffe, die Hilfsgüter nach Gaza bringen wollten,« sowie »gegen die Seeblockade des Gazastreifens durch Israel« Ein Jahr später wird ein zweiter Versuch, die Blockade des Gazastreifens mit einer Hilfsflottille friedlich zu durchbrechen, unakzeptabel?! Antisemitismus bekämpft man nicht dadurch, daß man sich den offiziellen Standpunkt der israelischen Regierung zu eigen macht und vor ihren Sprachrohren und selbst ernannten Sittenwächtern hierzulande kuscht, sondern dadurch, daß man die Fehlentwicklungen im israelisch-palästinensischen Konflikt analysiert und nach politischen Wegen sucht, sie zu korrigieren. Die Einhaltung des Völkerrechts und die Achtung der Menschenrechte sind dabei die wichtigsten Maßstäbe. Wenn arabische Länder gegen internationales Recht verstoßen, sind die »linken Antisemitismus« verfolgenden Eiferer schnell bereit, UN-Sanktionen oder gar militärische Maßnahmen zu fordern; im Fall Israels verbitten sie sich jeden Gedanken an Sanktionen. Sie sehen auch kein Problem darin, den Völkerrechtsbruch Israels mit immer neuen Waffenlieferungen, Handelspräferenzen und anderen Wohltaten zu honorieren. Soll das auch Programm der Linkspartei werden? Ich weigere mich, das zu glauben. Vor mir liegt der Aufruf einer Initiative, die nächste Fahrt einer Gaza-Hilfsflottille und andere Solidaritätsaktionen mit Palästina zu unterstützen. Der Aufruf trägt den Titel »Gegen die Blockade der besetzten palästinensischen Gebiete«. Darin heißt es: »Die Palästinenserinnen und Palästinenser sowohl in Gaza als auch in der Westbank sind vom Rest der Welt und auch untereinander durch Enklaven, eine Art Bantustans, isoliert. Seit 2001 reisen Aktivistinnen und Aktivisten aus aller Welt nach Palästina ein, um den gewaltlosen palästinensischen Widerstand zu unterstützen und um die Isolation durch die israelische Besatzungsmacht zu unterlaufen. (…) Am 8. Juli 2011 werden wir mit hunderten, möglichst tausenden Internationalen dieses israelische Grenzregime herausfordern, das das internationale Recht mißachtet und nicht zu rechtfertigen ist. (…) (Wir) werden am 8. Juli am Flughafen in Tel Aviv einreisen und auf dem Recht bestehen, nach Palästina zu reisen. Wir werden nicht leugnen, daß wir vorhaben, unsere palästinensischen Freundinnen und Freunde zu besuchen, die uns herzlich eingeladen haben. Wir werden keine Erklärungen unterschreiben, laut denen wir versprechen, nicht in die besetzten palästinensischen Gebiete einzureisen.« Wenn die internationale Politik versagt, wenn die Regierenden der mit Israels Regierung besonders eng verbundenen Staaten tatenlos zusehen, wie eine Friedenslösung im Nahen Osten, die auf sicheren Grenzen für zwei lebensfähige Staaten beruht, seit Jahren und Jahrzehnten torpediert wird, muß die Zivilgesellschaft einspringen. Ein Mittel dazu sind Aktionen, welche die Abriegelung des Gazastreifens, Siedlungsbau in den besetzten Gebieten und Landraub thematisieren. Das scheint mir wesentlich hilfreicher zu sein, als den Protest gegen israelische Regierungspolitik unter Antisemitismusverdacht zu stellen und im übrigen den Kopf in den Sand zu stecken. Netanjahu und Lieberman würden sich in ihrem kompromißlos kriegerischen Kurs bestätigt fühlen. Und genau hier liegt die Gretchenfrage für linke Politik: Ist der innerparteiliche Vorstoß gegen praktische Kritik an der israelischen Regierungspolitik am Ende nichts Anderes als das Aufweichen der bisherigen Anti-Kriegs-Positionen in der Linkspartei, damit sie sich endlich, endlich als koalitionsfähig präsentieren kann?
Erschienen in Ossietzky 13/2011 |
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