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Gestohlen waren – offenbar das einzige, woran die Diebe interessiert waren, – zwei Ordner mit Hunderten von Solidaritätsbekundungen ehemaliger Studenten, Hochschullehrer und vieler Freunde. Eine vielsagende Kulisse für das erste Gespräch der weither Angereisten. Leiter der Delegation war Lode van Outrive, Mitglied des Europäischen Parlamentes, Sozialdemokrat, Mitglied des Ausschusses für Recht und Bürgerrechte; Professor der Juristischen Fakultät der Universität von Louvain, zeitweilig Präsident der Flämischen Liga für Menschenrechte. Initiator der Entschließung »zur Verletzung von Freiheit und Unabhängigkeit in Lehre und Forschung der Berliner Humboldt-Universität durch den Berliner Senat und die drohende Entlassung der Mehrzahl der Wissenschaftler und Hochschullehrer zu Beginn des neuen Akademischen Jahres«, die vom Europäischen Parlament im September 1991 verabschiedet worden war. Weitere Delegationsmitglieder waren: Régine Dhoquois vom Vorstand der Französischen Liga für Menschenrechte, Mitglied der Internationalen Föderation der Menschenrechtsligen, Vertreterin der Vereinigung demokratischer Juristen, Professorin für Rechtswissenschaften und Soziologie an der Universität Paris 7; Erik Göthe, Rechtsanwalt in Stockholm, Vertreter eines Appells aus Schweden, den mehr als Hundert bekannte Professoren, Publizisten und Politiker unterzeichneten, darunter Jan Myrdal und Kjell-Olof Feldt; Cornelius Koch, katholischer Theologe aus der Schweiz, als Menschenrechtler besonders aktiv für die Rechte von Flüchtlingen, Vertreter eines Appells, mit dem 33 Schweizer Kirchenmänner, Schriftsteller und Professoren gegen meine Entlassung protestierten; Jacqueline Soetenhorst, Juristin, Professorin an der Universität Amsterdam, Mitglied des holländischen Senats; Johannes Vogele, Präsident des Europäischen Bürgerforums, und Jürgen Holzapfel, Mitglied des Europäischen Bürgerforums. Das Europäische Bürgerforum hatte bereits 1991 die Humboldt-Universität unterstützt, als sie sich gegen die »Abwicklung« erfolgreich wehrte und beim Bundesverfassungsgericht gegen das neue Berliner Hochschulergänzungsgesetz Verfassungsbeschwerde einreichte. Die Delegation führte Gespräche ohne Unterlaß: mit mir über die Entwicklung an der Humboldt-Universität seit dem Herbst 1989; mit Hans Jürgen Fischbeck, Abgeordneter des Bündnis 90 im Berliner Abgeordnetenhaus; mit dem Medizinprofessor Peter Althaus, der im Juli 1991 wegen angeblicher Stasi-Mitarbeit fristlos entlassen worden war, und mit Rechtsanwalt Gert Trube, der mich vor dem Verwaltungsgericht Berlin vertrat, aber auch mit Altbischof Albrecht Schönherr über die Entwicklung der Evangelischen Kirche in der DDR und meine Arbeit an der Sektion Theologie der Humboldt-Universität und in der Christlichen Friedenskonferenz. An dem Gespräch waren auch westdeutsche Kirchenvertreter beteiligt. Eine Stunde lang konnte die Delegation den Akademischen Senat der Humboldt-Universität befragen, und sie traf Pfarrer Hans Joachim Gauck und den Juristen Hans Jörg Geiger als Verantwortliche der Gauck-Behörde. Besonders wichtig war es der Gruppe, mit Manfred Erhardt, Senator für Wissenschaft und Forschung des Landes Berlin, zu reden. Anschließend informierte die Delegation auf einer öffentlichen Veranstaltung der Humboldt-Universität über ihre ersten Eindrücke und hatte danach auch noch ein Treffen mit dem Bundestagsabgeordneten Wolfgang Ullmann (Bündnis 90). Schon im folgenden Monat, Februar 1992, veröffentlichte die Delegation ihren »Abschlußbericht mit Schlußfolgerungen«, in dem sie die Gespräche zusammenfaßte, meine ausführliche persönliche Erklärung zu Stasi-Vorwürfen und Entlassung im Wortlaut abdruckte und auch die Wertung des Besuches der Bürgerrechtler-Delegation durch Senator Erhardt auf einer Pressekonferenz am 8. Januar zitierte: »Sie kannte die primitivsten rechtsstaatlichen Verfahrenswege, die nun einmal gängig sind, nicht. (...) Unter den sogenannten Juristen herrschten zum Teil völlig irrige Vorstellungen über die rechtsstaatlichen Verfahrenswege hier.« Der Bericht enthält unter anderem folgende Schlußfolgerungen: »Die uns vorgetragenen Unterlagen der Gauck-Behörde enthalten keinen Beweis für eine Tätigkeit von Professor Fink als Informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit (...) Die Angaben der Gauck-Behörde bedeuten lediglich: ›Herr Professor Fink wurde in den Akten des MfS als Inoffizieller Mitarbeiter geführt.‹ (...) Die ›Gauck-Behörde‹ erfüllt nicht ihre Aufgabe als unabhängige Behörde mit einem klaren gesetzlichen Auftrag. Herr Gauck und Herr Erhardt schieben sich gegenseitig die Verantwortung für die Entlassung des Rektors der Humboldt-Universität zu (...) Dr. Geiger von der Gauck-Behörde sagt, ›wir haben die Pflicht, darüber zu berichten, eine Entscheidung treffen wir nicht. Der Arbeitgeber muß sich auch überlegen, ob die Informationen als Beweis ausreichen, er muß daraus die Konsequenzen ziehen.‹ Senator Erhardt hingegen sagt, ›... ich verlasse mich hier auf Herrn Gauck, denn Herr Gauck ist die zuständige durch Gesetz eingerichtete Bundesbehörde ...‹ Die Entlassung des Rektors zu diesem Zeitpunkt war eine politische Entscheidung von Wissenschaftssenator Erhardt (...) Nach dem Hochschulrahmengesetz können Hochschullehrer und der gewählte Rektor einer Universität nur von der Hochschule selbst entlassen bzw. abgewählt werden. Die Personalkommission, die die Kündigung von Professor Fink beschlossen hat, ist eine im Juli 1991 geschaffene Einrichtung der Regierung und kein Gremium der Universität. Sie hat die Kündigung von Professor Fink mit vier zu drei Stimmen beschlossen, wobei die Stimme von Senator Erhardt ausschlaggebend war.« Die Broschüre in der noch viele Stimmen festgehalten sind, schließt mit einem Redebeitrag von Joachim Höchel, Mitglied des Studentenrats: »Wenn Persönlichkeiten aus mehreren europäischen Ländern hierher kamen, um sich Informationen zu holen, und in ihren Einschätzungen zu ähnlichen Schlußfolgerungen kommen wie wir, dann bestärkt uns das darin, daß wir so falsch nicht liegen können mit unseren Einschätzungen und Ansichten. Daß das, was wir hier denken, auch von Außenstehenden so betrachtet wird, bestärkt uns. Aus diesem Grunde möchte ich allen danken, die Interesse bekundet und Arbeit geleistet haben von Seiten des Europäischen Parlaments, des Europäischen Bürgerforums und anderen Organisationen, die nicht nur in nationalen Grenzen denken, sondern sich für Europa verantwortlich fühlen. Und ich glaube, daß wir als Studenten, als Mitarbeiter dieser Universität in Berlin, uns dieser Verantwortung, die wir als Deutsche haben, immer stärker bewußt werden müssen, bei allem, was wir in Zukunft tun.« Heinrich Finks Serie über die Humboldt-Universität in der Wende-Zeit wird fortgesetzt.
Erschienen in Ossietzky 12/2011 |
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