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Das zeigt sich an den jüngsten Schritten zu einer Einigung zwischen Fatah und Hamas über eine Übergangsregierung bis zu den ausstehenden Neuwahlen und an den Plänen vieler UN-Nationen für ein Votum im September, mit dem sie einen palästinensischen Staat »in den Grenzen von 1967 anerkennen« wollen. Die politischen Einschätzungen solcher Perspektiven schwanken allerdings auch in den Gebieten westlich des Jordans zwischen jugendlichem Optimismus, Skepsis und Resignation hinsichtlich konkreter Folgen – ganz abgesehen von der jahrzehntelangen Grundsatzdebatte über den Sinn von ein oder zwei Staaten auf einem Flecken Erde, der nicht größer als das Bundesland Hessen ist. Was allen mit den Verhältnissen Vertrauten (mit Ausnahme der Befürworter eines Groß-Israel) mehr als 60 Jahre nach der Staatsgründung Israels als unaufschiebbar erscheint, ist die Beendigung einer Besatzungspolitik, die auf die Ausgrenzung der palästinensischen Bevölkerung abzielt und die, wie Gideon Levy nach dem diesjährigen Feiertag der Unabhängigkeit Israels (10. Mai) in der Tageszeitung Haaretz feststellte, in diesem Sinne bis heute fortgesetzt wird, zum Beispiel auch mit der jüngsten Weigerung der israelischen Regierung, 140.000 ausgereisten Palästinensern die Wiedereinreise in ihre Heimat im Westjordanland, einschließlich Ostjerusalem, zu gewähren. Zum palästinensischen Gedenktag (15. Mai) an die »Nakba«, die als »Katastrophe« erlebte Vertreibung weiter Teile der arabischen Bevölkerung (mehr als 600.000 Menschen) im Jahre 1948, die so lange nicht vergessen werden kann, wie das Unrecht nicht als solches anerkannt wird, sondern andauert, reiste eine aus Flüchtlingslagern in der Diaspora (vorwiegend aus dem Libanon, wo die Lebensbedingungen besonders schwierig sind) rekrutierte Reisegruppe von einst Geflüchteten und deren Nachkommen durch die besetzten Gebiete; die UNO unterstützte sie. Rund 150 Menschen zwischen 8 und 80 konnten zum ersten Mal verbliebene Verwandte in der alten Heimat besuchen und verkörperten so den Anspruch auf Rückkehr; auf vielen Plakaten propagierten sie ihr Rückkehrrecht als »unvergessen«. Sie nahmen an Demonstrationen teil, die in allen Stadtzentren friedlich verliefen – mit Ausnahme solcher Spannungsgebiete wie des Flüchtlingslagers Qalandia in Ramallah, wo israelische Soldaten am Checkpoint unvermittelt mit Gummi- und anderen Geschossen und mit Tränengas gegen die Demonstranten vorgingen, wobei ein Palästinenser getötet und mehrere verletzt wurden, oder auch an der Grenze zum Libanon. Über die bisher als ruhig geltende syrische Grenze liefen erstmals palästinensische Flüchtlinge ins Land, ohne vom syrischen Militär daran gehindert zu werden. Für viele Israelis waren es sicher traumatische Bilder, die das Fernsehen zeigte, aber verstärkt stellt sich die Frage, ob es denn auf Demonstrationen der Palästinenser keine andere Antwort gibt als Gewalt. Wer durch Westjordanland fährt, kann die Zeichen der Gewalt nicht übersehen, die sich dem Auge überall aufdrängen: Abgrenzungen durch Stacheldraht, Betonmauern, Zäune und Wachttürme. In der kargen Berglandschaft südlich von Ramallah Richtung Bethlehem und Hebron sieht man große Baustellen für Straßen, die zu neuen Siedlungen führen. Die traditionellen Verkehrswege werden dadurch unterbrochen. Umleitungen bewirken, daß man für eine Entfernung von 30 Kilometer Luftlinie jetzt mehr als anderthalb Stunden braucht, wenn man in einem Auto mit palästinensischem Nummernschild fährt. Die den Israelis vorbehaltenen Straßen und Siedlungen in der Zone C der besetzten Gebiete (die ganz unter israelischer Kontrolle steht) werden von palästinensischen Arbeitern gebaut, die weniger kosten als israelische. Eine bedrohliche Situation entsteht beispielsweise in Har Gilo, wo neue israelische Siedlungen jetzt miteinander verbunden werden. Durch die Baumaßnahmen wird das alte Dorf Walaja, unweit von Bethlehem, eingemauert und die Dorfbevölkerung von ihren Feldern, also ihren Arbeitsplätzen, und auch vom Wasser getrennt. Die UN-Flüchtlingsorganisation (UNRWA) nennt dieses Vorgehen »systematical denial of residency«, systematische Negierung von Wohnrechten. Israel will auf diese Weise vor allem im Umkreis von Jerusalem unumstößliche Fakten schaffen – entgegen allen internationalen Konventionen. In Walaja, dessen Bevölkerung 1948 teilweise umgesiedelt wurde, leben heute zu 97 Prozent Flüchtlinge. Deshalb gibt es dort eine UNRWA-Schule, deren derzeitiger Leiter mit der Linderung der schlimmsten Nöte vor allem für seine Schüler und deren Eltern betraut ist. Laut Satzung soll die Schule die menschlichen Grundfreiheiten wahren, die auf großen Tafeln im Eingangsraum deklariert werden. Die Frage, wie man in Gegenwart der täglich wachsenden Mauer, die unmittelbar vor Augen steht, diese Kinder im humanitären Sinne unterrichten kann, bleibt ohne Antwort, denn die UNRWA muß sich – laut Satzung – auf unpolitische Tätigkeiten beschränken. Die Liste der Verstöße der israelischen Regierung gegen die Menschenrechte, gegen eine Vielzahl von UNO-Resolutionen und selbst gegen Urteile des Internationalen Gerichtshofes ist lang. Sie sollte als bekannt vorausgesetzt werden können. Daß sie der breiten Öffentlichkeit dennoch unbekannt ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Okkupationsverhältnisse im »heiligen Land« schaffen auf beiden Seiten unerträgliche Ghettos, erzeugen und perpetuieren gegenseitige Angst und Haß; darum steht die Forderung nach Aufhebung der Okkupation im Vordergrund aller politischen Forderungen der Palästinenser. Sie wissen: Erst unter friedlichen Bedingungen können die vielen ungelösten Probleme angegangen werden: die gemeinsame Präsenz in einer doppelten Hauptstadt Jerusalem, die Garantie sicherer Grenzen, die wirtschaftliche wie kulturelle Integration, um nur die wichtigsten zu nennen. Auf die Frage, welcher Weg zu diesem Ziel führen könnte, sprechen viele Menschen in Westjordanland auch von ihrer Hoffnung auf die Regierungen Europas.
Erschienen in Ossietzky 11/2011 |
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