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Die Frage, ob unabhängige Untersuchungsinstanzen besser als die staatliche Justiz vor gewaltsamen Übergriffen der Polizei schützen können, hat für die bürgerbewegte Demonstranten-Szene offenbar erhebliche Relevanz. Meist begründet durch schmerzliche Erfahrungen. Betroffene verzichten oft auf Strafanzeigen gegen prügelnde Polizisten, weil sie wissen: Die Erfolgschancen sind gering, die finanziellen Risiken groß, Gegenanzeigen wegen »Widerstand gegen die Staatsgewalt« üblich. Dennoch gehen jährlich mehr als 1600 Strafanzeigen ein, 95 Prozent der Verfahren werden eingestellt. Die Polizei ist in Deutschland praktisch straffrei, erfährt man auf der gemeinsamen Veranstaltung der Humanistischen Union, des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins und der Internationalen Liga für Menschenrechte. »Weil wir gesetzestreu sind«, zitiert Rechtsanwalt Ullrich von Klinggräff ironisch die Polizeigewerkschaft. Niemand bestreitet, daß sich Polizisten im Alltag gewöhnlich an die Gesetze halten, auch wenn sie selbst in schwierige Lagen kommen. Doch in zugespitzten Situationen, und gerade da sollte man sich auf das staatliche Gewaltmonopol verlassen können, haben die vergangenen Jahre leider oft anderes gezeigt. Unvergessen die hochgerüsteten Hundertschaften beim größten Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik: gegen die G8-Protestler rund um Heiligendamm. Während der Gipfel über die Spielregeln der gigantischen Umverteilungsmaschine Globalisierung verhandelte, erlebte ich auf der Abschlußkundgebung der G8-Gegner am Rostocker Stadthafen, wie ein Polizeihubschrauber die ganze Zeit tief über der Rednerbühne kreiste, so daß niemand mehr ein Wort von den Gegenvorschlägen der Redner verstand und Nervosität und Empörung um sich griffen. 1100 Protestler wurden gewaltsam festgenommen, dabei viele verletzt. Ihre Haftbedingungen in mobilen Käfigen auf nacktem Steinfußboden, ununterbrochen videoüberwacht bei Neonlicht, verstießen gegen die Menschenwürde. Drei Jahre später bestätigte das Verwaltungsgericht Schwerin, daß die Verhaftungen zumeist rechtswidrig waren. Doch strafrechtliche Konsequenzen hatte das nicht. Sehr präsent auch noch die gewaltsamen Polizei-Einsätze während der »Stuttgart 21«-Proteste oder der Atommüll-Transporte im Wendland: mit Wasserwerfern im frostigen November, toxischem CS-Gas, Pfefferspray und Schlagstöcken. Im Hörsaal zeigt ein Video in atemberaubenden Nahaufnahmen, wie Polizisten bei der Auflösung einer Gegen-Demo von Antifaschisten mit dem sogenannten Erstickungseffekt operieren: Mehrere Polizisten halten am Boden liegenden Demonstranten quälend lange Mund und Nase zu, wobei ein Nasenflügel so zur Seite gedrückt wird, daß schon mal ein Nasenbein zu Bruch geht. »Das ist ja wie Waterboarding«, sagt neben mir aufgebracht ein Mädchen. Bei Staatsanwälten und Richtern gebe es einen unerschütterlichen Glauben an den Wahrheitsgehalt polizeilicher Aussagen, weiß die Anwältin Christina Clemm. Beamte seien immer Zeugen 1. Klasse, deren Glaubhaftigkeit nicht überprüft wird. Wenn die andere Seite nicht mehrere zivile Zeugen, möglichst mit Fotos und Videos, aufbringen kann, hat sie keine Chance. Doch es ist schwierig, Behelmte zu identifizieren. Insofern begrüßen die Menschenrechtsorganisationen die nunmehr in Berlin eingeführte Kennzeichnungspflicht von Polizisten. Sie könnte eine kleine Hilfe gegen den allgegenwärtigen Korpsgeist in den uniformierten Kräften werden – zumal beobachtet worden ist, daß