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Inzwischen seien 13 Millionen Menschen atypisch und sieben Millionen im Niedriglohnsektor beschäftigt. 1,4 Millionen Beschäftigte müssen laut DGB ihr Einkommen mit Arbeitslosengeld II aufstocken, um ihr Existenzminimum auf »Hartz-IV-Niveau« zu sichern – mehr als 324.000 von ihnen seien vollzeitbeschäftigt. »Diese Subventionierung von Armutslöhnen hat den Staat bis heute 50 Milliarden Euro gekostet.« – Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, erklärt im Tagesspiegel zur Höhe des »Hartz IV«-Satzes: »Nur Lebenskünstler können auf Dauer von 364 Euro im Monat leben. Als Überbrückung ist das vertretbar, aber auf lange Sicht ist Transferbezug menschenunwürdig.« 2. Mai: Nachdem die Bundesregierung die Mittel für die Förderung und Qualifizierung erwerbsfähiger »Hartz IV«-Bezieher von 6,6 Milliarden im Vorjahr auf 5,3 Milliarden Euro verringert hat, will Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen von 2012 bis 2015 nochmals insgesamt 7,5 Milliarden Euro weniger für diesen Zweck ausgeben. 4. Mai: Als erste gesetzliche Krankenkasse seit Einführung des Gesundheitsfonds 2010 wird die City BKK zum 1. Juli geschlossen. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Krankenkasse sei »nicht mehr auf Dauer gesichert«, erklärt das zuständige Bundesversicherungsamt. Die 136.000 Mitglieder der City BKK müssen sich eine neue Krankenkasse suchen. Viele, vor allem kranke Senioren, werden in den folgenden Tagen beim Versuch des Wechsels aus fadenscheinigen Gründen von anderen Kassen abgewimmelt. »Das ist ein grob rechtswidriges Verhalten, aber leider ist es in der Branche nicht unüblich«, erklärt der Chef der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK), Herbert Rebscher, dem Spiegel. »Kassen, die sich auf gesunde und lukrative Versicherte konzentrieren, handeln aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht nachvollziehbar«, so Rebscher. »Sie optimieren ihre Finanzen.« Solche Anreize zu setzen, sei ein »Fehler im System«. 12. Mai: Angelika und Horst Matzen helfen seit zwei Jahren Arbeitslosen, denen sie (über einen von ihnen gegründeten Verein) ausrangierte und wieder flottgemachte Computer schenken, berichtet die Süddeutsche Zeitung. »Hartz IV«-Bezieher erhalten kein Geld für die Anschaffung eines Computers. Sozialgerichte wiesen entsprechende Klagen ab, weil sich ein Haushalt »problemlos ohne PC« führen lasse. »Wie arbeitslose Menschen ohne Computer, Drucker und Internetzugang Bewerbungen schreiben sollen, ließen die Sozialrichter offen«, so die Zeitung. Das Besondere an der Hilfsaktion: Das Ehepaar Matzen muß selbst von »Hartz IV« leben. Die ehemalige Bauzeichnerin (54) und der frühere Sanitärinstallateur (59) haben sich laut SZ rund 500 mal erfolglos um Arbeit beworben. »728 Computer haben Horst und Angelika Matzen bis heute an ›Hartz IV‹-Empfänger verschenkt, seit sie vor fast zwei Jahren ihren Verein gegründet haben.« 13. Mai: 16,4 Prozent aller Kinder und 24,4 Prozent aller jungen Erwachsenen in Deutschland sind arm, wenn man die Armutsschwelle bei 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens festlegt, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ermittelt. Die Wirtschaftsforscher reagierten damit auf eine Diskussion zur Armutsstatistik, nachdem die OECD Ende April nur halb so viel arme Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik gemeldet hatte. 