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Abgelehnt wurden das von Berlusconi 2009 mit dem französischen Präsidenten Sarkozy verabredete Gesetz zur Wiederaufnahme der Atomenergie (die bereits 1987, nach Tschernobyl, per Volksentscheid mit 80prozentiger Mehrheit der Wähler abgelehnt worden war), zwei Paragraphen zur Privatisierung der öffentlichen Wasserversorgung und die Begrenzung juristischer Verfolgung von Regierungsmitgliedern im Amte, vor allem von Berlusconi selbst. Die italienische Verfassung gibt dem Volk das Recht zum Referendum, mit dem es umstrittene Parlamentsentscheidungen umstoßen kann. Voraussetzung ist, daß eine repräsentative Anzahl der Wahlbürger dieses demokratische Korrektiv eingefordert hat und daß dessen Verfassungskonformität vorab gerichtlich bestätigt worden ist – ein Prozeß, der sich über viele Monate hinzieht. In der Geschichte der Republik waren es große Fragen wie 1946 die nach einer neuen Staatsform (Republik) oder in den 1970er Jahren die nach der Einführung der Ehescheidung und der legalen Abtreibung, die per Referendum entschieden wurden. Seit Mitte der 1990er Jahre erreichten jedoch kaum noch Volksentscheide das notwendige Quorum von 50 Prozent der Wahlberechtigten plus einer Stimme. Die erneute Absage des Wahlvolkes an Entscheidungen der Politiker, besonders zur Atomenergie, ist nicht primär als Reaktion auf die Katastrophe von Fukushima zu verstehen, sondern entspringt vor allem der zivilgesellschaftlichen Opposition gegen Berlusconi, die seit Jahren aktiv ist und immer wieder große Protestaktionen und Streiks organisiert hat, aber bei den politischen Wahlen oft um wenige Prozentpunkte unterlag und aufgrund des Mehrheitswahlrechts keine wirksame parlamentarische Opposition ausüben konnte. Das Referendum vom 12. Juni war von der Regierung nicht nur nicht gefördert, sondern massiv behindert worden: Berlusconi hatte kurzfristig versucht, durch ein Moratorium die Entscheidung über die Atomenergie auszuhebeln; die Abstimmung sei unnütz, ließ er verlauten. Das öffentliche Fernsehen kam bis in die letzten Tage vorher seiner Informationspflicht nicht nach, das Publikum erhielt kaum Sach-Informationen. Auch die größte Oppositionspartei, die der Demokraten (PD), gehörte nicht zu den Betreibern des Referendums (dieses Verdienst gebührt vor allem der kleinen Partei der Grünen und der »Werte«-Partei Antonio Di Pietros, des politisch aktivsten Gegners Berlusconis), sondern hielt sich lange abseits. Erst die Wahlniederlage der Berlusconi-Koalition bei den Wahlen in vielen Gemeinden und Provinzen im Mai, vor allem in Mailand und Neapel, versetzte der von Pierluigi Bersani geführten Demokratischen Partei den nötigen Adrenalinstoß, doch noch auf den fahrenden Zug zu springen. Aber ohne die kapillare Kleinarbeit der lokalen Bürgerinitiativen und der auf vielen Plätzen protestierenden, gegen ihr Absinken ins Prekariat aufbegehrenden Jugend und ohne Benutzung des Internets wäre das Erreichen der Mindestwahlbeteiligung wohl nicht möglich gewesen; die meisten hatten bis zuletzt daran gezweifelt. Die Tatsache, daß das Quorum landesweit mit 57 Prozent eindrucksvoll überschritten wurde, auch überall im Süden, und daß die Ja-Stimmen, die die Gesetze ablehnten, 95 Prozent erreichten, zeigt, daß auch nicht unbeträchtliche Teile der bisherigen Wähler von Berlusconi und Bossi inzwischen ernüchtert sind. Die Analysen der komplexen Wahlergebnisse der Abstimmungen vom Mai und Juni sind nicht abgeschlossen, aber eines ist deutlich: Die inner- wie außerparlamentarische Opposition wird so schnell wie möglich eine präsentable Alternative zur noch herrschenden Regierung entwickeln müssen, wenn sie diese Resultate nicht verspielen will. Berlusconi sitzt noch immer im Sattel, kann aber nicht mehr ignorieren, daß der Wind sich in den letzten Monaten gedreht hat: Seine Verbündeten werden zunehmend nervös, sofern nicht abtrünnig. Im Verein mit der Lega wiederholte er zwar in seiner Regierungserklärung am 21. Juni sein obsoletes Steuersenkungsprogramm, und für den Fall einer Regierungskrise drohte er mit dem Damoklesschwert der internationalen Rating-Agenturen. Aber die tiefe Krise der Wirtschaft, die hohe Jugendarbeits- und Perspektivlosigkeit erfordern ein radikales Umdenken und die Einbeziehung bisher brachliegender Ideen, Energien und Kräfte, die – wie soeben erwiesen – im Lande vorhanden sind. Die überraschende Wahl von zwei politischen Outsidern, die nicht von der PD-Opposition nominiert worden waren, zu neuen Bürgermeistern von Mailand (Giuseppe Pisapia, ein besonnener Rechtsanwalt der kommunistischen Restlinken) und Neapel (Luigi De Magistris, ein unbeugsamer ehemaliger Richter aus der Partei Di Pietros) stellen eine Herausforderung für beide großen politischen Lager Italiens dar.
Erschienen in Ossietzky 13/2011 |
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