die Kameras der Polizei wegschwenken, wenn die Kollegen tretend und schlagend loslegen. Hoffnung wurde auf eine in Sachsen-Anhalt eingerichtete Beschwerdestelle gesetzt, die allerdings auch nicht unabhängig sei. Nach dieser Faktenlage war man sich einig, daß unabhängige Untersuchungsinstanzen eine unverzichtbare, notwendige Ergänzung sind, um Polizeiübergriffe aufklären zu können. Offenbar existieren derartige ehrenamtliche Initiativen nur lokal und sind aus Mangel an Ressourcen kaum vernetzt. Am bekanntesten war lange die Aktion »Bürger beobachten die Polizei«, die aber nur im Göttinger Raum angesiedelt ist und in letzter Zeit wenig öffentliche Wahrnehmung erfährt. Seit Jahren macht sich das Komitee für Grundrechte und Demokratie durch Begleitung von Demonstrationen vor allem im Wendland um das Versammlungsrecht, um das Recht auf körperliche Unversehrtheit und um die Menschenwürde der Demonstranten verdient. In Berlin arbeitet sehr engagiert die »Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt«, die auf ihrer website www.kop-berlin.de eine beschämende Chronik der Übergriffe der letzten Jahre bietet, ergänzt durch erschütternde Gedächtnisprotokolle. Gedächtnisprotokolle waren 1989 im Wendeherbst Anlaß, die erste unabhängige Untersuchungskommission der DDR zu gründen, die Übergriffe von Polizei und Staatssicherheit auf Demonstranten untersuchte. Mit meinen damaligen Mitstreitern Ilse-Maria Dorfstecher und Klaus Ihlau berichteten wir dem staunenden Publikum von den bürgerrechtlichen Kompetenzen, die diese aus Juristen, Künstlern, Ärzten, Theologen, Abgeordneten und Arbeitern zusammengesetzte Kommission in jener historischen Ausnahmesituation hatte. Nachdem sie anfangs mit Verschleierung von Verantwortlichkeit, Vernichtung von Dokumenten und Verschleppung von Ermittlungsverfahren zu kämpfen hatte, erwirkte sie beim Verfassungs- und Rechtsausschuß der Volkskammer die Pflicht der Verantwortlichen zur Zeugenaussage vor der Kommission. So mußte der Polizeipräsident von Berlin vor uns Rede und Antwort stehen, und wir erwirkten trotz des Sicherheitsvakuums in der Stadt in kürzester Zeit seinen Rücktritt. Wir tagten im Roten Rathaus und konnten uns, zumindest anfangs, über mangelndes Medieninteresse nicht beklagen. Auch wir waren damals mit den mangelnden strafrechtlichen Konsequenzen unzufrieden. Dennoch bestätigten uns die Anwälte im Podium, daß eine solche Kommission von unten mit solchen Kompetenzen heute vollkommen undenkbar wäre. Vielleicht ist gerade dieses Denktabu der Fehler. Vielleicht müssen Bürgerrechtler heute fordernder auf Rechten der Bürger bestehen. Vielleicht hilft die Erinnerung an Traditionen. Auch Carl von Ossietzky hat einst, zusammen mit Alfred Döblin und Heinrich Mann, in einem öffentlich tagenden Untersuchungsausschuß mitgearbeitet. Damals wurde die Befehlslage unter dem Berliner SPD-Polizeipräsidenten Zörgiebel im berüchtigten Blutmai 1929 untersucht. Betroffenen konnte geholfen werden. 2002 war ich Mitglied einer von Juristen und Künstlern wie Dario Fo oder Adolfo Perez-Esquivel gegründeten internationalen Untersuchungskommission zum Polizeiterror beim G8-Gipfel in Genua. Die Beweislage war dank zahlreicher Videos unabweisbar. Das Fazit all dieser Kommissionen war immer, daß es ein tragischer Irrtum ist, politische Probleme mit polizeilichen Mitteln lösen zu wollen. Sie müssen basisdemokratisch gelöst werden. Das setzt eine breite, engagierte Basis voraus.
Erschienen in Ossietzky 11/2011 |
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