14. Mai: In Berlin sind fast 130.000 sozialversicherungspflichtige Erwerbs-tätige, also jeder Zehnte, zusätzlich auf »Hartz IV«-Leistungen angewiesen, da sie nicht genug verdienen. Das meldet Die Welt mit Bezug auf eine Statistik der Bundesagentur für Arbeit. 2008 seien es noch 99.000 sogenannte Aufstocker gewesen. 35.000 der Aufstocker verdienen inzwischen trotz eines Vollzeitjobs nicht genug, um auf ein Existenzminimum zu kommen. Die Zahl der Selbständigen, die auf »Hartz IV« zusätzlich angewiesen sind, habe sich seit 2007 von 9.000 auf fast 20.000 mehr als verdoppelt. 15. Mai: 16 Prozent der erwerbstätigen Jugendlichen zwischen 15 und 25 Jahren beziehen zusätzlich zm Lohn Leistungen der Grundsicherung, weil sie von ihrem Einkommen nicht (über-)leben können. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Yvonne Ploetz (Linksfraktion) hervor. Die Prozentzahl hat sich seit der Krise 2008 nicht verringert. 19. Mai: Eine Frau, die nach einem Streit mit Mitarbeitern eines Frankfurter Jobcenters auf einen herbeigerufenen Polizisten eingestochen hat, ist von einer Polizistin erschossen worden. – »Es ist ein Leben ohne Höhen und Tiefen«, erzählt Beate Gräbert der Deutschen Welle online (DW). Die 72-jährige Witwe wohnt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Köln. Sie teilt das Schicksal vieler Seniorinnen in Deutschland: Nach der Kindererziehung hatte sie nur Nebenjobs, für die Rente ist nicht viel zusammengekommen. Nach Abzug der Miete für ihre Wohnung und den Zuzahlungen für teure Medikamente, die Beate Gräbert benötige, blieben jeden Tag nicht einmal zwei Euro zum Leben, berichtet der Sender. Zwar haben nach Angaben der Weltbank rund eine Milliarde Menschen weltweit ein ähnliches Einkommen, doch diese Menschen leben in sogenannten Entwicklungsländern. Beate Gräbert hingegen lebt mitten in Deutschland, einem der reichsten Länder. Die offizielle Armutsrate unter den Ruheständlern liegt derzeit bei 10,3 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung. Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften gehen allerdings schon von rund 15 Prozent aus. Fast alle Experten sind sich einig, daß die Zahl der Betroffenen in den nächsten fünfzehn Jahren auf zehn Millionen Menschen steigen wird. Tendenz: weiter steigend. Die angekündigte Regierungskommission zur Altersarmut wurde abgesagt. 22. Mai: Die Neuregelung der »Hartz-IV«-Gesetze erlaubt es den Kommunen seit Anfang des Jahres, Mietpauschalen festzulegen. Für die Arbeitslosen bedeutet das: Reicht die Pauschale nicht, müssen sie den Rest aus eigener Tasche bezahlen, so Hessischer Rundfunk online. Sozialwissenschaftler befürchten, daß die Mietpauschalen die Bildung von Ghettos verstärken werden. Weil sich Wohngeldempfänger die bisherigen und weiter steigenden Mieten nicht mehr leisten könnten, seien sie gezwungen, in billigere Gegenden zu ziehen. »Die Armut ballt sich gewissermaßen in einem Quartier, und das hieße dann, daß es zur Ghettoisierung kommt«, sagte Professor Christoph Butterwegge (Universität Köln) unter Hinweis auf die Erfahrungen aus vielen anderen Ländern. 23. Mai: »Armutslebenslagen nehmen in Sachsen generell zu, und es gibt mehr ›Hartz-IV‹-Schwangerschaften, weil sich die Frauen die Pille nicht leisten können«, zitiert die Leipziger Volkszeitung die Sprecherin der Diakonie Sachsen, Sigrid Winkler. Ein Kind haben oder nicht sei für immer mehr Frauen und Paare eine finanzielle Frage. Sina Stelzig vom Deuten Roten Kreuz Sachsen bestätigt: Eine der in der Beratung am häufigsten gestellten Fragen sei, ob man sich ein Kind überhaupt leisten könne.
Erschienen in Ossietzky 12/2011 |
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